Mao und Deutschland
Verfasst: 08.03.2014, 12:51
Mao hat wahrscheinlich zeitlebens über Deutschland nur wenige Kenntnisse gehabt. Allerdings beschäftigte er sich in seiner Jugend offensichtlich eingehend mit der deutschen Philosophie. In seiner „Rede über Fragen der Philosophie“ (Mao, Reden über Fragen der Philosophie, Bd.5, S.341-347, Peking 1964) erklärt er den Studenten, er sei früher Anhänger der Lehre von Immanuel Kant gewesen, später sei er dann über Hegel und die Linkshegelianer wie Feuerbach zu dem Marxismus gekommen. Als Helmut Schmidt 1975 Mao besuchte, wurde er von dem Chinesen als Kantianer begrüßt und die beiden diskutierten lange über die deutsche Philosophie. Die Vorliebe für Kant erklärt sich wohl daraus, das der Königsberger davon ausgeht, das allen Dingen ein Widerspruch (Antagonismus) innewohnt, diese sich aber auflösen lassen in einer Synthese, bis er dann auf die vier unlösbaren Widersprüche (Antinomien) der Reinen Vernunft vorstößt. Die Lehre vom Dualismus aller Dinge und ihren Erscheinungen entspricht ungefähr der chinesischen Lehre vom Yin und Yang, und hat daher wohl auf Mao eine tiefe Wirkung ausgeübt. Er fühlte sich zeitlebens als Philosoph und hat auch einen Aufsatz über seine Interpretation der Widerspruchslehre in seinem Aufsatz „Über den Widerspruch“ 1937 vorgelegt. Die Theorie vom Kampf, Einheit und Identität der Gegensätze, allerdings eher in der Fassung von Hegel als der von Marx, durchzieht sein gesamtes Lebenswerk. In allen seinen Reden und Schriften taucht dieses Denkmodell wieder auf. Die Sowjets kritisierten seinen Marxismus später als „idealistische Verirrung“ und Rückfall in Neokantianertum.
In den dreißiger Jahren lebte zeitweilig der deutsche Kommunist Otto Braun bei den Kommunisten in Yenan als Beauftragter der Komintern. Er berichtet später in seinen Erinnerungen sehr negativ über Mao, allerdings vor allem deshalb, weil dieser die Anweisungen aus Moskau ignorierte. Stalin hielt Mao für unzuverlässig und traute ihm nicht. Auch später wurde er von der SU als Anführer einer bürgerlichen Bauernarmee abqualifiziert, die gewaltsame Kollektivierung in Verbindung mit dem „Großen Sprung“ galt dann als linkes Sektierertum.
In den sechziger Jahren verschärfte sich die Auseinandersetzung zwischen Moskau und Peking. Mao wollte das Land zur Großmacht aufbauen und beschwerte sich über fehlende sowjetische Hilfe. Gleichzeitig versuchte er die kommunistische Bewegung weltweit zu spalten, um neue Bündnispartner zu gewinnen. In dieser Strategie begannen auch Westeuropa und die BRD eine neue Rolle einzunehmen. Während Chruschtschow die Mauer lobte, wiesen die chinesischen Diplomaten darauf hin, dass sie nicht die Mauer gebaut hätten und distanzierten sich von Russland.
In den siebziger Jahren entwickelte die KPCH die Lehre von den „Zwei Supermächten“, den USA und dem sowjetischen Sozialimperialismus, wobei die Sowjets die gefährlichere Macht seien. Alle anderen Völker und Regierungen auf der Erde sollten sich mit Peking gegen die Supermächte zusammenschließen. Sie forderten die Europäer zur Einheit und zu vermehrten Rüstungsanstrengungen gegen die Russen auf. Auch Deutschland sollte sich mit den Chinesen zusammentun. Ausgerechnet der erwiesene Antikommunist und Kalte Krieger Franz Josef Strauß, der Vorsitzende der bayerischen CSU, war der erste deutsche Politiker, der nach China reiste und von Mao herzlich aufgenommen wurde. Strauß begründete seinen Besuch wie folgt:
„ In einem System der mehrseitigen und der spezifischen Allianzen, wie es Bismarck zu etablieren suchte, ist China der entscheidende Angelpunkt. Als Gegengewicht zu einer Übermacht der Sowjetunion strebt Europa nach Einheit, was Moskau zu vereiteln sucht. China ist an einer Eindämmung der Sowjetunion interessiert und unterstützt daher die europäische Einigung. Das Ziel der deutschen Diplomatie müsse es daher sein, Peking als Partner zu gewinnen, um mehr politische, militärische und wirtschaftliche Kräfte zu entfalten, also ein System vielfältiger Kräfte, das den Veränderungen und Geboten in unserem zu Ende gehenden Jahrhundert wirklichkeitsgetreuer entspricht als magische Beschwörungsformeln fern jeder Realität“.
