Dietrich hat geschrieben:Somit lassen sich die Germanen mit gewissen Einschränkungen schon als Ethnie bezeichnen. Bei Wiki las ich dazu: "Als Germanen wird eine Anzahl von ehemaligen Stämmen in Mitteleuropa und im südlichen Skandinavien bezeichnet, deren ethnische Identität in der Forschung traditionell über die Sprache bestimmt wird."
Das ist die Sichtweise, die lange Zeit unbestritten war und die wir römischen und griechischen Schriftquellen "verdanken", deren Darstellung weitgehend unhinterfragt übernommen wurde. Diese Sichtweise ist aber nicht unumstritten, wie auch der von Dir angesprochene Wiki-Artikel anmerkt. Dort heißt es:
"
In jüngster Zeit wird in der Forschung die Instabilität ethnischer Identität gerade in der Antike verstärkt betont und das aus dem nationalstaatlichen Denken des 18./19. Jahrhunderts stammende Konzept der Germanen zunehmend in Frage gestellt. „Germane“ sei (wie „Barbar“) nur eine Fremdbezeichnung, die mehr über Griechen und Römer aussage als über die mit den Begriffen bezeichneten Gruppen und Individuen. Vereinzelt wird sogar gefordert, Germane und germanisch im wissenschaftlichen Kontext überhaupt nicht mehr zu verwenden.[4]"
Die Fußnote verweist auf Jörg Jarnut: Germanisch. Plädoyer für die Abschaffung eines obsoleten Zentralbegriffs der Frühmittelalterforschung, in: Walter Pohl (Hrsg.): Die Suche nach den Ursprüngen. Von der Bedeutung des frühen Mittelalters. Wien 2004
Die Tatsache, dass wir anhand der archäologisch nachweisbaren Sachkultur charakteristische Merkmale nachweisen können, verleitet ebenfalls dazu, auf unterschiedliche Ethnien zu schließen. Das ist aber ebenfalls fragwürdig. Würde in 2000 Jahren ein Archäologe Deutschland untersuchen, dann müsste er - ausgehend von dieser Prämisse, dass Sachkultur und Ethnie zusammengehören - zu dem Schluss kommen, dass in der DDR eine andere Ethnie lebte, die von der westdeutschen verdrängt worden ist.
Bezogen auf die Unterscheidbarkeit von Kelten und Germanen hier ein interessanter Link, in dem es um genau diese Frage geht:
http://www.swr.de/blog/1000antworten/an ... berresten/
Die Stämme der Langobarden, Chatten, Cherusker, Hermunduren, Markomannen usw. usw. werden von der Forschung eindeutig als germanische Stämme betrachtet, die folglich germanische Idiome sprachen. Diese Annahme ist unbestritten, auch wenn es keine Schriftquellen der Markomannen oder Chatten gibt.
Das ist ein Zirkelschluss. Sie waren germanische Stämme, deshalb müssen sie ein germanisches Idiom gesprochen haben, und dieses germanische Idiom beweist, dass es germanische Stämme waren. Auch darauf geht Gerhard Ermischer im dem SWR-Link ein. Er verweist darauf, dass wir keine Ahnung haben, welche Sprachen die Leute gesprochen haben, die wir aufgrund der Sachkultur einer bestimmten Ethnie zuordnen.
Tatsächlich ist nichtmal bewiesen, dass es eine "urgermanische" Sprache überhaupt gab. Ihre Existenz wird lediglich postuliert und sie wird retrospektiv "rekonstruiert", indem die Linguisten sich überlegen, wie ein Wort vor einer bestimmten Lautverschiebung ausgesprochen worden sein
müsste.
Die Existenz einer germanischen Sprachfamilie ist erst gegen Ende der Völkerwanderungszeit wirklich nachweisbar. Also 500 bis 1000 Jahre nach der angenommenen Ko-Existenz von Kelten und Germanen. Und da hatten wir dann nicht eine germanische Sprache, sondern mindestens vier. Dem vorausgegangen war in Teilen des als "germanisch" eingestuften Siedlungsgebiets eine mindestens 400 Jahre andauernde Bindung an die römische Welt. In anderen Teilen ist alles durch die Völkerwanderung nachhaltig durcheinandergemixt worden.
Sprache entwickelt sich schnell und dynamisch, wenn sie nicht durch Duden und festgelegte Rechtschreibung reguliert wird. Das merkt man, wenn man zum Beispiel in eine oberhessische Region geht, in der noch Dialekt gesprochen wird. Da versteht der durchschnittliche Deutsche weniger, als wenn er sich in England aufhalten würde.
Es gibt keine germanischen Oppida. Es existieren lediglich von Germanen weiterbenutzte keltische Anlagen, die beim Vorrücken der Germanen nach Süden in germanische Hände fielen.
Dann ist es erklärungsbedürftig, warum es im heutigen Nordhessen und in Thüringen Oppida gab, die bis zur Zeitenwende parallel zu einer eindeutig als "germanisch" eingestuften Sachkultur existierten, und warum keine Anzeichen für eine Verdrängung vorliegen. Ich verlinke nochmal die Oppida-Seite (die übrigens kein Subkultur-Quatsch ist, sondern ein von der Europäischen Kommission gefördertes internationales Projekt):
http://www.oppida.org/index-de.html