Kelten und Germanen

Moderator: Barbarossa

Dietrich
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Kohlhaas hat geschrieben: Das war lange Zeit herrschende Meinung. Dazu fand ich folgendes interessantes Interview:
http://www.spiegel.de/spiegel/spiegelge ... 05309.html
Jaja, ich kenne die Geschichte von der "Erfindung der Germanen". Ist aber im Kern nicht so gemeint.

Im Grunde ist das ein alter Hut. Natürlich sind die Germanen nie ein "Volk" gewesen, denn sie zerfielen in zahlreiche Stämme und Bevölkerungsgruppen. Heute sagt man dazu, sie waren eine "Sprach- und Kulturgemeinschaft". Ganz ähnlich gilt das auch für die Kelten.

Dennoch sprachen die germanischen Bevölkerungsgruppen germanische Idiome, die keltischen keltische Idiome. Und beides waren ganz verschiedene Sprachen. Seit antiker Zeit unterscheidet dann die Geschichts- und Sprachforschung Nord-, West- und Ostgermanen mit ihren jeweils verschiedenen germanischen Sprachvarianten.
Kohlhaas
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Versteh mich nicht falsch. Im Grund spiele ich gerade den Advocatus diaboli. Auch ich bin immer davon ausgegangen, dass Germanen und Kelten unterschiedliche Gruppen waren. Bei genauem Hinsehen muss man aber einräumen, dass man sich da gar nicht so sicher sein kann.

Ein Beispiel mag die Sprache sein: Woher wissen wir eigentlich, dass sich das Keltisch so stark vom Germanischen unterschied? Wie es in dem verlinkten Interview heißt, behauptet Caesar das. Er schrieb, Ariovist habe anders gesprochen als die Gallier. Es könnte sich auch um verschiedene Dialekte gehandelt haben. Die keltische Sprache ist kurz nach Caesar verschwunden und die erste einigermaßen gut dokumentierte germanische Sprache ist das Gotische (300 Jahre jünger). Was die barbarischen Zeitgenossen Caesars tatsächlich gesprochen haben, wissen wir nicht.

Archäologisch können wir gut unterscheiden zwischen Kulturkreisen, aber nicht notwendigerweise auch zwischen Ethnien. Keltisch nennen wir alles, was mit Oppida-Kultur (Hallstadt, La Tène) zu tun hat, germanisch nennen wir alles andere. Offenbar existierten diese beiden Kulturkreise aber gemischt nebeneinander, und zwar über lange Zeiträume hinweg.

Weiter oben hatte ich einen Link zu einer Karte der Oppida gesetzt. Sie lässt erkennen, dass die Ausläufer der Oppida-Kultur bis nach Kassel (Altenburg bei Niedenstein) hinauf reichten. Also in eine Region, die nach den römischen Überlieferungen definitiv germanisch besiedelt war, von den Chatten nämlich. Das Oppidum Altenburg wurde Mitte des 1. Jh. v.Chr. aufgegeben, Anzeichen für eine Vertreibung oder Verdrängung gibt es nicht. Germanen und Kelten müssen dort in enger Koexistenz gelebt haben und sie müssen auch in der Lage gewesen sein, sich zu verständigen. Wenn es überhaupt unterschiedliche Gruppen waren.

Übrigens scheinen die nördlichen Oppida eher jüngeren Datums zu sein. Spät-LaTène. Das könnte man auch so deuten, dass sich nicht germanische Stämme nach Süden ausgebreitet haben, sondern das Einflüsse der Oppida-Kultur nach Norden gewandert sind - dass also eine von uns als keltisch bezeichnete Lebens- und Wirtschaftsweise von als "germanisch" definierten Stämmen übernommen und dann kurz nach dem gallischen Krieg wieder aufgegeben worden ist.
Paul
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Wenn die Städte an der Lahn z.B. Wetflaria, Limburg, Weilburg, Butzbach, Bad Nauheim... keine klassischen Oppida waren, sondern schon eher den mittelalterlichen Städten ähnelten, dann ist das doch sehr interessant.
Die in die Regionen südlich der Adrana einwandernden Chatten trafen auf die Ubier, mit denen sie sich problemlos auf Hochgermanisch verständigen konnten. Die Chatten übernahmen dann die Wirtschaftsweise der Ubier, mit denen sie sich vermischten. Die Bevölkerung Hessens blieb bei der intensiven Landwirtschaft mit Fruchtwechselwirtschaft, die sich dann langsam in ganz Germanien ausbreitete.
viele Grüße

