Der frühe Nationalismus der Deutschen

"Deutschland - aber wo liegt es?" Goethe

Moderator: Barbarossa

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dieter
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Barbarossa hat geschrieben: Das Deutsche Kaiserreich wiederum hatte dieses verbindende Element - den Nationalismus. Ich gehe auch davon aus, dass dieser Staat heute noch existieren würde, hätte es nicht zwei Weltkriege gegeben.
Lieber Barbarossa,
Deutschland existiert nach wie vor, zwar nicht als Kaiserreich und unter Verlust eines Drittel seines Landes, aber es ist nach wie vor da und das haben wir Bismarck zu verdanken. :wink:
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Lieber Renegat,
und eine gemeinsame christliche Religion. :wink:
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Barbarossa
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Renegat hat geschrieben:
Barbarossa hat geschrieben: Das Deutsche Kaiserreich wiederum hatte dieses verbindende Element - den Nationalismus. Ich gehe auch davon aus, dass dieser Staat heute noch existieren würde, hätte es nicht zwei Weltkriege gegeben.
Irgendwie zirkelschlüssig , die zwei Weltkriege gab es ja auch wegen des Nationalismus.
Das stimmt natürlich.
Renegat hat geschrieben:
Barbarossa hat geschrieben:Bei der EU vermisse ich jegliches verbindende Element. Das einzige, das Europa heute zusammenhält, ist die Angst vor einem neuen Krieg in Europa. Das scheint mir aber zu wenig zu sein, zumal man ja sagt: "Angst ist ein schlechter Ratgeber."
Das ist doch nicht das einzige verbindende Element in Europa...guck doch auf die Beispiele in deinem Beitrag oben. Das fränkische und das römische Reich waren europäische Reiche. Also hat Europa eine verbindende Geschichte.
Eine gemeinsame Geschichte, ja, aber das hat schon zur Zeit Napoleons nicht gereicht, und reicht dem zur Folge auch heute nicht aus. Das Römische Reich hat große Teile der Bevölkerung assimiliert, das Frankenreich hatte den Glauben als Klammer.
Aber für die EU kann auch der Glaube diese Klammer nicht sein, denn es gibt zu viele Religionen schon in jedem einzelnen EU-Land und auch immer stärker werdender Atheismus.
So sehr ich auch überlege, mir fällt einfach nichts bereits existierendes ein, das als Klammer dienen könnte.
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dieter
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Lieber Barbarossa,
die gemeinsame Klammer ist nach wie vor der christliche Glaube, egal welcher Konfession und die Aufklärung. :wink: Auch sich so nennende Atheisten sind, auch wenn sie nicht wollten, durch den christlichen Glauben geprägt worden und wenn es im Widerspruch zu dem war. :wink:
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Renegat
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Barbarossa hat geschrieben: So sehr ich auch überlege, mir fällt einfach nichts bereits existierendes ein, das als Klammer dienen könnte.
Naja, es ist natürlich Ansichtssache, für dich als Preuße mag es einfach sein. Für den gewöhnlichen Nord-oder Süddeutschen oder Rheinländer ist es ziemlich egal. ob die Oberhoheit nun deutsch oder europäisch ist.
Dieter hat weitere europäische Gemeinsamkeiten aufgezählt.

Weiterhin frage ich mich, wie die Schweiz das schafft, so ganz ohne jegliche Klammer. Und dann sprechen die auch noch 4 verschiedene Sprachen und in jedem Tal ´nen anderen Dialekt. Aber vielleicht reichen in dem Fall die hohen Berge. :D oder die sind einfach vernünftiger und zivilisierter als wir. :wink:
RedScorpion

