Aufbau der Wasserstoffinfrastruktur - Hintergründe

Unternehmen, Verbraucherschutz, Konjunktur

Moderator: Barbarossa

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Barbarossa
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Definitionen:
Grüner Wasserstoff - wird mittels Elektrolyse aus Wasser und Ökostrom hergestellt. Wasser (H2O) wird dabei in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten.

Blauer Wasserstoff - wird beim Verbrennungsprozess von Erdgas (CH4) durch Dampfreformierung gewonnen, wobei das entstehende CO2 abgeschieden und mittels CCS unterirdisch gespeichert wird (das ist die Technologie, bei der das CO2 unterirdisch ins Gestein gepresst wird)
Die CO2-Bilanz von blauem Wasserstoff ist nicht wesentlich schlechter, als die von Grünem Wasserstoff. Die CCS-Technologie ist jedoch umstritten.
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Nach den aktuellen Plänen soll Wasserstoff künftig überall dort zur Anwendung kommen, wo der Einsatz von Strom nur schwer oder gar nicht möglich ist, wie etwa in Teilen der Industrie, im Schwerlast-, Flug- oder Schiffsverkehr sowie auch in Gaskraftwerken, die die Erneuerbaren Energien absichern sollen.
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Im Oktober 2024 wurde von Seiten der Bundesnetzagentur grünes Licht für den Bau einer 9040 km langen Wasserstoffautobahn gegeben. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) erklärte dazu wörtlich:
,,Das Wasserstoff-Kernnetz setzt ein entscheidendes Signal für die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland."
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Bereits in diesem Jahr (2025) sollen die ersten Leitungen in Betrieb gehen - die Fertigstellung des gesamten jetzt angestoßenen Leitungsnetzes ist für 2032 geplant.
10 Gigawatt Elektrolysekapazität sollen dazu laut deutscher Wasserstoffstrategie bis 2030 aufgebaut werden, was einer weitaus höheren Energieproduktion entspricht, als die heute installierten Windkraftanlagen in Nord- und Ostsee liefern können. Sie liefern bisher weniger als 100 Megawatt, also nicht einmal ein Huntertstel.
Überhaupt sollen insgesamt nur etwa 30% des Bedarfs aus heimischer Produktion kommen - der Rest soll aus wind- und sonnenreicheren Regionen der Welt importiert werden, weil die Produktion dort auch günstiger ist.
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Aber es gibt auch bereits Rückschläge beim Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur. So hat etwa der norwegische Konzern Equinor seine Pläne für den Bau einer Wasserstoffpipeline nach Deutschland aufgegeben und in Spanien wurde ein Projekt für 3 große Elektrolyse-Anlagen auf Eis gelegt. Die Gründe für die Zurückhaltung sind dabei immer die selben: Zu teuer, zu unsicher und zu wenig Nachfrage.
Die Gründe für die Unsicherheit ist z. B., dass zum heutigen Tag noch niemand genau sagen kann, wieviel Wasserstoff im Jahr 2032 gebraucht werden.
Der Preis für grünen Wasserstoff ist aktuell etwa 3-4 mal so hoch, wie der von Erdgas. Auch blauer und grauer Wasserstoff ist derzeit noch 2-3 mal so teuer.
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Wichtig ist also vor allem, dass so große Abnehmer, wie etwa Thyssen-Krupp, seine Pläne zur Stahlherstellung mit grünem Wasserstoff nicht aufgibt. Dies könnte zu einer Kettenreaktion auch bei anderen Unternehmen führen.
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In dem Zusammenhang interessant und für mich mal wieder bezeichnend sind aus meiner Sicht völlig unverständliche EU-Bestimmungen, die z. B. auch von Kerstin Andreae als Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) kritisiert werden. Nach diesen Bestimmungen darf grüner Wasserstoff nicht aus bestehenden, sondern nur aus zusätzlich errichteten Wind- oder Solarkraftwerken gewonnen werden. Zudem darf er nur zu dem Zeitpunkt produziert werden, zu dem auch tatsächlich grüner Strom zur Verfügung steht.
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Und in diesem Zusammenhang:
,,Eine so strenge Regelung kann den Import von blauem Wasserstoff faktisch ausschließen, was die Versorgungssicherheit gefährdet, da grüner Wasserstoff derzeit nicht in ausreichenden Mengen zur Verfügung steht", erklärt dazu Wasserstoff-Expertin Louise Maizières vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK).
Quelle: Oranienburger Generalanzeiger - Printausgabe v. 26. Oktober 2024
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Marianne E.
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Barbarossa schreibt zu diesem komplexen Thema u.a.

"In dem Zusammenhang interessant und für mich mal wieder bezeichnend sind aus meiner Sicht völlig unverständliche EU-Bestimmungen, die z. B. auch von Kerstin Andreae als Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) kritisiert werden. Nach diesen Bestimmungen darf grüner Wasserstoff nicht aus bestehenden, sondern nur aus zusätzlich errichteten Wind- oder Solarkraftwerken gewonnen werden. Zudem darf er nur zu dem Zeitpunkt produziert werden, zu dem auch tatsächlich grüner Strom zur Verfügung steht."

Meine Kenntnis dieser Materie ist laienhaft, aber die politische Seite kann ich in etwa analysieren.
Wenn ich auf diesen oben erwähnten Absatz komme, stellt sich aber doch die Frage: "Haben wir fachkundige Politiker?" Wenn ja, was sagen die und handeln sie möglicherweise dann auch noch im Interesse des Industrielandes Deutschland?
Wenn nein, wer soll die denn dann noch wählen?

Mit viel "Energie und Sprechblasenpolitik" sind Teile unserer Wirtschaft herunter gewirtschaftet worden.