Paul

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Dietrich
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Kohlhaas hat geschrieben:Versteh mich nicht falsch. Im Grund spiele ich gerade den Advocatus diaboli. Auch ich bin immer davon ausgegangen, dass Germanen und Kelten unterschiedliche Gruppen waren. Bei genauem Hinsehen muss man aber einräumen, dass man sich da gar nicht so sicher sein kann.
Dass Germanen und Kelten sehr verschiedene ethnische Gruppen waren, ist für die Geschichtswissenschaft eine selbstverständliche Tatsache. Was hingegen umstritten ist, ist der Volksbegriff. Dazu würde nach heutigen Standards eine übergeordnete germanische Identität zählen, was nach Meinung der allermeisten Spezialisten nicht der Fall war. Nicht einmal die späteren Stammesherzogtümer des 8./9. Jh. verband ein Gefühl nationaler Identität. Daher trifft der Begriff einer "Sprach- und Kulturgemeinschaft" ganz gut den Kern.
Kohlhaas hat geschrieben:Ein Beispiel mag die Sprache sein: Woher wissen wir eigentlich, dass sich das Keltisch so stark vom Germanischen unterschied?
Weil wir zahlreiche keltische und germanische Schriftquellen haben, die das ausreichend belegen. Keltisch und Germanisch sind zwei völlig verschiedene Sprachen innerhalb der Kentumgruppe der indoeuropäischen Sprachfamilie. Zu dieser Kentumgruppe zählen neben Keltisch und Germanisch noch Griechisch, Tocharisch, Hethitisch und die italischen Sprachen. Alle diese Sprachen sind durch Schriftquellen überliefert, sodass die Sprachwissenschaft ihre Stellung innerhalb der indoeuropäischen Sprachfamilie gut erforscht hat.
Kohlhaas hat geschrieben:Archäologisch können wir gut unterscheiden zwischen Kulturkreisen, aber nicht notwendigerweise auch zwischen Ethnien. Keltisch nennen wir alles, was mit Oppida-Kultur (Hallstadt, La Tène) zu tun hat, germanisch nennen wir alles andere. Offenbar existierten diese beiden Kulturkreise aber gemischt nebeneinander, und zwar über lange Zeiträume hinweg.
Waffen, Schmuck, Keramik und andere Erzeugnisse aus keltischer Produktion lassen sich gut von germanischen Hinterlassenschaften unterscheiden. Die Kelten hatten zur Zeit ihrer Blüte eine Kulturstufe erreicht, die weit vor der germanischen stand. Lediglich dort, wo sich die Kulturkreise an den Rändern berührten, gab es eine Mischzone, in der die Germanen entweder keltische Erzeugnisse erwarben oder aber unbeholfene Kopien produzierten.
Kohlhaas hat geschrieben:Weiter oben hatte ich einen Link zu einer Karte der Oppida gesetzt. Sie lässt erkennen, dass die Ausläufer der Oppida-Kultur bis nach Kassel (Altenburg bei Niedenstein) hinauf reichten.
Die Germanen kannten keine oppidaähnlichen Siedlungen und kamen über Einzegehöfte und kleine Weiler nicht hinaus. Die nach Süden vorrückenden Germanen drängten die Kelten ab etwa 200 v. Chr. zurück. Es kann als sicher gelten, dass sie dabei keltische Bevölkerungsgruppen assimilierten und aufsogen, sodass in diesem Zusammenhang manche keltischen Fetigkeiten fortlebten.