(Strauß, Franz Josef: Grundfragen Europas. In: Huber, Ludwig (Hg.): Bayern – Deutschland – Europa. Festschrift für Alfons Goppel. Passau 1975, S. 112f )
Helmut Schmidt, der einige Monate später reiste, dachte offensichtlich genauso, auch wenn er wohl realistischer darin war, das man gegenüber den Sowjets nicht so ohne weiteres die chinesische Karte ziehen konnte. Jedenfalls wurde nun der Grundstein gelegt für eine gute und fruchtbare Zusammenarbeit zwischen den beiden Mächten.
Der Altkanzler fand wohl auch einen guten Draht zu dem Vorsitzenden, unter anderem vielleicht auch, weil beide Kettenraucher waren. So erklärte er gegenüber dem Journalisten Di Lorenzo im Jahre 2012:
di Lorenzo: Er begrüßte Sie mit dem Satz: "Sie sind ein Kantianer!"
Schmidt: Was nicht stimmte. Und er behauptete von sich selbst, ein Marxist zu sein, was auch nicht stimmte.
di Lorenzo: Sie hielten ihn für einen Konfuzianer.
Schmidt: Nein. Ich halte ihn für einen Mann sehr eigener Prägung. Er war ein Mensch, der in keine Schablone passte. Ein Marxist glaubt an das Industrieproletariat; Mao glaubte an das bäuerliche Proletariat auf dem Land. Er glaubte vor allem an die Revolution, daran, dass man dieses große, traditionsreiche Land schnell umfunktionieren könnte. Das fing an mit der Kampagne des "Großen Sprungs nach vorn" Ende der fünfziger Jahre. Da hat er sich sehr geirrt.
di Lorenzo: Auch deshalb habe ich eben von schweren Verbrechen gesprochen – der Große Sprung kostete zig Millionen Menschen das Leben.
Schmidt: Das Letztere stimmt; man muss dazu aber sagen, dass es Hungertote waren.
di Lorenzo: Gestorben an der politischen Umsetzung einer wahnwitzigen Idee!
Schmidt: Mao hat die Toten nicht gewollt. Alle die vielen Millionen Hungertoten waren die unvorhergesehene Folge des Großen Sprungs, das heißt des Versuches, die Bauern dazu zu bringen, aus Schrott Stahl zu schmelzen, statt Reis oder Weizen zu ernten. Später gab es die schreckliche proletarische Kulturrevolution, unter der viele Menschen gelitten haben.
di Lorenzo: Eine Revolution, zu der Massaker, Mord, Folter, Hunger, Erniedrigungen gehörten.
Schmidt: Millionen von Menschen wurden drangsaliert, und Mao hat das gewusst.
di Lorenzo: Ist es nicht erschreckend, dass manche Menschen so viel Macht haben, dass sie die unsinnigsten Willkürakte durchsetzen können?
Schmidt: Maos Macht war zu groß. Aber in der Geschichte gibt es immer wieder Menschen, deren Macht zu groß ist. Das gilt für Nero oder Dschingis Khan, es gilt für Pizarro und für alle kolonialen Eroberer. Es gilt auch für Mao.
Mit dem Besuch von Schmidt begann eine freundschaftliche Beziehung mit dem Riesenreich, die auch den Tod von Mao 1976 überdauerte.
Interview entnommen aus:
http://www.zeit.de/2012/38/Helmut-Schmidt-di-L ... chenrechte
In den dreißiger Jahren lebte zeitweilig der deutsche Kommunist Otto Braun bei den Kommunisten in Yenan als Beauftragter der Komintern. Er berichtet später in seinen Erinnerungen sehr negativ über Mao, allerdings vor allem deshalb, weil dieser die Anweisungen aus Moskau ignorierte. Stalin hielt Mao für unzuverlässig und traute ihm nicht. Auch später wurde er von der SU als Anführer einer bürgerlichen Bauernarmee abqualifiziert, die gewaltsame Kollektivierung in Verbindung mit dem „Großen Sprung“ galt dann als linkes Sektierertum.
In den sechziger Jahren verschärfte sich die Auseinandersetzung zwischen Moskau und Peking. Mao wollte das Land zur Großmacht aufbauen und beschwerte sich über fehlende sowjetische Hilfe. Gleichzeitig versuchte er die kommunistische Bewegung weltweit zu spalten, um neue Bündnispartner zu gewinnen. In dieser Strategie begannen auch Westeuropa und die BRD eine neue Rolle einzunehmen. Während Chruschtschow die Mauer lobte, wiesen die chinesischen Diplomaten darauf hin, dass sie nicht die Mauer gebaut hätten und distanzierten sich von Russland.
