Wird die DDR-Vergangenheit verharmlost?

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Moderator: Barbarossa

Wird die DDR-Geschichte verharmlost?

Umfrage endete am 02.10.2023, 12:26

Ja, ich bin der Meinung, dass die DDR-Vergangenheit verharmlost wird.
10
63%
Nein, das stimmt nicht.
2
13%
Weder noch - das Bild auf die DDR ist differenziert und ausgeglichen.
4
25%
 
Insgesamt abgegebene Stimmen: 16
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Balduin
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Das neue Buch von Katja Hoyer "Diesseits der Mauer" ist im Feuilleton in aller Munde. Der Autorin wird eine Verharmlosung der DDR vorgeworfen, indem die Geschichte der DDR aus der Sicht des "Durchschnittbürgers" beschrieben wird, der ein recht normales Leben führen konnte.

Aus der Verlagsbeschreibung des Buchs:
Die Geschichtsschreibung der DDR wird bis heute vom westlichen Blick dominiert. Mit dem Fokus auf die Verfehlungen der Diktatur wird dabei oft übersehen, dass die meisten der 16 Millionen Einwohner der DDR ein relativ friedliches Leben mit alltäglichen Problemen, Freuden und Sorgen. Die Mauer schränkte die Freiheit ein, aber andere gesellschaftliche Schranken waren gefallen.
Was ist eure Meinung dazu? Manche unserer Mitglieder haben ja nicht wenige Jahre ihres Lebens in der DDR verbracht. Stimmt die These, die der Verlag hier darlegt?
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andreassolar
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Selbstverständlich gab es auf jeden Fall nach der Bau der Berliner Mauer allmählich einen sich etablierenden gewöhnlichen DDR-Alltag im Rahmen der Stabilisierung der DDR mit dem nicht hinterfragbaren Machtanspruch der SED. Erst recht mit der Etablierung des Konsum- und Sozialstaats-Sozialismus mit Antritt von Honecker ab 1971.

Die DDR entwickelte sich zu keiner so genannten dynamischen Diktatur, die Ostberliner Administrationen arbeiteten intensional ebenso auf keinen Krieg hin.

Wie Du schon geschrieben hast, es gibt - nicht nur in diesem Geschichtsforum - Mitglieder, die viele Jahre DDR-Leben hinter sich haben.

Daher kenne ich einen Ingenieur, recht betagt, gewitzt, clever, mit guten Kontakten nach allen Seiten, weder im Widerstand, noch subalterner Radfahrer. Viel Ostblock-Wirtschaftserfahrung.

Was der Autorin irgendwo vorgeworfen wird, und die Medienwelt lebt ja davon, braucht uns nicht so wichtig zu sein.
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Barbarossa
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Balduin hat geschrieben: 04.06.2023, 11:33 Das neue Buch von Katja Hoyer "Diesseits der Mauer" ist im Feuilleton in aller Munde. Der Autorin wird eine Verharmlosung der DDR vorgeworfen, indem die Geschichte der DDR aus der Sicht des "Durchschnittbürgers" beschrieben wird, der ein recht normales Leben führen konnte.

Aus der Verlagsbeschreibung des Buchs:
Die Geschichtsschreibung der DDR wird bis heute vom westlichen Blick dominiert. Mit dem Fokus auf die Verfehlungen der Diktatur wird dabei oft übersehen, dass die meisten der 16 Millionen Einwohner der DDR ein relativ friedliches Leben mit alltäglichen Problemen, Freuden und Sorgen. Die Mauer schränkte die Freiheit ein, aber andere gesellschaftliche Schranken waren gefallen.
Was ist eure Meinung dazu? Manche unserer Mitglieder haben ja nicht wenige Jahre ihres Lebens in der DDR verbracht. Stimmt die These, die der Verlag hier darlegt?
Ich wurde übrigens nicht befragt. ;-)

