Röhmputsch & Herr Lutze

Der zerstörerische Krieg von Hitler und seinen Schergen gegen Europa

Moderator: Barbarossa

andreassolar
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Der Historiker Daniel Siemens hat in Heft 2/2023 der Vierteljahresschrift für Zeitgeschichte verdeutlicht, wer Herr Lutze war. Der Röhm-Nachfolger. Nie gehört?

Daniel Siemens: Rechtfertigung und Selbsterhöhung nach der 'Nacht der langen Messer'. Die Aufzeichnungen von SA-Stabschef Victor Lutze 1934-1943.
Skeptik
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Wenig bekannt: Vom Briefträger zum SA-Führer. - Das gefundene Tagebuch soll noch viele leere Seiten haben. Zentrales Motiv für den Beginn des Tagebuchs war offensichtlich das Gefühl, seine eigene Rolle beim „Röhm-Putsch“ zu rechtfertigen – vermutlich mehr sogar vor sich selbst als vor anderen. Darauf deutet schon der Titel: „Tagebuch von Viktor Lutze, beginnend mit dem unglückseligen 30. Juni 1934“, hieß es auf der ersten Seite.
https://www.google.de/search?sca_esv=56 ... UissKzqMIM

Lutze steckte Hitler die groben Tiraden seines Chefs Röhm: "Adolf ist niederträchtig, er verrät uns alle. Er verkehrt nur noch mit Reaktionären und nimmt diese ostpreußischen Generäle zu seinen Vertrauten! Adolf ist in meiner Schule gewesen. Alles, was er über militärische Fragen weiß, hat er von mir. Aber Adolf ist und bleibt ein Zivilist, ein Schmierfink, ein Träumer".

Was dann kam - wir erlebten gerade Ähnliches mit Prigoschin und Putin - ist unter dem Namen Röhm-Putsch bekannt. Franzosen und Engländer kennen es als „Nuit des long couteaux“, Night of long knives“. Bezogen wohl auf das üble SA-Lied „Wetzt die langen Messer auf dem Bürgersteig!“.
Zwei Tage vor dem Massaker, am 28. Juni, reiste Hitler aus umstrittenen Gründen zusammen mit Göring zur Hochzeit des Gauleiters Josef Terboven nach Essen in Westfalen. Dort traf er unter anderem Viktor Lutze, der das Gefühl hatte, "dass einige Leute ein Interesse daran hatten, Hitlers Abwesenheit zu nutzen, um den Zug der Angelegenheit zu beschleunigen und zu einem schnellen Abschluss zu kommen ".

Nach der Ermordung Ernst Röhms in der Nacht der langen Messer folgte ihm Viktor Lutze als SA-Stabschef nach, nicht zuletzt als Belohnung dafür, dass er Röhms aufrührerische Äußerungen an Rudolf Hess und später an General Walter von Reichenau weitergegeben hatte. Lutze führte eine SA, die zugunsten der SS an den Rand gedrängt worden war und jegliche Unabhängigkeit und politischen Einfluss verloren hatte.

Im November 1938 stellte die SA unter Lutzes Befehl zum letzten Mal ihre Fähigkeit zur Terrorausübung unter Beweis, indem sie sich an den Pogromen gegen die jüdische Bevölkerung Deutschlands in der „Kristallnacht" beteiligte.

Im April 1941 wurde er auf eigenen Wunsch von seiner Funktion entbunden.

Er starb am 2. Mai 1943. Seine Beerdigung fand in der Reichskanzlei in Anwesenheit von Adolf Hitler statt, der ihm am 7. Mai 1943 posthum den Deutschen Orden verlieh.
https://www.welt.de/geschichte/article2 ... rriet.html
https://fr.wikipedia.org/wiki/Nuit_des_Longs_Couteaux
andreassolar
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Die Aufzeichnungen Lutzes ermöglichen, die Vorgänge um den 'RöhmPutsch' differenzierter zu betrachten bzw. zu belegen, wie teils in der einschlägigen NS-Forschung mittlerweile geschehen.

Lutzes Aufzeichnungen belegen, dass ab 26. Juni Vorbereitungen liefen, Röhm und die sehr starke Stellung der SA zu brechen. Von Seiten wohl der GESTAPO, Himmlers und der SS, von Seiten interessierter Wehrmachtskreise usw.

Der Konflikt entstand durch die Erwartung der Mehrheit der SA-Führer, nach der Machtübertragung und der raschen Konsolidierung der NS-Herrschaft in den ersten 6-9 Monaten des Jahres 1993 tradierte Machtpositionen in reaktionären und konservativen Händen, wie die Wehrmacht, entweder übertragen zu bekommen oder durch SA-Formationen ersetzen bzw. konkurrieren zu können.

Die SA war ja die mit Abstand wichtigste NS-Formation gewesen bei der Machtkonsolidierung 1933. Ob im öffentlichen Raum, bei der Errichtung zahlloser Lager/Konzentrationslager für tatsächliche und viele vermeintliche NS-Gegner, sonstige Personen, die in den Focus des NS-Regimes gerieten.

Im Frühsommer 1934 hatte die SA rund 3 Millionen Mitglieder, die Wehrmacht noch nur 100.000 Angehörige.
Und der machtbewusste, robuste Röhm wollte keinesfalls H. oder das Regime stürzen, wie Lutze schreibt.