Seit vielen Jahrzehnten bin ich dem fleißigen Mittelstand und den industriellen Familienunternehmen beruflich verbunden und höre viel begründete Kritik.
Ich kann nicht einmal mehr richtig wütend werden ob der beispiellosen Ignoranz einiger Politiker.
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Barbarossa
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Ich denke, das Hauptproblem ist gar nicht, dass ein Großteil der Politiker nicht sehr fachkundig ist. Dass viele - selbst Bundesminister - das nicht sein können, liegt auf der Hand. Ich will da nur ein Beispiel nennen:
Der letzte Bundesgesundheitsminister unter Merkel, Jens Span, wechselte nach der Wahl ins Wirtschaftsressort. Da kann mir niemand erzählen, wenn sein Interesse eher dort liegt, dass er in seinem Ministeramt besonders kompetent war.
Wie gesagt, das sehe ich aber auch nicht als das große Problem an. Solange einer wie Span gute Berater hat, kann er trotzdem gute Entscheidungen treffen.
Politiker, also Abgeordnete wie Minister - sollen ja per Definition Volksvertreter (=Vertreter des Volkes) sein.
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Eines der Hauptprobleme sehe ich eher im Lobbyismus. Lobbyisten, die ständig um Politiker herumschwänzeln und ständig auf sie einreden und dabei vor allem Eigeninteressen bzw. die hauseigenen Interessen des Unternehmens im Blick haben, welches sie vertreten. So ein Lobbyist steht dabei ja auch in Konkurrenz zu anderen Unternehmen derselben Branche, die durch seine Lobbyarbeit vielleicht aber auch benachteiligt werden sollen. Ich würde solche Leute gar nicht als Berater ansehen und als Politiker eher von mir fernhalten. Denn ich glaube, vor allem so kommen solche völlig unverständlichen Bestimmungen überhaupt zustande.
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Barbarossa
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Der folgende Zeitungsartikel (bei meiner Abarbeitung älterer, aufgehobener Artikel) hat ebenfalls mit den Problemen beim Aufbau der Wasserstoffinfrastruktur zu tun und passt auf jeden Fall zum Thema.

So musste die brandenburgische Niederbarnimer Eisenbahn (NEB) gerade erst (15. Dezember 2024) indienstgestellte Wasserstoffzüge Ende Dezember vorübergehend wieder außer Betrieb nehmen, weil nicht genügend Wasserstoff vorhanden war. Es mussten wieder ältere Diesel- und Elektrozüge auf der Strecke RB27 der Heidekrautbahn eingesetzt werden.
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Doch die Sache scheint etwas mysteriös zu sein.
Das beliefernde Unternehmen Enertrag mit Sitz in Prenzlau und das zwischenspeichernde Unternehmen Enenergiebeteiligungsgesellschaft mbH (BEGB) sind mit dem Aufbau der Infrastruktur noch nicht fertig. So sollen die Züge in der Zukunft an einer Tankstelle in Basdorf mit Treibstoff versorgt werden, der von einem Kraftwerk in Wenickendorf produziert werden soll. Beides ist aber noch nicht fertig.
Derzeit produziert Enertrag seinen Wasserstoff z. T. selbst in Wittendorf, bei Prenzlau und bezieht den Rest aus weiteren Quellen in Deutschland und Österreich.
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Zum Stillstand der Wasserstoffzüge gaben alle Beiteiligten bisher keine erschöpfenden Erklärungen ab.
Enertrag erklärte lediglich, dass sogar mehr als die vereinbarten Mengen an Wasserstoff geliefert würden. Vielleicht hätte alles wegen der Feiertage etwas gehakt.
So blieb völlig unklar, wo der gelieferte Wasserstoff verblieben ist.
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Am 14. Januar 2025 kam dann die erlösende Nachricht: Seit diesem Tag rollen die Wasserstoffzüge wieder. Und das Wasserstoffwerk in Wensickendorf soll bis Jahresende fertiggestellt werden.
Quellen:
Oranienburger Generalanzeiger - Printausgabe v. 31.12.2024
u.
Tageschau-Onlinemeldung v. 14.01.2025
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Marianne E.
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Lieber Barbarossa, Du hast natürlich völlig recht, wenn Du anmerkst, dass Politiker - gleich welcher Coleur - gute Berater brauchen. Das vorweg. Spahn hatte z.B. auch etliche; und was passierte. Was haben die politischen Eliten den Kindern und Jugendlichen (von Erwachsenen will ich gar nicht reden) angetan. Das rächt sich und bleibt unser schwarzes Loch.
Berater und Lobbyismus - beides muss sein. Aber die politische Verantwortung liegt bei der Politik und die kann nicht weggelabbert werden. Das ist das Problem.
Spahn z.B. sagte nach der Pandemie ungefähr: "Wir müssen uns viel entschuldigen." Stimmt! Nur sollte das auch noch zu Lebzeiten der jungen Generation geschehen und eben nicht nur eine Sprechblase bleiben.
Das nur als Beispiel, es gibt davon viele, viel zu viele.

Tschüs und für Dich trotzdem bald einen schönen sonnigen Urlaub im Elfenbeinland.
M.
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Barbarossa
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Ja, dass die Coronamaßnahmen überzogen waren, ist inzwischen konsens.
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Danke, ich erhole mich hier sehr gut.
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Marianne E.
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Du bist schon "hier". Fein und bis bald in der nordischen Kälte.
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Barbarossa
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Ich bin schon seit 9. Januar in Côte d'Ivoire. Am 25. geht es wieder zurück, aber da mag ich noch nicht dran denken.
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