Ganz grundsätzlich ist zu sagen, dass die Frage der Ethnizität ein fortdauerndes Problem der Archäologen, Historiker und Ethnologen berührt, besonders im Zeitraum der Früh- und Vorgeschichte: Welche Sachfunde und sonstigen Überreste weisen auf ein bestimmtes Volk oder eine ethnische Gruppe hin? Ein Skelett, eine Waffe, ein Schmuckstück oder eine Keramikscherbe können nicht immer so eindeutig bestimmt werden, dass daraus eine ethnische Zugehörigkeit ablesbar ist. Eine Schmuck- oder Waffenmode kann sich bei verschiedenen Stämmen oder Bevölkerungsgruppen verbreitet haben, die Oberherrschaft einer Gruppe über eine andere kann die Beherrschten zu einer stilistischen Nachahmung bei der Fertigung von Gütern bewogen haben. Und schon das, was wir als "Ethnie" bezeichnen, ist in sich kein monolithischer Block, zuweilen nur eine Stammeskonföderation mit unsicherer ethnischer Zugehörigkeit.

Es bleibt also nichts anderes übrig, als die Verortung vermuteter Ethnien an Sachfunden festzumachen, die von der Forschung als typisch für gerade diese Ethnie betrachtet werden. Die Funde müssen sachkundig interpretiert und ihre historische Einordnung muss anhand kunstgeschichtlicher und fertigungstechnischer Merkmale erfolgen.

Es kann nicht verwundern, dass die Ergebnisse solcher Verfahren vielfach heftig umstritten sind und man oftmals nur von Hypothesen oder Theorien sprechen kann.
Kohlhaas
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Dietrich hat geschrieben:Dass Germanen und Kelten sehr verschiedene ethnische Gruppen waren, ist für die Geschichtswissenschaft eine selbstverständliche Tatsache. Was hingegen umstritten ist, ist der Volksbegriff.
Schwer zu unterscheiden. Das Wort Ethnie leitet sich vom griechischen Ethnos=Volk ab. Ethnologen bezeichnen mit Ethnie "eine Menschengruppe mit gemeinsamer Abstammung, Stammesüberlieferung und Wir-Bewusstsein. ... Der Begriff Ethnie entspricht am ehesten dem deutschen Terminus 'Stamm'. Die Eigenweltlichkeit wird durch Identifikation mit Gruppenmitgliedern und Negation der Fremdethnien konstituiert" (Walter Hirschberg). Folglich können zumindest die Germanen keine Ethnie gewesen sein, weil sie sich selbst nie als "Germanen" betrachtet haben. Ob sich die keltischen Stämme als Angehörige einer gemeinsam Ethnie empfunden haben, ist ähnlich zweifelhaft.
Weil wir zahlreiche keltische und germanische Schriftquellen haben, die das ausreichend belegen. Keltisch und Germanisch sind zwei völlig verschiedene Sprachen innerhalb der Kentumgruppe der indoeuropäischen Sprachfamilie.
Hier täuscht Du Dich. Aus der Zeit, über die wir hier reden, gibt es überhaupt keine germanischen Schriftquellen und nur ein paar wenige keltiberische, die in grichischer oder lateinischer Schrift verfasst und zudem kaum interpretierbar oder linguistisch wertlos sind (Namensliste). Die ältesten germanischen Schriftquellen stammen aus dem 4. Jahrhundert, die ältesten Schriften aus den winzigen keltischen Restgebieten sind noch etwas jünger.