Aber zur Frage:
Es ist nicht so ganz leicht zu beantworten. Aber schon, wenn ich lese: ,,Die Mauer schränkte die Freiheit ein...'' Dann ist das ja nur ein Teil der Wahrheit. Tatsächlich war es der Staat bzw. das SED-Regime an sich, welche alle möglichen Freiheiten einschränkten. Es war ja nicht nur die Mauer, die die Reisefreiheit bzw. die persönliche Freizügigkeit einschränkte. Darüber hinaus gab es auch keine politischen Freiheiten, wie freie Wahlen und keine Meinungsfreiheit, keine unabhängige Presse und Justiz.
Zur fehlenden Meinungsfreiheit wäre (zumindest für die 80er Jahre) zu sagen, dass manch jemand durchaus den Mund aufgemacht hat und seine Meinung zu vielen Dingen sagte. Auf den Staat geschimpft wurde überhaupt viel, aber grundsätzliche Dinge durften eben nicht infrage gestellt werden und man musste auch immer darauf achten, mit wem man sprach.
Richtig ist, dass Frauen in der DDR mehr Rechte hatten. Dass Frauen ohne Einverständnis des Mannes kein Bankkonto eröffnen durften oder keine Arbeitsstelle annehmen duften - das gab es in der DDR nicht. Das kam uns im Osten tatsächlich äußerst antiquiert vor, wenn wir davon hörten. Aber das war im Westen auch nur bis in die 70er Jahre so.
Auch sonst wurde auch in der DDR von den allermeisten Menschen natürlich ein unter den gegebenen Bedingungen normales privates Leben geführt. Klar.

Zur Stasi will ich mal folgendes sagen:
Gerade etwa in Spielfilmen oder auch Dokumentationen wird sehr stark auf die Stasi fokussiert. Im realen Leben normaler Bürger spielte sie aber gar keine Rolle. Es ist ja so, dass die Stasi als Geheimdienst auch im Geheimen operierte. Ob und wann und vor allem von wem man bespitzelt wurde, bekam kaum jemand mit. Die meisten erfuhren das erst nach der Wende, als sie in die Stasiunterlagen Einsicht nahmen. Für viele Betroffene brach dann oft erst eine Welt zusammen, z. B. wenn sie erfuhren, dass nahe Verwandte oder enge Freunde die Spitzel waren.
Andererseits kam es vor, dass die Stasi ganze Familien zerstörte, wenn sie als politisch zu unbequem angesehen wurden und Kinder ihren Eltern weggenommen und zur Zwangsadoption weggegeben. Für Eltern wie Kinder wohl die größtmögliche Barbarei.

Die aus meiner Sicht größte Verharmlosung (die mich besonders ärgert) findet bei Personen der kommunistischen Bewegung statt. Noch immer tragen Straßen, Plätze usw. die Namen von Kommunisten, wie Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Ernst Thälmann usw., aber auch von Karl Marx und Friedrich Engels. Das suggeriert, dass diese Personen in irgendeiner Weise ehrenswert seien. Aber sowohl die Erschaffer des Kommunistischen Manifests, als auch diejenigen, die diese Ideologie dann in die Praxis umzusetzen versuchten, sind nicht zu ehren, sondern sehr kritisch zu betrachten. Das gilt selbst dann, wenn sie sog. Antifaschisten waren. Was nützt aber der Antifaschismus dieser Personen, wenn sie keine Demokraten waren und auch selbst ein diktatorisches System durchzusetzen versuchten?

Meine Antwort auf die Fragestellung dieses Themas wäre:
Nicht so sehr die DDR und die SED-Diktatur wird in den Medien und von den meisten Menschen verharmlost (gibt allerdings auch welche, die auch das tun - Stichwort: ,,In der DDR war nicht alles schlecht''). Vielmehr wird sich sehr stark mit der Kritik an der kommunistischen Ideologie bzw. Bewegung und deren Protagonisten zurückgehalten. Das finde ich bedenklich.
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Balduin
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Ich lese gerade das Buch "Diesseits der Mauer". Meine Eindrücke werde ich in einer Rezension zusammenfassen.

Deine Zeilen sind sehr interessant, @Barbarossa.
Auch sonst wurde auch in der DDR von den allermeisten Menschen natürlich ein unter den gegebenen Bedingungen normales privates Leben geführt. Klar.
Genau so habe ich das auch schon gehört von Menschen, die in der DDR aufgewachsen sind. Uns fehlte es an nichts, wir hatten eine glückliche Kindheit.

