Lassalle – SPD Gründer im Zwielicht
Verfasst: 24.05.2013, 14:03
Über Ferdinand Lassalle (1825-1864), dem Begründer der deutschen Sozialdemokratie, gehen die Meinungen weit auseinander. War er der große Vorkämpfer für die Rechte der deutschen Arbeiter oder nur ein Karrierist, der die Arbeiter lediglich als Klientel für seinen persönlichen Aufstieg benutzte? Vermutlich ist beides richtig.
Als Sohn eines jüdischen Seidenhändlers in Breslau geboren, beschäftigte er sich schon frühzeitig mit Philosophie und Geschichte, studierte später Jura und wurde Rechtsanwalt. Bekannt wurde er in Deutschland vor allem als Anwalt der Gräfin Hatzfeldt, für die er von 1846 bis 1854 einen Aufsehen erregenden Scheidungsprozess erfolgreich durchführte, der sich für ihn erfreulicherweise als finanziell sehr lukrativ erwies und aller Geldsorgen enthob. Er beteiligte sich an der Revolution von 1848 und verteidigte 1851/52 die Angeklagten im Kölner Kommunistenprozess. Lassalle wird als schillernde, charismatische Persönlichkeit von brillanter Redegewandtheit beschrieben. Sogar Bismarck, der ihn mehrmals traf, zeigte sich von ihm tief beeindruckt.
Lassalle wollte in der Politik Karriere machen, doch in Preußen war Politik das Monopol der Junkerkaste. Er hätte sich der 1861 gegründeten liberalen „Fortschrittspartei“ des preußischen Bürgertums anschließen können, doch er überwarf sich mit deren Führern. So wandte er sich der Arbeiterschaft zu, konkurrierte hier aber mit Karl Marx, der ähnliches anstrebte. Marx hasste diesen unerwünschten Konkurrenten wie die Pest und diffamierte ihn als „jüdischen Nigger“ und „reichen Parvenü mit Geldsack“. (1) Marx schrieb am 30. Juli 1862 an Engels: „ Seit dem Jahr, wo ich ihn sah, ist er ganz verrückt geworden. Er ist nun ausgemacht nicht nur der größte Gelehrte, tiefste Denker, genialste Forscher usw., sondern außerdem Don Juan und revolutionärer Kardinal Richelieu. Dabei das fortwährende Geschwätz mit der falschüberschnappenden Stimme, die unästhetisch demonstrativen Bewegungen, der belehrende Ton!..Dabei das wüste Fressen und die geile Brunst dieses „Idealisten“…Die Zudringlichkeit des Burschen ist auch niggerhaft.“ (2) Aus Marx spricht hier aber nur der reine Neid auf den erfolgreichen Konkurrenten. War Lassalle aber ein Egomane? Davon berichten auch andere.
1862 hielt Lassalle eine Rede vor den Borsig Arbeitern in Berlin. Aus ihr ging später die Programmatik der zukünftigen Partei hervor. Seine Botschaft war schlicht, leicht verständlich und wirkte überzeugend. Sie lässt sich in drei Punkten zusammenfassen:
Es gibt ein ehernes (eisernes) Lohngesetz, welches den Arbeiter zur ewigen Armut verdammt. Steigen die Löhne nämlich, setzen die Arbeiter mehr Kinder in die Welt, es gibt dann zu viele Arbeiter und die Löhne sinken daraufhin erneut. Lassalle war deshalb gegen Gewerkschaften, er hielt sie für nutzlos, auch Frauenarbeit lehnte er ab, da diese die Familien zerstören würde.
Der Ausweg: Die Arbeiter sollten Genossenschaften gründen, dann gehört ihnen nicht nur der Lohn, sondern auch der Gewinn. Die gesamte Privatwirtschaft sollte in genossenschaftliche Betriebe umgewandelt werden.
Der Staat sollte dabei helfen. In freien und gleichen Wahlen sollten die Arbeiter die Mehrheit im Parlament erringen und durch Reformen die Gesellschaft umgestalten.
Um diese Ziele zu erreichen, wurde 1863 in Leipzig der „Allgemeine Deutsche Arbeiterverein“ gegründet mit Lassalle als Präsidenten.
