@Karlheinz:
Mir ist ehrlich gesagt völlig schleierhaft, wofür du für ein und dasselbe Thema einen neuen Thread angerissen hast.
Trägt m.E. nicht gerade zur Übersichtlichkeit bei.
Karlheinz hat geschrieben:
Unter Sozialismus verstand man im 19.Jahrhundert und auch noch später: Die Vergesellschaftung, in der Praxis Verstaatlichung , also die Enteignung von Kapitalbesitz und Großgrundeigentum. Jeder, der sich ein wenig mit der NS-Zeit beschäftigt hat, weiß, dass dies damals nicht geschehen ist, mit Ausnahme von jüdischem Besitz und einigem Emigranteneigentum wurde nichts enteignet. Und wenn dies geschah, hat man es in der Regel nur umverteilt an neue deutsche Eigentümer. Was ist das also für ein merkwürdiger Sozialismus, der mit dem klassischen Sozialismus anscheinend nichts zu tun hatte?
Der NS hatte jede Menge mit klassischem Sozialismus zu tun, und zwar sowohl in der Theorie, als auch in der Realpolitik.
Ich habe im Originalthread die Inkonsistenz und die Heterogenität des Sozialismusbegriffs ja bereits erläutert.
Karlheinz hat geschrieben:
Nach dem ersten Weltkrieg wurde das Wort Sozialismus inflationär verwendet, fast jeder benutzte es und man verstand darunter eigentlich nur, dass alles anders werden muss. Deshalb haben auch die Nazis diesen Begriff übernommen, da er damals populär war. Und weil in der Gründungssitzung in dem Münchner Bierkeller eine Reihe Arbeiter dabei waren, nannte man sich „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei“. Schon bald wurde aber in der Weimarer Zeit deutlich, dass sie weder sozialistisch im klassischen Sinne, noch eine Arbeiterpartei war, denn sie setzte sich in erster Linie aus dem Mittelstand zusammen.
Kommt darauf an, was man unter "Arbeiterpartei" versteht.
Ich sehe die NSDAP insofern als Arbeiterpartei, als sie das größte Problem der Arbeiter, nämlich die anno dazumal gigantische Arbeitslosigkeit einer Lösung zugeführt hat, und zwar mittels staatlichen, bzw. staatlich gelenkten Beschäftigungsprogrammen. In meinen Augen eher eine sozialistische als neoklassische bzw. neoliberale Politik.
Die NSDAP hätte, nebenbei bemerkt, ihren Aufstieg gar nicht in der Form geschafft, hätte sie nicht das sog. "Proletariat" mitgenommen.
Karlheinz hat geschrieben:
Im Kaiserreich bildeten diese Schichten die konservative tragende Gruppe des Systems und umfassten ungefähr die Hälfte der deutschen Bevölkerung. Doch durch die Kriegsniederlage nach dem ersten Weltkrieg verloren sie ihre privilegierte Stellung. Das Nachkriegschaos traf die Handwerker, Krämer und Angestellten mit voller Wucht. Die Landwirtschaftskrise richtete die Bauern zugrunde. Die Verarmung der Mittelschichten, mit Mühe durch Halstuch und Strümpfe aus Kunstseide verhüllt- fraß allen Glauben an die neue Republik und die Demokratie. Die schweren Frustrationen der Kleineigentümer, die aus dem Bankrott nicht herauskamen, ihre studierten Söhne ohne Anstellung und Klienten, ihre Töchter ohne Aussteuer und Freier, verlangten nach Ordnung und nach einer Eisernen Hand.
Wessen Brot ich ess', dessen Lied ich sing'....
Karlheinz hat geschrieben:
Die Fahne des Nationalsozialismus wurde erhoben von der unteren und mittleren Offiziersschicht des alten Heeres. Die ordensgeschmückten Offiziere und Unteroffiziere konnten nicht darin einwilligen, dass ihre Leiden umsonst waren und nicht richtig gedankt wurden. Daher ihr Hass auf die Republik. Sie waren unzufrieden damit, dass die Bankiers, Fabrikanten und Minister sie auf unbedeutende Positionen abschoben.
