Re: Wer glaubte o. identifizierte sich 1989 noch mit d. DDR?
Verfasst: 02.10.2015, 23:17
Danke für die Blumen...
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Vor der Wiederverinigung sagte ein Politiker mal, die Ostdeutschen würden zwar kein Kapital in die Wiedervereinigung einbringen ,doch können sich die Ostdeutschen ihren sehr guten Fundus an anerzogener Moral in die Vereinigung einbringen. Es war eine Moral des Zusammenlebens, die oft durch den Unrechtsstaat konterkariert wurden, indem man sie für sich politisieren wollte. Schade fand ich, dass nach der Wiedervereinigung soviel Betriebe platt gemacht wurden. So zum Beispiel, die Textilbetriebe in der Oberlausitz und und und. Da hätte ich mir gewünscht, dass für die Erhaltung dieser Betriebe, die Wünsche nach der schnellen Westmark ein paar Jahre zurückgestellt würden und ich war vor der Wiedervereinigung ein wenig skeptisch.Ruaidhri hat geschrieben: Manches war ganz sicher kuscheliger und "sozialer" als bei uns, aber um welchen Preis?
In meinen Verwandenkreis wollte jeder die Wiedervereinigung. Mulmigkeit bestand nur in der Angst, was passiert mit den Arbeitsplätzen? Wie sieht die Zukunft aus? Für Ältere war es wohl eher eine Erfüllung , weil sie nicht mehr so viele Jahre vor sich hatten und es endlich erleben wollten und es auch nicht so gut in der DDR hatten wie die Jüngsten. Für viel Ältere war der Alltag in der DDR eher trist.Ruaidhri hat geschrieben: Gut, "wir" West "ihr" Ost, wir wollten also gar nicht (wieder)vereinigt werden? Und wenn doch, dann nicht so? Vielleicht gehörte manches nicht mehr zusammen für die meisten Nachkriegsgeborenen?
Pech, es ist, wie es ist und konnte wohl anders auch nicht gehen.
Scheidung ausgeschlossen- vermutlich würde die Mehrheit im Osten die auch nicht wirklich wollen. Ob im Westen?
Ich habe 1989 noch schnell ein Grundstück gekauft, weil ich mit der baldigen Wiedervereinigung und dem Zustrom von Millionen Aussiedlern rechnete, nachdem Gorbatschov den Reformkurs unumkehrbar machte.Lia hat geschrieben:Schröder hatte doch nur gesagt, was die meisten dachten, ganz realistisch gesehen. Im Juni 1989 saß ich mit Mitbürgern aus dem Osten auf Besuch an der Nordsee, und niemand glaubte an eine Wiedervereinigung.
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Ich bin aus der SPD ausgetreten, als Lafontaine ihr Vorsitzender wurde und gegen die Wiedervereinigung und gegen Aussiedler hetzte.Cherusker hat geschrieben:"Nach 40 Jahren Bundesrepublik sollte man eine neue Generation nicht über die Chancen einer Wiedervereinigung belügen. Es gibt sie nicht." (Gerhard Schröder in der Bild vom 21.6.1989)
1985 hatte dieser Herr auch über Honecker gesagt: "Das ist ein zutiefst redlicher Mann" (Vorwärts, 21.12.1985).
Na ja, seine Biograhie hat er sich auch vom Maschmeyer bezahlen lassen....
Das ist ein subjektives Empfinden. Wenn man immer die Stasi im Rücken hat und jede unbedarfte Äußerung berufliche und private Nachteile mit sich ziehen konnte, dann kann es nicht so kuschelig gewesen sein.Ruaidhri hat geschrieben: Manches war ganz sicher kuscheliger und "sozialer" als bei uns, aber um welchen Preis?
Diese Frage finde ich auch interessant. Irgendwo in diesem Forum hatte ich vor kurzem das Schul- und Kinderbetreuungssystem angesprochen.Spartaner hat geschrieben: Mich beschäftigt die Frage, ob es Erungenschaften der Arbeiterklasse im Osten gegeben hat, die man leichtfertig mit der Wiedervereinigung aufgegeben hat? Sicherlich dann nicht die Erungenschaften, die die Staatsführung damit meinte.