In der Tat wird natürlich in Spielfilmen sehr viel Fokus auf Regimegegner gelegt. Andererseits wird in Büchern wie "Der Turm" natürlich auch aufgezeigt, wie schnell man in diese Maschinerie geraten konnte. "Der Turm" möchte ich noch lesen - könnt ihr es empfehlen?

Vielleicht etwas, was man aus den ganzen Diskussionen mitnehmen kann: Die deutsche Geschichte wird sehr schwarz-weiß beschrieben. Auf der einen Seite die westliche gute BRD, die Erfolg hat und ihren Menschen ein freies Leben ermöglicht, auf der anderen Seite die schlechte DDR, die ihre Bürger einsperrte, bespitzelte und fast Pleite war. Dass die DDR eine Diktatur war und es gut ist, dass diese Zeit vorbei ist, ist klar. Nur kann ich mir vorstellen, dass sich Menschen, die in der DDR aufwuchsen und dort ein (zufriedenes) Leben führten, in ihrer Biographie zurück- und herabgesetzt fühlen.
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He has called on the best that was in us. There was no such thing as half-trying. Whether it was running a race or catching a football, competing in school—we were to try. And we were to try harder than anyone else. We might not be the best, and none of us were, but we were to make the effort to be the best. "After you have done the best you can", he used to say, "the hell with it". Robert F. Kennedy - Tribute to his father
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Barbarossa
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Balduin hat geschrieben: 11.06.2023, 10:57 Ich lese gerade das Buch "Diesseits der Mauer". Meine Eindrücke werde ich in einer Rezension zusammenfassen.

Deine Zeilen sind sehr interessant, @Barbarossa.
Auch sonst wurde auch in der DDR von den allermeisten Menschen natürlich ein unter den gegebenen Bedingungen normales privates Leben geführt. Klar.
Genau so habe ich das auch schon gehört von Menschen, die in der DDR aufgewachsen sind. Uns fehlte es an nichts, wir hatten eine glückliche Kindheit...
Dieser Satz ist dann allerdings doch von Verdrängung geprägt und stimmt so nicht. Es mangelte im Grunde an fast allem - selbst an den normalen Lebensmitteln des täglichen Bedarfs. Ich erinnere mich z. B., dass mich meine Mutter vor einer Familienfeier mit einem Einkaufszettel losschickte mit dem Hinweis: Versuche mal alles zu bekommen.
Und dann fuhr ich mit dem Fahrrad los in meiner Stadt mit 25.000 Einwohnern von Kaufhalle zu Kaufhalle zu Kaufhalle... Es gab schon eine ganze Reihe von diesen Einkaufsmöglichkeiten, aber am Ende fehlte doch noch irgendwas.
Die schlechte Versorgungslage in der Stadt bemängelte sogar eine Lehrerin, was bemerkenswert war. Heute glaube ich aber, dass bei uns in der Stadt von den Verkäuferinnen sehr viel für Verwandte und Bekannte von einer Lieferung zurückgehalten wurde - eine Hand wäscht die andere. In einer Mangelwirtschaft ist das eben so.
Balduin hat geschrieben: 11.06.2023, 10:57 ...
Nur kann ich mir vorstellen, dass sich Menschen, die in der DDR aufwuchsen und dort ein (zufriedenes) Leben führten, in ihrer Biographie zurück- und herabgesetzt fühlen.
Wirklich zufrieden war man aufgrund der beschriebenen Versorgungslage eben nur bedingt. Klar - niemand musste hungern und es war auch niemand arbeitslos. Letzteres war auch eines der wichtigsten Argumente der SED: ,,Alle haben Arbeit, aber schaut mal: In der BRD gibt es viele Arbeitslose und sogar Obdachlose und Drogensüchtige und und und''
So hat das Regime argumentiert.
Aber am Ende hörte keiner mehr darauf und wollten trotzdem viele in den Westen und die friedliche Revolution begann...