Das erste Anzeichen, dass sich eine "germanische Sprachfamilie" herausbildete, ist die erste germanische Lautverschiebung. Über die kann nur ausgesagt werden, dass sie in der zweiten Hälfte des ersten vorchristlichen Jahrtausends stattfand. Also 500 v.Chr. oder später. Also vermutlich nach Ende der Hallstattzeit und als die Latène-Kultur bereits im Aufblühen begriffen war. Dass es schon vorher unterschiedliche Sprachen gab, ist durch nichts beweisbar. Unterschiedliche Dialekte gab es ganz sicher - vermutlich sogar so unterschiedliche, dass die Fremdsprachlern wie verschiedene Sprachen vorkamen.
Die Germanen kannten keine oppidaähnlichen Siedlungen und kamen über Einzegehöfte und kleine Weiler nicht hinaus. Die nach Süden vorrückenden Germanen drängten die Kelten ab etwa 200 v. Chr. zurück. Es kann als sicher gelten, dass sie dabei keltische Bevölkerungsgruppen assimilierten und aufsogen, sodass in diesem Zusammenhang manche keltischen Fetigkeiten fortlebten.
Was ist dann mit dem von mir erwähnten Oppidum Altenburg? Es liegt bei Niedenstein nahe Kassel. Die Masse der Funde, die dort ausgegraben wurden, ist junglatènezeitlich. Sie stammen also aus dem Zeitraum zwischen 150 v.Chr. und ca. 25 v.Chr. Die letzten Besiedelungsspuren enden 25 n.Chr. ohne erkennbaren Grund. Das spricht nicht für eine Verdrängung nach Süden ab 200 v.Chr sondern eher für eine späte Ausbreitung keltischer Gruppen nach Norden. Wahrscheinlicher ist aber eine Ausbreitung der Wirtschaftsweise der Oppida-Kultur.
Es bleibt also nichts anderes übrig, als die Verortung vermuteter Ethnien an Sachfunden festzumachen, die von der Forschung als typisch für gerade diese Ethnie betrachtet werden.
Die Forschung stellt da wohl eher auf Kulturkreise ab. Wollten wir mit Sachfunden die Existenz von Ethnien nachweisen, müssten wir wegen der intensiven Handelsbeziehungen zwischen den Oppida zu dem Schluss kommen, dass die Kelten ein Staatswesen unterhielten, das von den Alpen bis zum Mittelgebirge und vom Atlantik bis ins Balkangebiet hineinreichte.
Dietrich
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Kohlhaas hat geschrieben: Schwer zu unterscheiden. Das Wort Ethnie leitet sich vom griechischen Ethnos=Volk ab. Ethnologen bezeichnen mit Ethnie "eine Menschengruppe mit gemeinsamer Abstammung, Stammesüberlieferung und Wir-Bewusstsein. ... Der Begriff Ethnie entspricht am ehesten dem deutschen Terminus 'Stamm'.
Ich sagte bereits, dass man hinsichtlich der Germanen heutzutage von einer "Sprach- und Kulturgemeinschaft" spricht. Ähnlich trifft das auch auf die Kelten zu. Hinsichtlich der Sprache und Kultur lassen sich Germanen, Kelten, Slawen oder Balten gut voneinander abgrenzen. Ein übergeordnetes Identitätsgefühl gab es bei den Germanen und vermutlich auch bei den Kelten nicht. Somit lassen sich die Germanen mit gewissen Einschränkungen schon als Ethnie bezeichnen. Bei Wiki las ich dazu: "Als Germanen wird eine Anzahl von ehemaligen Stämmen in Mitteleuropa und im südlichen Skandinavien bezeichnet, deren ethnische Identität in der Forschung traditionell über die Sprache bestimmt wird."

