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Niemand hat die Absicht . . .
Vor 50 Jahren wurde Walter Ulbricht nach der Staatsgrenze gefragt – und er redete von der Mauer
POTSDAM - „Hier sind alle Sender des deutschen demokratischen Rundfunks. Auf einer stark besuchten internationalen Pressekonferenz beantwortet heute der Vorsitzende des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik, Walter Ulbricht, aktuelle Fragen zum Thema Friedensvertrag und zum West-Berlin-Problem.“ So kündigte der Rundfunk der DDR am 15. Juni 1961 die Übertragung einer Pressekonferenz mit Ulbricht an. 300 Journalisten waren ins Haus der Ministerien gekommen. Ulbricht wirkte aufgeräumt. Der Sowjetunion war der erste bemannte Raumflug gelungen, und die USA hatten mit der gescheiterten Kuba-Invasion eine herbe Niederlage erlitten – der Sozialismus wähnte sich auf dem Vormarsch. Die Zeit schien also günstig, politische Forderungen an den Westen durchzusetzen. Kern der Forderungen Ulbrichts: West-Berlin sollte eine selbstständige freie politische Einheit werden, in deren Belange sich kein anderer Staat einmischen dürfe. Die Zufahrtswege – einschließlich der Luftkorridore – sollten nicht mehr von den Alliierten, sondern von der DDR kontrolliert werden.
Die Einzelheiten des Vorschlags waren bald nur noch für Historiker interessant. Im kollektiven Gedächtnis blieb lediglich ein einziger Satz Ulbrichts: der zur angeblich nicht geplanten Mauer. Er fiel auf eine Frage der Journalistin Annamarie Doherr von der „Frankfurter Rundschau“ (FR): „Herr Vorsitzender, bedeutet die Bildung einer freien Stadt Ihrer Meinung nach, dass die Staatsgrenze am Brandenburger Tor errichtet wird? Und sind Sie entschlossen, dieser Tatsache mit allen Konsequenzen Rechnung zu tragen?“ Ulbrichts Antwort: „Ich verstehe Ihre Frage so, dass es in Westdeutschland Menschen gibt, die wünschen, dass wir die Bauarbeiter der Hauptstadt der DDR dazu mobilisieren, eine Mauer aufzurichten, ja?“ Nach kurzem Räuspern fügte der Vorsitzende hinzu: „Mir ist nicht bekannt, dass eine solche Absicht besteht. Die Bauarbeiter unserer Hauptstadt beschäftigen sich hauptsächlich mit Wohnungsbau und ihre Arbeitskraft wird dafür voll eingesetzt. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“
Die Korrespondentin hatte gar nicht nach einer Mauer gefragt. Ulbricht hatte sich offenkundig verplappert...
Dieses Detail ist auch noch interessant. Da wird er gar nicht nach einer Mauer gefragt und er spricht trotzdem davon und keiner merkt, daß er sich verplappert hat. Das kann nur daran gelegen haben, daß ein solches Monstrum, wie die dann tatsächlich errichtete Mauer, für jemanden mit gesundem Menschenverstand einfach nicht vorstellbar war.