Lutze selber war anscheinend ein altgedienter, erfahrener, organisationsfähiger und treuer wie effizienter und durchsetzungsfähiger NS-Diener, ohne bemerkenswerte politische und machtpolitische Fähigkeiten und Horizonte und Ambitionen. Das war der Grund, warum er Röhm nachfolgen konnte.
Skeptik
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andreassolar hat geschrieben: 18.09.2023, 12:31 Lutze selber war anscheinend ein altgedienter, erfahrener, organisationsfähiger und treuer wie effizienter und durchsetzungsfähiger NS-Diener, ohne bemerkenswerte politische und machtpolitische Fähigkeiten und Horizonte und Ambitionen. Das war der Grund, warum er Röhm nachfolgen konnte.
Lutze war wirklich ein organisationsfähiger und treuer NS-Diener. Ein riesiges Horst-Wessel-Denkmal plante er. Sichtachse zum Ort des Reichserntedankfestes auf dem Bückeberg. Albert Speer wurde engagiert. Am Ende wurde alles dann eine Nummer kleiner. Aber ein fünf Meter hohes eisernes Hakenkreuz obendrauf durfte dann doch sein:

"Das Weserbergland, aus dem sowohl die Mutter wie auch der Vater von Horst Wessel stammten, versuchte, nach dem politischen Machtwechsel sich nachdrücklich als nationalsozialistisches Kernland zu profilieren. Aushängeschilder waren das Reichserntedankfest auf dem Bückeberg und die Familiengeschichte des Parteihelden Horst Wessel. Dieser, so konnte man etwa 1934 im Heimatbuch des Kreises Hameln-Pyrmont lesen, sei ein „echter Sohn der niedersächsischen Erde“.
„Aus dunklem Fichtenhain strebt es empor und schaut weit über das Weserland, hinunter zu jener Stätte, wo einst Horst Wessel, der junge Blutzeuge der nationalsozialistischen Bewegung, in froher Unbekümmertheit seine Jugend verlebte, wo sein Großvater den alten Erbhof bewirtschaftete und Vater und Mutter zu Hause waren und dem jungen Horst den kämpferischen Geist mitgaben, der das motorische Element allen Handelns ist.“

https://www.dewezet.de/lokales/hameln-p ... BCFC2.html

Die Amerikaner sprengten das Denkmal und die Teile liegen heute noch übermoost im Wald:
https://www.google.de/search?sca_esv=56 ... ruMoPD5KyM

Reichserntedankfest auf dem Bückerberg 1934. Lutze schrieb im im Geleitwort zu „Rund um den Bückeberg“:
„Auf niedersächsischem Boden dankt alljährlich das deutsche Bauerntum und mit ihm das gesamte deutsche Volk für Ernte und Brot. Möge Niedersachsens Treue stets ein festes Band zwischen Volk und Führer knüpfen, um in gemeinsamen Ringen Freiheit und Brot des deutschen Volkes für die Zukunft zu sichern.“

ER kam und die Menschen waren besoffen von ihrem Führer. Es lohnt sich das Ganze einmal zu lesen:
„Die Spannung wächst von Minute zu Minute. Es ist 17 Uhr. Eine freudige Bewegung schwillt und ebbt und schwillt von neuen durch die Menschenmassen: Der Führer kommt!“
...„In gläubiger Verehrung und Verbundenheit kann das Volk die Augen nicht vom Führer wenden. Sie vermöchten es nicht anders, ihre Seelen haben keine Wahl – zu lange haben diese Seelen nach einem Mann gehungert, zu dem sie ohne Wenn und Aber aufblicken hätten könne. Jetzt hungern sie nicht mehr – von den Bergen hallt ein „Heil“, das nimmer endet, als der Führer die Tribüne betritt…"

usw., usw., usw.:
https://hamelnerbote.de/archive/15897
andreassolar
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Lutze nennt in den bei Siemens zitierten Aufzeichnungen zwei Ursachen für die angewachsene Unzufriedenheit besonders bei den SA-Mitgliedern vor dem 30. Januar 1933 (sinngemäß und teils etwas freier von mir formuliert):
  • Unzufriedenheit damit, dass der vielfach während der Kampfzeit prophezeite Tag der Abrechnung so nicht eingetreten sei, an dem der den alten SA-Kämpfern in der 'Systemzeit' angetane Terror und Mord und Gewalt und Hunger von diesen mit Wut gerächt werden würde.
  • Der Ärger der gleichen SA-Gruppe darüber, dass nach der anfänglichen Revolutionszeit in der anschließenden Evolutionszeit die staatlichen Aufgaben erneut wieder zunehmend von den alten staatlichen Institutionen und Organisationen ausgeführt wurden, statt von den alten SAlern.
  • Besonders habe die alten SAler die neue starke Rolle des Militärs erzürnt, wo doch die SA das Militär vielfach als eine Art Fortsetzung der 'braunen Armee' (=SA) gedacht hatte, und wiederum vielfach unter Kommandeuren und Führern, die bis vor kurzem noch politische Gegner gewesen seien und teils immer noch/ wieder die Verhaltensweisen des 'schlechten Vorgesetzten' pflegten.
andreassolar
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Allein, dass anscheinend aus Sicht bedeutender Teile der SA - in der Wahrnehmung von Lutze - die Aktionen und Untaten der SA spätestens ab der Reichstagsbrand-Verordnung - die frühen KZ unter Regie der SA, der Straßen-Terror & die antijüdische Ausschreitungen Anfang März 1933, die Misshandlungen von willkürlich Verhafteten in den 'Sturmlokalen' der SA, als sie als Hilfspolizei in Preußen anerkannt worden war, und, und, - nicht als hinreichende Abrechnung empfunden worden war, spricht Bände und illustriert, welchen Kalibers Lutze gewesen war, da er mit großem Verständnis davon schreibt.
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