Ob man die Germanen nun als "Ethnie" bezeichnen will, dazu gibt es unterschiedliche Positionen.
Kohlhaas hat geschrieben:Hier täuscht Du Dich. Aus der Zeit, über die wir hier reden, gibt es überhaupt keine germanischen Schriftquellen und nur ein paar wenige keltiberische, die in grichischer oder lateinischer Schrift verfasst und zudem kaum interpretierbar oder linguistisch wertlos sind (Namensliste). Die ältesten germanischen Schriftquellen stammen aus dem 4. Jahrhundert, die ältesten Schriften aus den winzigen keltischen Restgebieten sind noch etwas jünger.
Es lohnt nicht, das weiter auszuspinnen. Die Stämme der Langobarden, Chatten, Cherusker, Hermunduren, Markomannen usw. usw. werden von der Forschung eindeutig als germanische Stämme betrachtet, die folglich germanische Idiome sprachen. Diese Annahme ist unbestritten, auch wenn es keine Schriftquellen der Markomannen oder Chatten gibt.
Kohlhaas hat geschrieben:Was ist dann mit dem von mir erwähnten Oppidum Altenburg?
Es gibt keine germanischen Oppida. Es existieren lediglich von Germanen weiterbenutzte keltische Anlagen, die beim Vorrücken der Germanen nach Süden in germanische Hände fielen.
Paul
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Um Chr. Geburt gibt es Rheinland sehr viele Kurze germanische inschriften auf Weihesteinen, Gräbern...Peter Paul Schweitzer hat sie als Hochgermanisch analysiert. Sie gaben Hinweise auf die Rhechtsrheinischen Ursprungssiedlungen, Flüsse und Gottheiten. Auf einem Norditalienischen Helm gab es eine Inschrift etwa 200 vor Chr. über ihren germanischen Inhaber, welcher wahrscheinlich in einer Stadtwache arbeitete.
Rhechtsrheinisch gab es viele germanische Städte, welche nur zum Teil Höhensiedlungen waren. Es gibt gar keine Beweise dafür, das die Ubier/Usipeter/Tenkterer...keltische Bevölkerungen überlagert hätten. Peter Paul Schweitzer geht von einer ununterbrochenen Sprachentwicklung zum Germanischen aus. Dies läßt sich auch aus den Gewässernamen z.B. der Loganaha o. Adrana erkennen.
Cäsar hatte jahrelangen Kontakt mit den Ubiern in seiner Laibwache und mit den Offizieren seiner ubischen Truppen. Er definiert die Ubier in Bella Galika eindeutig als kultivierte Germanen.
viele Grüße

Paul

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Kohlhaas
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Dietrich hat geschrieben:Somit lassen sich die Germanen mit gewissen Einschränkungen schon als Ethnie bezeichnen. Bei Wiki las ich dazu: "Als Germanen wird eine Anzahl von ehemaligen Stämmen in Mitteleuropa und im südlichen Skandinavien bezeichnet, deren ethnische Identität in der Forschung traditionell über die Sprache bestimmt wird."
Das ist die Sichtweise, die lange Zeit unbestritten war und die wir römischen und griechischen Schriftquellen "verdanken", deren Darstellung weitgehend unhinterfragt übernommen wurde. Diese Sichtweise ist aber nicht unumstritten, wie auch der von Dir angesprochene Wiki-Artikel anmerkt. Dort heißt es:

"In jüngster Zeit wird in der Forschung die Instabilität ethnischer Identität gerade in der Antike verstärkt betont und das aus dem nationalstaatlichen Denken des 18./19. Jahrhunderts stammende Konzept der Germanen zunehmend in Frage gestellt. „Germane“ sei (wie „Barbar“) nur eine Fremdbezeichnung, die mehr über Griechen und Römer aussage als über die mit den Begriffen bezeichneten Gruppen und Individuen. Vereinzelt wird sogar gefordert, Germane und germanisch im wissenschaftlichen Kontext überhaupt nicht mehr zu verwenden.[4]"

Die Fußnote verweist auf Jörg Jarnut: Germanisch. Plädoyer für die Abschaffung eines obsoleten Zentralbegriffs der Frühmittelalterforschung, in: Walter Pohl (Hrsg.): Die Suche nach den Ursprüngen. Von der Bedeutung des frühen Mittelalters. Wien 2004

Die Tatsache, dass wir anhand der archäologisch nachweisbaren Sachkultur charakteristische Merkmale nachweisen können, verleitet ebenfalls dazu, auf unterschiedliche Ethnien zu schließen. Das ist aber ebenfalls fragwürdig. Würde in 2000 Jahren ein Archäologe Deutschland untersuchen, dann müsste er - ausgehend von dieser Prämisse, dass Sachkultur und Ethnie zusammengehören - zu dem Schluss kommen, dass in der DDR eine andere Ethnie lebte, die von der westdeutschen verdrängt worden ist.