Was dann der größte Fehler der Leute im Westen war, das war z. B. sowas wie die Bezeichnung ,,Buschzulage'', wenn Beamte aus dem Westen für den Osten geworben wurden, um hier die Verwaltung neu aufzubauen. Dass sowas frustriert (,,Wir haben also im Busch gelebt - aha...) liegt auf der Hand. Wir wollten die Einheit, um ziemlich rasch einen ähnlichen Lebensstandart zu kommen, wie im Westen. Demokratie und die Freiheiten hatten wir uns selbst schon erkämpft 1989/90.
Aber die Wirtschaft lag am Boden, weil sie die gesamten 80er Jahre aufgrund fehlender Mittel nur noch auf Verschleiß gefahren wurde - mit den entsprechenden Auswirkungen für die Produktion (auch das wird heute vielfach verdrängt, aber mein Vater erzählte vom fehlenden Material zur Reparatur und Wartung der Anlagen im Stahlwerk Hennigsdorf). Lediglich die Betriebsteile, die auch für den Export arbeiteten (wo ich gearbeitet habe, auch im Stahlwerk Hennigsdorf), die liefen kontinuierlich und weitgehend ohne Störzeiten.

Ich denke, im Zuge der Einheit Deutschlands ist einiges schief gelaufen. Das war zum Einen die fehlende Anerkennung der Arbeitsleistungen, die hier im Osten trotz schwierigster Arbeitsbedingungen und auch Lebensbedingungen erbracht werden mussten. Insbesondere, wer damals gebaut hat, kann da sicher ein ganzes Buch drüber schreiben. Das ging eigentlich nur über Beziehungen und privat. Zum anderen (bitte nicht falsch verstehen) auch von einigen eine arrogante Haltung von Leuten aus dem Westen gegenüber uns im Osten.

Und was ich z. T. aus Diskussionen gerade auch hier bei uns im Forum mitgenommen habe ist: Dass die deutsche Einheit im Westen um 1990 herum bei den Meisten eigentlich gar kein Thema war. Vielmehr ärgerten sich viele über Preissteigerungen, die im Zuge der Einigung stattfanden.
Von deutschem Patriotismus habe ich aus dem Westen sehr wenig vernommen - auch ein Unterschied zu uns im Osten. Zumindest nach meiner Wahrnehmung... (?)
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Barbarossa hat geschrieben: 11.06.2023, 13:57 Von deutschem Patriotismus habe ich aus dem Westen sehr wenig vernommen - auch ein Unterschied zu uns im Osten. Zumindest nach meiner Wahrnehmung... (?)
Das bringt mich dazu, über den Unterschied von Patriotismus und Nationalismus nachzudenken. Patriotismus empfindet man mit mit einer gewissen Intelligenz und Liebe zur Heimat. Nationalismus kann jede Dumpfbacke.
https://www.saechsische.de/wenn-patriot ... 42981.html
...Zugleich, so bilanzieren die Historiker, förderte und betonte die Staatsführung der DDR Werte wie Heimat, Bräuche und Volkstum intensiv, was nachgerade in traditionellen Regionen wie Sachsen viele Früchte trug. Insbesondere dieser Lokal- und Regionalpatriotismus, der das Eigene ja immer höher stellt als das andere und Fremde, sei eine Quelle gewesen und geblieben, aus der die Neue Rechte fleißig schöpfen kann.

Möglich, daß für Patriotismus auch eine gewisse Ortsgebundenheit hilfreich ist. Mir fehlt da etwas: Großmutter aus Kolberg, Großvater aus dem Elsaß, Vater aus Bremerhaven, Mutter aus Zwickau und die eigene Frau aus der Schweiz. - Sie lebt dort immer auf, wenn sie sich wieder mit „Schwyzerdütsch“ zuhause fühlt.
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Die deutsche Geschichte wird sehr schwarz-weiß beschrieben.
Von wem?
Die vereinfachten (medialen) Rückschauen - zumal von 'Spätgeborenen' - kann man sowieso mehr zur Unterhaltung rechnen.
Die BRD-Geschichte war spannend wie vielfältig und vielschichtig. Wer erinnert sich noch an Wehner, an FJS, die Spiegel-Affäre, die Starfighter-Affaire, die heftig umstrittene Brandt'sche neue Ostpolitik ab 1970, die Anti-Atomtotbewegung, die Anti-AKW-Bewegung, usw. usw. usw.
Es mangelte im Grunde an fast allem - selbst an den normalen Lebensmitteln des täglichen Bedarfs.
Doch erst ab den späten 1970ern/1980ern, meine ich.