Das eine bedingt nicht das andere. Aber es ist richtig das es auch eine Kehrseite der Medallie gab.Cherusker hat geschrieben:Das ist ein subjektives Empfinden. Wenn man immer die Stasi im Rücken hat und jede unbedarfte Äußerung berufliche und private Nachteile mit sich ziehen konnte, dann kann es nicht so kuschelig gewesen sein.Ruaidhri hat geschrieben: Manches war ganz sicher kuscheliger und "sozialer" als bei uns, aber um welchen Preis?
So wie es eine Kehrseite der Medaille Freiheit und Marktwirtschaft in der BRD gab.Das eine bedingt nicht das andere. Aber es ist richtig das es auch eine Kehrseite der Medallie gab.
Sichrlich ist das so. Und just an dem Punkt kamen viele jüngere in Kollision mit dem einstigen Idol Willy Brandt. Irgendwie hatten wir das nicht mehr auf dem Schirm, auch nicht, während wir mit Respekt und Bewunderung sahen, was passierte. (Mein Bruder live in Berlin.)Allerdings bei Menschen im Alter von Genscher oder Helmut Schmidt würde das wahrscheinlich ganz anders ausfallen, da sie noch ein einheitliches Deutschland bewusst erlebt haben - wenn auch im Krieg.
Sicherlich, und ausweichlich, statisch gesehen, als Momentaufnahmen zu einem bestimmten Zeitpunkt.So hat jeder seine ganz eigene Sicht auf die Dinge.
So überraschend ist das nicht, wenn ich den markierten Teil auf beide Staaten beziehe: Es waren zwei Gesellschaften, nicht eine, die völlig verschiedene Wege gingen, mit sehr vershiedenem Alltag.Aber - ich sage mal als Hobbyhistoriker - finde ich es schon erstaunlich, dass eine 40-jährige Teilung (eigentlich ja nur ein halbes Menschenleben) einen doch relativ großen Teil der Gesellschaft eines Landes derart nachhaltig spalten kann.
Ja, es waren zwei Staaten usw., aber Deutschland blieb in den 40 Jahren doch EINE Nation. Es gab keine extra DDR-Nation. Und wer in der DDR Westverwandte hatte, die regelmäßig zu Besuch kamen (so wie es bei uns war), da spürte man das ja auch Hautnah. Der Umstand ist dabei zu berücksichtigen.Ruaidhri hat geschrieben:So überraschend ist das nicht, wenn ich den markierten Teil auf beide Staaten beziehe: Es waren zwei Gesellschaften, nicht eine, die völlig verschiedene Wege gingen, mit sehr vershiedenem Alltag.
Da habe ich eine andere Sicht der Dinge. Auch die große Mehrheit meiner Generation (1990 - so Anfang 20) wollte die Einheit. Vielleicht nicht unbedingt immer aus patriotischen Gründen - über die individuellen Gründe will ich jetzt nicht spekulieren, aber mindestens aus wirtschaftlichen Gründen. Es wurde die Rechnung aufgemacht, dass mit der D-Mark Investoren ins Land kämen, die die Wirtschaft wieder flott machen würden und wenn die D-Mark da ist, ist es auch ein logischer Schritt zur Einheit Deutschlands. So argumentierten übrigens auch die vielen Wahlkämpfer aus dem Westen, die hier im Osten weit geöffnete Türen einrannten.Ruaidhri hat geschrieben:Beziehe ich ich ihn jeweils auf die DDR oder die BRD-Gesellschaft:
Im Osten war es die jüngere Generation, die vielleicht eher einen anderen Staat als die Wiedervereinigung wollte?
Wann tauchte "Wir sind ein Volk!" auf? Und wo? Im Osten skandiert, nicht in wesdeutschen Städten.
Die älteren Jahrgänge, die nicht an der DDR hingen, waren bei dem Thema Wiedervereinigung vielleicht emotionaler, so ähnlich wie Brandt und Co, die ich nicht verstand in ihrer Wiedervereinigungseuphorie.
Euphorie, Freude, dass die Diktatur drüben für Euch beendet war: Aber ja doch, aber "Ihr wart eben Ihr in Eurem nun befreiten Staat" so ein " wir" blieb vielen fremd.