In den siebziger Jahren entwickelte die KPCH die Lehre von den „Zwei Supermächten“, den USA und dem sowjetischen Sozialimperialismus, wobei die Sowjets die gefährlichere Macht seien. Alle anderen Völker und Regierungen auf der Erde sollten sich mit Peking gegen die Supermächte zusammenschließen. Sie forderten die Europäer zur Einheit und zu vermehrten Rüstungsanstrengungen gegen die Russen auf. Auch Deutschland sollte sich mit den Chinesen zusammentun. Ausgerechnet der erwiesene Antikommunist und Kalte Krieger Franz Josef Strauß, der Vorsitzende der bayerischen CSU, war der erste deutsche Politiker, der nach China reiste und von Mao herzlich aufgenommen wurde. Strauß begründete seinen Besuch wie folgt:
„ In einem System der mehrseitigen und der spezifischen Allianzen, wie es Bismarck zu etablieren suchte, ist China der entscheidende Angelpunkt. Als Gegengewicht zu einer Übermacht der Sowjetunion strebt Europa nach Einheit, was Moskau zu vereiteln sucht. China ist an einer Eindämmung der Sowjetunion interessiert und unterstützt daher die europäische Einigung. Das Ziel der deutschen Diplomatie müsse es daher sein, Peking als Partner zu gewinnen, um mehr politische, militärische und wirtschaftliche Kräfte zu entfalten, also ein System vielfältiger Kräfte, das den Veränderungen und Geboten in unserem zu Ende gehenden Jahrhundert wirklichkeitsgetreuer entspricht als magische Beschwörungsformeln fern jeder Realität“.
(Strauß, Franz Josef: Grundfragen Europas. In: Huber, Ludwig (Hg.): Bayern – Deutschland – Europa. Festschrift für Alfons Goppel. Passau 1975, S. 112f )
Helmut Schmidt, der einige Monate später reiste, dachte offensichtlich genauso, auch wenn er wohl realistischer darin war, das man gegenüber den Sowjets nicht so ohne weiteres die chinesische Karte ziehen konnte. Jedenfalls wurde nun der Grundstein gelegt für eine gute und fruchtbare Zusammenarbeit zwischen den beiden Mächten.
Der Altkanzler fand wohl auch einen guten Draht zu dem Vorsitzenden, unter anderem vielleicht auch, weil beide Kettenraucher waren. So erklärte er gegenüber dem Journalisten Di Lorenzo im Jahre 2012:
di Lorenzo: Er begrüßte Sie mit dem Satz: "Sie sind ein Kantianer!"
Schmidt: Was nicht stimmte. Und er behauptete von sich selbst, ein Marxist zu sein, was auch nicht stimmte.
di Lorenzo: Sie hielten ihn für einen Konfuzianer.
Schmidt: Nein. Ich halte ihn für einen Mann sehr eigener Prägung. Er war ein Mensch, der in keine Schablone passte. Ein Marxist glaubt an das Industrieproletariat; Mao glaubte an das bäuerliche Proletariat auf dem Land. Er glaubte vor allem an die Revolution, daran, dass man dieses große, traditionsreiche Land schnell umfunktionieren könnte. Das fing an mit der Kampagne des "Großen Sprungs nach vorn" Ende der fünfziger Jahre. Da hat er sich sehr geirrt.
di Lorenzo: Auch deshalb habe ich eben von schweren Verbrechen gesprochen – der Große Sprung kostete zig Millionen Menschen das Leben.
Schmidt: Das Letztere stimmt; man muss dazu aber sagen, dass es Hungertote waren.
di Lorenzo: Gestorben an der politischen Umsetzung einer wahnwitzigen Idee!
Schmidt: Mao hat die Toten nicht gewollt. Alle die vielen Millionen Hungertoten waren die unvorhergesehene Folge des Großen Sprungs, das heißt des Versuches, die Bauern dazu zu bringen, aus Schrott Stahl zu schmelzen, statt Reis oder Weizen zu ernten. Später gab es die schreckliche proletarische Kulturrevolution, unter der viele Menschen gelitten haben.
di Lorenzo: Eine Revolution, zu der Massaker, Mord, Folter, Hunger, Erniedrigungen gehörten.
Schmidt: Millionen von Menschen wurden drangsaliert, und Mao hat das gewusst.
di Lorenzo: Ist es nicht erschreckend, dass manche Menschen so viel Macht haben, dass sie die unsinnigsten Willkürakte durchsetzen können?
Schmidt: Maos Macht war zu groß. Aber in der Geschichte gibt es immer wieder Menschen, deren Macht zu groß ist. Das gilt für Nero oder Dschingis Khan, es gilt für Pizarro und für alle kolonialen Eroberer. Es gilt auch für Mao.
Mit dem Besuch von Schmidt begann eine freundschaftliche Beziehung mit dem Riesenreich, die auch den Tod von Mao 1976 überdauerte.
Interview entnommen aus:
http://www.zeit.de/2012/38/Helmut-Schmidt-di-L ... chenrechte