Die Aufbauleistung in der DDR in den 1950ern u. 1960er war beachtlich, erschwert natürlich durch sozialistische Planwirtschafts-Ideen nach sowjetischen Vorbild, Reparationen und Abwanderungen in den 'Westen', zumindest bis zum Berliner Mauerbau. Dann kam die NÖP (Apel), dann der teils kreditfinanzierte Konsum- und Sozialstaatssozialismus unter Honecker analog zum neuen sowjetischen Kurs unter Breshnew.
Und was ich z. T. aus Diskussionen gerade auch hier bei uns im Forum mitgenommen habe ist: Dass die deutsche Einheit im Westen um 1990 herum bei den Meisten eigentlich gar kein Thema war. Vielmehr ärgerten sich viele über Preissteigerungen, die im Zuge der Einigung stattfanden.
Besonders bei denen, die nach 45/49 in der BRD geboren worden waren und die die ab den 1960er einsetzende gesellschaftliche Liberalisierung und 'Entnationalisierung', verbunden mit einer gewissen Verwestlichung der Jugendkultur, miterlebten und mitgestalteten.
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Barbarossa
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andreassolar hat geschrieben: 11.06.2023, 23:39
Es mangelte im Grunde an fast allem - selbst an den normalen Lebensmitteln des täglichen Bedarfs.
Doch erst ab den späten 1970ern/1980ern, meine ich.
Ja, die Zeit meinte ich auch. Es war wohl die Weltwirtschftskrise ab 1979, die auch am Ostblock nicht vorbei ging. Ab da wurde bei uns die Versorgungslage schlechter. Und davon erholte sich der Osten auch nicht mehr, sondern es wurde dann jedes Jahr immer schlechter.
andreassolar hat geschrieben: 11.06.2023, 23:39 Die Aufbauleistung in der DDR in den 1950ern u. 1960er war beachtlich, erschwert natürlich durch sozialistische Planwirtschafts-Ideen nach sowjetischen Vorbild, Reparationen und Abwanderungen in den 'Westen', zumindest bis zum Berliner Mauerbau. Dann kam die NÖP (Apel), dann der teils kreditfinanzierte Konsum- und Sozialstaatssozialismus unter Honecker analog zum neuen sowjetischen Kurs unter Breshnew.
Keine Frage: Die Arbeits- und Aufbauleistungen waren auch in der DDR enorm und das trotz der widrigen Bedingungen. Aber diese widrigen Bedingungen und Materialmängel sorgten dann am Ende der DDR auch dafür, dass kaum noch etwas erhalten bzw. gewartet werden konnte.
Übrigens gab es im Osten viel länger als im Westen noch Lebensmittelkarten zur Versorgung der Bevölkerung. Wenn ich richtig gelesen habe, noch bis in die 60er Jahre hinein.
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andreassolar
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Es war wohl die Weltwirtschftskrise ab 1979, die auch am Ostblock nicht vorbei ging. Ab da wurde bei uns die Versorgungslage schlechter.
Die war nicht die Ursache. Sowohl in Polen wie in Rumänien wurde in den 1970er großzügig auf Pump Industrieanlagen im NSW eingekauft, ohne dass ausreichend Vorprodukte und Absatzmärkte für die dann eben doch nicht ganz weltmarktfähigen Produkte vorhanden waren. Damit sank die Kreditwürdigkeit dieser Länder, ihre laufenden Schulden im NSW konnten eben nicht durch die Produktion der neuen importierten Anlagen refinanziert werden.

Um die Schulden zu bedienen bzw. sie abzubauen, um die zunehmende Westabhängigkeit zu reduzieren, wurde alles in den 'Westen' verhökert, was sich verhökern lies. Fleisch, landwirtschaftliche sonstige Produkte, billige Massenware unter dem Selbstkostenpreis, mit hohem Aufwand speziell für das NSW hergestellte Produkte usw.