Bezogen auf die Unterscheidbarkeit von Kelten und Germanen hier ein interessanter Link, in dem es um genau diese Frage geht: http://www.swr.de/blog/1000antworten/an ... berresten/
Die Stämme der Langobarden, Chatten, Cherusker, Hermunduren, Markomannen usw. usw. werden von der Forschung eindeutig als germanische Stämme betrachtet, die folglich germanische Idiome sprachen. Diese Annahme ist unbestritten, auch wenn es keine Schriftquellen der Markomannen oder Chatten gibt.
Das ist ein Zirkelschluss. Sie waren germanische Stämme, deshalb müssen sie ein germanisches Idiom gesprochen haben, und dieses germanische Idiom beweist, dass es germanische Stämme waren. Auch darauf geht Gerhard Ermischer im dem SWR-Link ein. Er verweist darauf, dass wir keine Ahnung haben, welche Sprachen die Leute gesprochen haben, die wir aufgrund der Sachkultur einer bestimmten Ethnie zuordnen.

Tatsächlich ist nichtmal bewiesen, dass es eine "urgermanische" Sprache überhaupt gab. Ihre Existenz wird lediglich postuliert und sie wird retrospektiv "rekonstruiert", indem die Linguisten sich überlegen, wie ein Wort vor einer bestimmten Lautverschiebung ausgesprochen worden sein müsste.

Die Existenz einer germanischen Sprachfamilie ist erst gegen Ende der Völkerwanderungszeit wirklich nachweisbar. Also 500 bis 1000 Jahre nach der angenommenen Ko-Existenz von Kelten und Germanen. Und da hatten wir dann nicht eine germanische Sprache, sondern mindestens vier. Dem vorausgegangen war in Teilen des als "germanisch" eingestuften Siedlungsgebiets eine mindestens 400 Jahre andauernde Bindung an die römische Welt. In anderen Teilen ist alles durch die Völkerwanderung nachhaltig durcheinandergemixt worden.