...und der Frust dieser Herren war so groß, dass sie sogar einen Bürgerlichen (nicht politisch gemeint), einen "böhmischen Gefreiten" zum Kanzler machten.....
Dass ihre Antipathie gegenüber Hitler von diesem durchaus erwidert wurde, ist aber insofern wenig relevant, als diese durch den gemeinsamen "Feind" und gemeinsamen Interessen in den Hintergrund trat.
Karlheinz hat geschrieben:Daher ihr „Sozialismus“. Für sie war „Sozialismus“ identisch mit Restauration der alten Ordnung, der Wiederherstellung ihrer einst geachteten Position, hatte also mit dem Sozialismus der Sozialdemokratie überhaupt nichts zu tun. Unter ihnen gab es viele Führer, Hitler erwies sich als besonders fähig, die Unzufriedenheit zu bündeln und zu formulieren.
Dieser Aspekt ist freilich nicht sozialistisch, sondern reaktionär. Sagt ja auch keiner, dass sämtliche poltischen Aspekte des NS durch Sozialismus gekennzeichnet wären.
Karlheinz hat geschrieben:
Der Mittelstand schloss sich dieser neuen Bewegung an. Bedroht vom schrankenlosen Kapitalismus, also dem Liberalismus und der organisierten Arbeiterschaft, fand man sein Heil im Nationalismus. Die Nation ist das Gute, nur im persönlichen Eigentum liegt das Heil. Allerdings, obwohl er die Nation vergöttert, will er ihr doch nichts schenken. Im Gegenteil erwartet er, dass die Nation ihm selbst Besitz beschert und diesen dann gegen Arbeiter und Gerichtsvollzieher in Schutz nimmt. Der Sozialismus des Mittelstandes bedeutete also: Zahlreiche Kleinunternehmen, denen der Staat das Geschäftsrisiko abnimmt, Privatisierung der Gewinne, Sozialisierung der Verluste.
Letzteres kennen wir ja aus der Gegenwart.
Diese Art des Staatsinterventionismus geht über eine Nachtwächterfunktion weit hinaus. Auch hier wird der sozialistische Aspekt der NS-Politik manifest.
Karlheinz hat geschrieben:
[...]
Der sogenannte Nationalsozialismus zeigt sich letztlich in seiner Grundform als eine Verteilung des Kleineigentums, begründet mit Nationalismus und Rassismus. Die daraus entstehende oder angestrebte „rassische Volksgemeinschaft“ war aber keine egalitäre Gesellschaft.
Egalitär im Sinne von "klassenlos" freilich nicht.
Sie war innerhalb der "Volksgemeinschaft" deutlich egalitär
er als die des Kaiserreichs und der WR. Die soziales Durchlässigkeit wurde innerhalb der "Volksgemeinschaft" erhöht; es wurden z.B. begabte Kinder aus der Unterschicht staatlich gefördert, indem sie einen kostenlosen Bildungszugang erhielten.
Hitler wollte ja, dass -O-Ton-
"der Gegensatz zwischen Proletarier und Bürger überwunden werde" -Sozialismus in Reinkultur.
Karlheinz hat geschrieben:
Während der klassische Sozialismus in der Theorie von der Gleichheit aller Menschen ausgeht und Völkerfreundschaft proklamiert, was immer daraus auch geworden ist, geht der Nationalsozialismus explizit von der Ungleichheit der Menschen aus. [...]
Nicht aller Menschen, sondern zwischen den einzelnen Völkern -einer der zentralen Unterschiede zwischen dunkelrotem und braunem Sozialismus.
Karlheinz hat geschrieben:
[...]
Der Nationalsozialismus war somit in Wirklichkeit ein Raubkapitalismus, ein Bündnis zwischen großen Firmen, dem Staat und der Unterstützung von Teilen der Bevölkerung. [...]
Da das nationalsozialistische Regime von einer freien Marktwirtschaft, die ja bekanntlich eines der zentralen Merkmale des Kapitalismus ist, Lichtjahre entfernt war, halte ich o.a. Terminus für deplatziert.