Dass es kein ehernes Lohngesetz gibt, wurde allerdings schon damals kritisiert. Lassalle sieht nur das Angebot an Arbeitskräften, also den demographischen Aspekt als Variable an. Die Nachfrage hingegen, die Zahl der Arbeitsplätze, ist für ihn merkwürdigerweise eine Konstante. Dies stimmt aber nicht, sondern es handelt sich hier gleichfalls um eine Variable, abhängig vom Wirtschaftswachstum. Nach Überwindung der großen Depression 1873 bis 1879 kam es zu einer stürmischen wirtschaftlichen Entwicklung, die Zahl der Arbeitsplätze stieg deutlich an und die Theorie wurde danach nicht mehr vertreten.
Produktivgenossenschaften wurden später viele gegründet, sie blieben aber den kapitalistischen Marktgesetzen unterworfen und wurden keine ernsthafte Alternative. Es wurde kritisiert, das Lassalle lediglich den Kapitalismus der Privateigentümer durch den Kapitalismus der Genossenschaften mit den Arbeitern als Kollektiveigentümern ersetzen wollte.
Lassalle glaubte, den Sozialismus mit Hilfe von Bismarck durchsetzen zu können. So schrieb er an diesen am 8.Juni 1863: ..daß sich der Arbeiterstand instinktiv zur Diktatur geneigt fühlt, wenn er erst mit Recht überzeugt sein kann, das dieselbe in seinem Interesse ausgeübt wird und wie sehr er daher bereit sein wird, in der Krone den natürlichen Träger der sozialen Diktatur, im Gegensatz zu dem Egoismus der bürgerlichen Gesellschaft zu sehen, wenn die Krone ihrerseits sich… zu dem Schritt entschließen könnte, eine wahrhaft revolutionäre und nationale Richtung einzuschlagen und sich aus einem Königtum der bevorrechteten Stände in ein soziales und revolutionäres Volkskönigtum umzuwandeln.“ (3)
Lassalle wollte einen preußischen Sozialismus mit Wilhelm I als Herrscher oder, wie Bismarck in seinen Erinnerungen ironisch anmerkte, mit einem Monarchen Lassalle an der Spitze. In der Tat regierte Lassalle in seinem Arbeiterverein wie ein Autokrat, duldete keinen Widerspruch und als Egomane hätte er sich mit Bismarcks Wahlspruch: „Wo ich sitze, ist immer oben“ identifizieren können. Dieses merkwürdige Vertrauen auf den preußischen Staat kommt uns eigenartig vor, doch Lassalle war überzeugter Hegelianer und dieser hielt ja den preußischen Staat für die Verwirklichung der Vernunft und der sittlichen Idee. Das unsinnige Duell wegen einer Liebesaffäre 1864 beendete leider frühzeitig eine hoffnungsvolle Karriere.
Was bleibt von ihm? Er hat das Verdienst, die deutsche Arbeiterschaft organisiert und ihr ein Bewusstsein als politisches Subjekt gegeben zu haben. Er flößte ihnen Selbstvertrauen ein. Das gab sogar sein Erzfeind Marx zu, obwohl dieser auch noch lange nach dessen Tod gegen Lassalle giftete. Zwar gibt es kein ehernes Lohngesetz und die Idee der Produktivgenossenschaften erwies sich als undurchführbar, aber sein Kampf für ein allgemeines Wahlrecht war langfristig, wenn auch vollständig erst 1918, erfolgreich. Die SPD wurde neben den Liberalen und dem später gegründeten Zentrum zur wichtigsten deutschen Partei.
Nach seinem Tod setzte ein bizarrer Personenkult in der Sozialdemokratie ein, die dem Egomanen gut gefallen hätte. Ihm zu Ehren wurden Hymnen geschrieben und Lieder komponiert. Die Verehrung nahm fast religiöse Züge an. Auf einem Plakat zum fünfzigjährigen Bestehen der SPD wird er als Gründer gefeiert mit seinem Konterfei und dem Vermerk: „Die Arbeiter sind der Fels, auf dem die Kirche der Zukunft gebaut wird“. Ein abgewandelter Bibelspruch. So sollten wir nun das Lied singen:
„Nicht zählen wir den Feind,
Nicht die Gefahren all,
Der Bahn, der kühnen, folgen wir,
Die uns geführt Lassalle!“
(1) Fritz J.Raddatz, Mohr an General, Marx und Engels in ihren Briefen, Wien 1980, Seite 126
(2) Dto. Seite 127
(3) Franz Herre, Nation ohne Staat, Bergisch Gladbach, 1982, S.279