Sprache entwickelt sich schnell und dynamisch, wenn sie nicht durch Duden und festgelegte Rechtschreibung reguliert wird. Das merkt man, wenn man zum Beispiel in eine oberhessische Region geht, in der noch Dialekt gesprochen wird. Da versteht der durchschnittliche Deutsche weniger, als wenn er sich in England aufhalten würde.
Es gibt keine germanischen Oppida. Es existieren lediglich von Germanen weiterbenutzte keltische Anlagen, die beim Vorrücken der Germanen nach Süden in germanische Hände fielen.
Dann ist es erklärungsbedürftig, warum es im heutigen Nordhessen und in Thüringen Oppida gab, die bis zur Zeitenwende parallel zu einer eindeutig als "germanisch" eingestuften Sachkultur existierten, und warum keine Anzeichen für eine Verdrängung vorliegen. Ich verlinke nochmal die Oppida-Seite (die übrigens kein Subkultur-Quatsch ist, sondern ein von der Europäischen Kommission gefördertes internationales Projekt): http://www.oppida.org/index-de.html
Kohlhaas
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Paul hat geschrieben:Um Chr. Geburt gibt es Rheinland sehr viele Kurze germanische inschriften auf Weihesteinen, Gräbern...Peter Paul Schweitzer hat sie als Hochgermanisch analysiert. Sie gaben Hinweise auf die Rhechtsrheinischen Ursprungssiedlungen, Flüsse und Gottheiten. Auf einem Norditalienischen Helm gab es eine Inschrift etwa 200 vor Chr. über ihren germanischen Inhaber, welcher wahrscheinlich in einer Stadtwache arbeitete.
Rhechtsrheinisch gab es viele germanische Städte, welche nur zum Teil Höhensiedlungen waren. Es gibt gar keine Beweise dafür, das die Ubier/Usipeter/Tenkterer...keltische Bevölkerungen überlagert hätten. Peter Paul Schweitzer geht von einer ununterbrochenen Sprachentwicklung zum Germanischen aus. Dies läßt sich auch aus den Gewässernamen z.B. der Loganaha o. Adrana erkennen.
Cäsar hatte jahrelangen Kontakt mit den Ubiern in seiner Laibwache und mit den Offizieren seiner ubischen Truppen. Er definiert die Ubier in Bella Galika eindeutig als kultivierte Germanen.
Du meinst die Matronen-Steine? Wenn ja: Diese Steine tragen lateinische Inschriften mit oft latinisierten Namen von Stiftern und Matronen. Diese Steine gab es offenbar auch ausschließlich in römisch beherrschten Gebieten am Rhein und in Gallien.
Paul
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Kohlhaas hat geschrieben:Du meinst die Matronen-Steine? Wenn ja: Diese Steine tragen lateinische Inschriften mit oft latinisierten Namen von Stiftern und Matronen. Diese Steine gab es offenbar auch ausschließlich in römisch beherrschten Gebieten am Rhein und in Gallien.
Man hat auch in Thüringen Weihesteine gefunden, welche in Kirchenbauten eingebaut wurden. Die Heiligtümer wurden zerstört und mit Kirchen überbaut. Man kann davon ausgehen, das auch die Dome in Limburg und Wetzlar ubische Altäre überbaut haben.
viele Grüße

Paul

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Kohlhaas hat geschrieben: Weiter oben hatte ich einen Link zu einer Karte der Oppida gesetzt. Sie lässt erkennen, dass die Ausläufer der Oppida-Kultur bis nach Kassel (Altenburg bei Niedenstein) hinauf reichten. Also in eine Region, die nach den römischen Überlieferungen definitiv germanisch besiedelt war, von den Chatten nämlich. Das Oppidum Altenburg wurde Mitte des 1. Jh. v.Chr. aufgegeben, Anzeichen für eine Vertreibung oder Verdrängung gibt es nicht. Germanen und Kelten müssen dort in enger Koexistenz gelebt haben und sie müssen auch in der Lage gewesen sein, sich zu verständigen. Wenn es überhaupt unterschiedliche Gruppen waren.

Übrigens scheinen die nördlichen Oppida eher jüngeren Datums zu sein. Spät-LaTène. Das könnte man auch so deuten, dass sich nicht germanische Stämme nach Süden ausgebreitet haben, sondern das Einflüsse der Oppida-Kultur nach Norden gewandert sind - dass also eine von uns als keltisch bezeichnete Lebens- und Wirtschaftsweise von als "germanisch" definierten Stämmen übernommen und dann kurz nach dem gallischen Krieg wieder aufgegeben worden ist.
Lieber Kohlhaas,
es wird so gewesen sein, dass die nach Süden dringenden Germanen, also auch die Chatten die Keltische Kultur übernommen hatten. :wink:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Paul
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dieter hat geschrieben:Lieber Kohlhaas,
es wird so gewesen sein, dass die nach Süden dringenden Germanen, also auch die Chatten die Keltische Kultur übernommen hatten. :wink:
Nur lebten in Mittelhessen beim Südwandern der Chatten keine Kelten, sondern germanische Ubier und diese waren auch nicht überwiegend weggewandert. Nur der Geburtenüberschuß wanderte ins Rheinland und nach Ostmittellhessen und in römisch beherschte Gebiete in Südhessen.
viele Grüße