Und das halte ich für eine beinahe schon bösartige Unterstellung. Es haben sehr viele Leute bei den Montagsdemos und anderen demonstriert. Das war meines Erachtens keine Minderheit.Ruaidhri hat geschrieben:... So wie die friedliche Revolution im Wesentlichen das Werk einer engagierten Minderheit war, das von der passiven Mehrheit quasi aus der Balkon-Perspektive verfolgt wurde, so haben sich die politischen Eliten womöglich auch etwas vorgemacht über den Grad der Akzeptanz der Wiedervereinigung in allen ihren Konsequenzen im Westen sowie über den Grad der Akzeptanz der freiheitlich demokratischen Grundordnung im Osten."
Jaaa - im Westen war die Einheit der Nation von der Gründung an ein verfassungsmäßiges Staatsziel. Hätte die Mehrheit dort die Einheit irgendwann nicht mehr gewollt, hätte die Bevölkerung eben rechtzeitig auf eine Änderung der Präambel des Grundgesetzes drängen müssen. Ist nicht passiert, also bedurfte es im Westen keiner Willensbekundung der Bevölkerung. In einem anderen Pfad schriebst du ja selbst:Ruaidhri hat geschrieben:Ganz subjektiv kann man sich manchmal in der Zeit zwischen dem 3.Oktober und 9. November als gebürtiger Westdeutscher als nicht real existierend fühlen, als restlos unbedeutend für diese Republik, denn Nazis gab es nur bei uns, und das bekommen wir auch gern im TV mitgeteilt,-und Helden nur in der DDR in jenen Wochen des Herbstes 1989.
Wo sind die 40 Jahre West?
Da stimme ich dir absolut zu, also muss man das in realpolitischer Lesart so sehen.Ruaidhri hat geschrieben:3. Wenn "das Volk" den Arsch nicht hochbekommt und sich nicht dort und mit den zahlreichen Möglichkeiten, die es gibt, einbringt, selbst Schuld. Einbringen heißt für mich, dass nicht nur für die jeweils eigenen Interessen zu tun- und so, wie ich die Masse einschätze, ist sie zu bequem, zu egoistisch, und, mit Verlaub, auch oft zu dumm und frei von irgendeiner politischen Bildung, geschweige denn von dem Bemühen, sich Sachkenntnis zu verschaffen.
Demokratie erfordert eigenverantwortliches Engagement, nicht Bequemlichkeit und Scheu vor Aufwand.
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Das sehe ich genauso und gebe dir dazu volle Zustimmung. Ich möchte aber klarstellen, dass ich die Errungenschaften der Arbeiterklasse nicht die Erungenschaften der Partei sehe. Diese Leute haben ihre Menschen eingesperrt, bevormundet und waren auch voreingenommen und beratungsressistent. Deshalb sehe ich immer ein Diskrepanz, wenn ich von Erungenschaften der Arbeiterklasse spreche.Renegat hat geschrieben: Diese Frage finde ich auch interessant. Irgendwo in diesem Forum hatte ich vor kurzem das Schul- und Kinderbetreuungssystem angesprochen.
In den 90ern hatte ich bei Azubi-Vorstellungsgesprächen die Gelegenheit, ein paar Jugendliche im direkten Vergleich zu beobachten. Wir fanden damals, die Bewerber aus dem Osten bodenständiger, bescheidener und irgendwie passender für die Arbeitswelt. Manche jungen Männer aus dem Westen fuhren mit Papas Auto zum Vorstellungsgespräch, sie traten diffus als verwöhnte Erben auf, teilweise wurden sie eingestellt, weil Papa oder Mama jemanden kannte.
Andere Errungenschaften der Arbeiterklasse würden mich interessieren.
Wobei man bedenken muß, dass die Arbeitswelt der 80er und frühen 90er auch im Westen noch eine ganz andere war. Damals waren fast alle Arbeitsverhältnisse unbefristet, auch nicht besonders leistungsstarke Arbeitnehmer behielten ihren Arbeitsplatz. Man zog sie irgendwie mit durch.