Barbarossa hat geschrieben:Alle im Reich zusammengeschlossenen Stämme sprachen aus heutiger sprachwissenschftlicher Sicht aber bereits altdeutsche Dialekte. Darauf wollte ich eigentlich hinaus.
Jetz wirds filosofisch.
Die Themenfrage lautet "Seit wann gibt es 'Deutschland'?"
Du meinst also, es gibt Deutschland, seit es deutsch sprechende Menschen gibt, die in einem Staatsgebilde zusammengefasst sind.
Aber gehört nicht zu einer Zusammengehörigkeit auch ein Zusammengehörigkeitsgefühl?!?
Dieses Gefühl speist sich in der althochdeutschen Zeit allein daraus, dass man einen gemeinsamen Herrscher hatte. Das reichte aber nicht, um ein "Deutschland" entstehen zu lassen.
Die Italiener lebten jahrhundertelang in einem zersplitterten Staatgebilde, aber sie hatten das Gefühl, in einem Land zu leben, das aus mehreren Staaten besteht. Das Einigende war nicht nur die Sprache, sondern auch die Kultur.
Das schloss z.B. Sizilien nicht unbdeingt mit ein. Jedenfalls solange nicht, bis das Sizilianische bzw. die sizilianische Kultur genügend aller nichtitalienischer Einflüsse entledigt hatte und sich an das Kulturkontinuum Süditaliens bzw. des Königreichs Neapel angepasst hatte, um auch von den anderen Italienern als zumindest "irgendwie italienisch" anerkannt zu werden.
Im späteren Deutschland war das lange anders. Bayern waren Bayern, Schwaben waren Schwaben, Franken waren Franken und Sachsen waren Sachsen. Die Reihe ließe sich verlängern. Erst mit Luther und Goethe ergab sich ein zunächst auf Sprache, dann auch auf Kultur bezogenes Gefühl, dass Nord, Süd, Ost und West mehr verband als eine gemeinsame Herrschaftsgeschichte. Seit dem 17.Jh. also war Deutschland in einer ähnlichen Lage wie Italien schon lange zuvor. Es gab immer noch z.B. Friesen oder Böhmen, die zwar im Reich lebten und deren Gebiet auch schon lange zum Reich gehörte, aber diejenigen, die da lebten, galten nicht als Deutsche. Sie sahen sich auch nicht so. In dieser Hinsicht durchaus den Sizilianern vergleichbar, nur dass gerade die Böhmen die Assimiliation nie vollzogen, sondern im Gegenteil ihre Andersartigkeit neu entdeckten und kultivierten. Auch Schweizer und Holländer entwickelten sich sprachlich und v.a. auch religiös, wirtschaftlich und politisch immer weiter vom Reich weg. Sie hatten sich noch nie als "Deutsche" verstanden, sondern als etwas Eigenes und das zementierte sich nach dem 30jährigen Krieg. Unter dem Eindruck dieser Weg-Bewegungen vom Reich etablierte sich ein Begriff von "Deutschland" - und erst jetzt kann man auch wirklich von "Deutschland" sprechen, meiner Meinung nach.
Erst wenn sich die Bewohner eines Landes UND die Nachbarn einig sind, dass ein Land etwas Besonderes ist, das es von den benachbarten Ländern unterscheidet, erst dann kann man auch von einem speziellen Land sprechen.
Das war beim späteren Deutschland in althochdeutscher Zeit mitnichten der Fall. Die Bezeichnung und Zurechnung zu den mittelalterlichen Nationen zeigt das noch ganz deutlich: Hier waren politische Zuordnungen die Grundlage, ergänzt durch Sprache, Kultur, gemeinsame Geschichte, aber eben nur dadurch ergänzt.
Darum rechneten die Pariser alle, die mal zum Römischen Reich gehört hatten, zur gallischen Nation, unter Einbeziehung z.B. der Oströmer. Alle, die eine germanische Sprache sprachen, waren von Paris aus gesehen "Engländer". Von Prag aus waren alle, die westlich des Böhmerwaldes wohnten und mittelhochdeutsch sprachen, "Bayern", während die Plattsprecher "Sachsen" waren. Von dort waren die Kolonisten gekommen, die auf "Zuruf" böhmischer Könige und Adliger das spätere Sudetenland besiedelt hatten. Offenbar in Erinnerung an die gemeinsame luxemburgische und habsburgische Herrschaftsgeschichte (vielleicht auch an Ottokars II. Reich) gehörten Böhmen, Ungarn und Slowenien und Kroatien (Serbien wohl weniger) zur "böhmischen" Nation...
Nichts spricht dafür, dass die Franzosen und Böhmen damals schon eine Vorstellung von einer "deutschen" Nation hatten. Und die "Deutschen" hatten ebensowenig eine Vorstellung davon. Sie mögen eine Vorstellung davon gehabt haben, dass die Bayern, Schwaben, Rheinländer, Sachsen etc. mehr miteinander verband als mit den Franzosen, Polen, Böhmen, Italienern, Unganr - aber als EIN Volk verstanden sie sich sicherlich nicht.
Beppe