Paul

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Kohlhaas
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Paul hat geschrieben:
dieter hat geschrieben:Lieber Kohlhaas,
es wird so gewesen sein, dass die nach Süden dringenden Germanen, also auch die Chatten die Keltische Kultur übernommen hatten. :wink:
Nur lebten in Mittelhessen beim Südwandern der Chatten keine Kelten, sondern germanische Ubier und diese waren auch nicht überwiegend weggewandert. Nur der Geburtenüberschuß wanderte ins Rheinland und nach Ostmittellhessen und in römisch beherschte Gebiete in Südhessen.
Schweitzer sieht das anders. Er versucht, anhand von Ortsnamen die Anwesenheit von Kelten nachzuweisen, übrigens zeitgleich zu den Ubiern. Hier: http://www.ippsch.de/database/keltort.pdf

Die Grabungsergebnisse vom Dünsberg weisen auch eindeutig auf Kelten hin, ebenso Befunde vom Christenberg. Amöneburg könnte ebenfalls ein Oppidum gewesen sein.
Paul
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Kohlhaas hat geschrieben: Schweitzer sieht das anders. Er versucht, anhand von Ortsnamen die Anwesenheit von Kelten nachzuweisen, übrigens zeitgleich zu den Ubiern. Hier: http://www.ippsch.de/database/keltort.pdf

Die Grabungsergebnisse vom Dünsberg weisen auch eindeutig auf Kelten hin, ebenso Befunde vom Christenberg. Amöneburg könnte ebenfalls ein Oppidum gewesen sein.
Die Grabungen am Dünsberg weisen auf die Ubier als Bevölkerung hin(Unterstamm Cubi). Sie stellten die Münze mit dem Tanzenden Männlein(Gott Freir), wie später auch in Köln her. Es war eine ähnliche Münze, wie sie auch bei den Verwandten in der Heidetränke(Unterstamm Mathiaker) und Bad Nauheim(Unterstamm Usipeter) hergestellt wurde.

Schweitzer sieht die Ubier als Urbevölkerung, welche zumindest in einigen Regionen von einer keltischen Oberschicht beherrscht und beeinflußt wurden. Die Sprache der Ubier hätte sich kontinuierlich zum Germanischen entwickelt und hielt sich auch in Regionen mit zeitweiser keltischer Herrschaft. Zur Zeit Cäsars gab es in Ubien keine Fürsten o. keltische Herrschaftsgebiete mehr, wenn es sie je gab, sondern einen Ältestenrat. Die Städte, Höhensiedlungen o. Talstädte wurden demokratisch verwaltet.
Der Glauberg könnte früher ein Herrschersitz gewesen sein. Die dort lebenden Usipeter flohen o. kamen unter suebische Herrschaft.
Ob die Usipeter ein ubischer Unterstamm waren, ist nicht geklärt.

Gegenseitige Beeinflussung von Ubiern und Kelten gab es natürlich durch vielfältige Kontakte z.B. Handelsbeziehungen und Wanderschaft von Gesellen....
viele Grüße

Paul

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Kohlhaas hat geschrieben: Dann ist es erklärungsbedürftig, warum es im heutigen Nordhessen und in Thüringen Oppida gab, die bis zur Zeitenwende parallel zu einer eindeutig als "germanisch" eingestuften Sachkultur existierten, und warum keine Anzeichen für eine Verdrängung vorliegen. Ich verlinke nochmal die Oppida-Seite (die übrigens kein Subkultur-Quatsch ist, sondern ein von der Europäischen Kommission gefördertes internationales Projekt): http://www.oppida.org/index-de.html
Keltische Siedlungsspuren gab es bis an den Rand der Mittelgebirge (Niedersachsen), siehe z.B. Schnippenburg, Barenburg, Amelungsburg, usw.. Ein Teil dieser Anlagen wurde nicht friedlich "geräumt", sondern sie wurden durch längere Kriegszeiten erobert. D.h. ein "unbekannter" Gegner (höchstwahrscheinlich Germanen) hat vor 200v.Chr. dieses keltischen Anlagen angegriffen und die Kelten weiter gen Süden gedrängt. Danach wurden in dem Gebiet keine großen Anlagen mehr errichtet.
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