Das Honecker-Regime lebte mit dem eingeleiteten Konsum- und Sozialstaats-Sozialismus ab den 1970ern ebenfalls über seine Verhältnisse, hatte aber Vorteile durch den innerdeutschen Handel und den 'Swing'-Kredit. Und die DDR-Administration bezog aus der SU viel billiges Rohöl, verwendete davon aber nur einen Teil für die eigene Wirtschaft, ein beachtlicher Teil wurde zu gefragten Öl-Derivaten und Chemie-Produkten im NSW verkauft. Doch da kam die Breshnew-Administration nach dem 1. globalen Ölpreisschock vom Herbst 1973 ab Mitte der 1970er auf die Idee, neue Exportpreise für das sowjetische Rohöl zu verlangen, nun sollten die Weltmarkt-Durchschnittpreise der jeweils letzten 5 Jahre, jährlich berechnet, den Preisrahmen bilden. Und so verteuerte sich das Rohöl aus der SU ab den späteren 1970ern für die DDR.


Aber Ende der 1970er war auch die DDR in eine Abhängigkeit von Westimporten und Westkrediten geraten, was die Regierung mit den gleichen Mitteln ändern wollte/musste und änderte wie in Polen oder in Rumänien. Und auch die DDR-Produktivität und die Weltmarktfähigkeit der DDR-Produkte reichte nicht für einen ausgeglichenen Saldo im Außenhandel mit den NSW.
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Barbarossa
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Ok, danke.
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Balduin
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Meine Rezension zum Buch könnt ihr hier lesen: https://geschichte-wissen.de/blog/rezen ... tja-hoyer/

Auf eure Gedanken und Meinungen bin ich gespannt!
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Barbarossa
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Das Buch scheint verschiedene Aspekte zu beleuchten und das braucht es auch, um die Geschichte zu verstehen.
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@Balduin:
...Das Buch über die DDR beginnt dabei mit der Biographie des Mannes, der sie über Jahre prägen sollte – Walter Ulbricht. Es ist der richtige Ansatz, die Erlebnisse des Kommunisten – vor allem in der Sowjetunion zu Zeiten von Stalins Säuberungen – an den Anfang zu stellen, um verstehen zu können, wie die sozialistische Führungselite geprägt war. Dabei arbeitet Hoyer die zunehmende Entfremdung zwischen Bürgern und dem SED-Apparat anschaulich heraus: Bestes Beispiel ist die sogenannte Waldsiedlung, wo die SED-Führung unter sich abgeschottet mit Stasi-Bewachung lebte.

...Es kann auch kaum die Rede davon sein, dass die Diktatur – die die DDR fraglos war – verharmlost wird: Das Buch widmet sich umfassend dem Aufbau der Stasi und zeigt, wie diese unter Mielke zunehmend jeden Lebensbereich erfasste und wie dadurch die DDR zu einem der größten Polizeistaaten der Welt wurde. Wenn die brutalen und menschenunwürdigen Foltermethoden der Stasi beschrieben werden, erfolgt das sehr eindrücklich und schonungslos.


Wie schwer muß es da diesem Erich Mielke gefallen sein, seine in ihm schlummernde Humanitas über 40 Jahre lang zu unterdrücken. Aber am 13.11.1989 mußte es raus. Vor der versammelten Volkskammer der DDR, in seiner ersten und einzigen Rede, gestand er:
https://www.youtube.com/watch?v=1XBEqyu5Mck

Und alle, alle da oben liebten doch ihre Untertanen. - Diese ertrugen es tapfer und warteten z.B. zwölf Jahre lang auf einen „Trabi“.
andreassolar
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@Balduin, gute Rezension.

Es ist, wie vermutet: Der ALLTAG in der DDR als ein Gegenstand des Titels wurde von einigen zur 'Verharmlosung' der Diktatur skandalisiert.
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Kürzlich las ich eine lange, detaillierte Rez. des Hoyer-Titel, da wurden doch etliche bemerkenswerte Stellen zitiert, die deutlich eine gewisse Verharmlosung bestimmter Ereignisse erkennen ließ.

Etwas gewöhnungsbedürftig waren da beispielsweise Teile von Hoyers Ausführungen zum Aufstand des 17. Juni...
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