Barbarossa hat geschrieben:
Renegat hat geschrieben:In den letzten Beiträgen ging es um ein ganz anderes "früher" als im Eingangsbeitrag. Dort ging es um das 19. Jhdt, das Nationenbildungsjahrhundert. Da ich keinen neuen Thread eröffnen will, schließe ich meine Frage hier an.
Durch die zur Zeit aktuellen Diskussionen zum 1. WK, guckt man auch auf die Zeit davor, bes wenn man sich überlegt, dass die Ereignisse zeitlich so nahe zusammenliegen, dass ein damals lebender Mensch einiges selbst erlebt und mündlich an seine Nachkommen weitergegeben haben muß.
Dabei fällt mir auf, dass sich die Nationenbildung iW durch Abgrenzung von Anderen vollzog. Der Andere war oft der benachbarte Feind. Sogar in F reichte die Revolution offensichtlich nicht aus, um aus Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit ein Nation zu formen, Napoleon mußte mit diesen Gedanken halb Europa zwangsbeglücken. In D führten erst ein paar Kriege z.B. gegen Dänemark, Preußen gegen Ö + deutschen Bund und gegen F zur Vorherrschaft Preußens.
Vielleicht liegt es auch an dieser mow gewaltsam durchgesetzten Hegemonie Preußens, dass das Nationalgefühl in D so unterschiedlich ausgeprägt ist.
Was meint ihr? Sind rationale, demokratisch entstandene, politische Zusammenschlüsse dauerhafter als solche, die aus gewonnenen Kriegen, also Unterwerfung, entstanden sind?
Ich glaube, jedes staatliche Gebilde benötigt ein landesweit verbindendes Element.
Um das zu erklären, schaue dazu einfach mal in die Geschichte zurück:
...
Gar nicht "einfach".
Abgesehen von den Projektionen, die die Moderne der Vergangenheitsbetrachtung auferlegt (wobei "Moderne" relativ ist; du legst en masse davon an den Tag, aber es ist eigentlich 19.Jh.),

ist eine durch Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende zurückliegende Vergangenheit, schon aufgrund der dünnen Quellenlage, grundsätzlich Modellen und Plausibilitätswahrscheinlichkeiten unterworfen.

Zudem ist das Beispiel, das Du bringst, schlecht;

denn
Barbarossa hat geschrieben: ...
Ich hab an anderer Stelle bereits das Frankenreich als Beispiel gebracht, das abgesehen von den zahlreichen dynastischen Teilungen ansonsten ein stabiles Reich war - und das trotz der Tatsache, dass der romanische Westeil komplett erobert worden war. Alle Bewohner des Reiches verstanden sich als Franken.
...
der letzte Satz in Deinem Post ist nachgewiesenermassen falsch, der Satz davor nur unter Vorbehalt stimmig.

Deine Message aber ist freilich:
Barbarossa hat geschrieben: ...
Die unterworfenen germanischen Stämme wurden zum Christentum bekehrt - unter Karl dem Großen sogar vor allem mit dem Schwert. Das bedeutet, der gemeinsame Glaube wurde hier zum verbindenden Element.
...
Und diesmal: Ja, kann man wahrscheinlich so sagen, jedenfalls u.a.

Barbarossa hat geschrieben: ...
Auch das Römische Reich war ein Sammelsorium verschiedener Völker. Dass dieses Reich relativ stabil war, mag an der raschen Gleichberechtigung aller Reichsteile und der Romanisierung großer Teile der Bevölkerung gelegen haben.
...
Gleichberechtigt? Erst Caracalla hat, wenn ich jetzt nicht danebenlange, z.B. die Steuerfreiheit Italiens abgeschafft.
Und "stabil" ist relativ. Langlebig sicherlich, vergleichsweise.
Romanisierung im Osten nur teilweise. Eher weiterhin fortschreitende Gräzisierung, aber mitunter nicht zum Schaden der alten einheimischen (meist semitischen) Sprachen, welche sich teilweise auch lang nach der Zerstörung Karthagos in Nordafrika auf (römischen!) Gegenständen finden, teilweise gar repräsentativer und institutioneller Natur.

Barbarossa hat geschrieben: ...
Bei Napoleon I. gab es kein verbindendes Element.
...
Doch. Und zwar das Recht. Entlang moderner Prinzipien, so wie wir es noch heute verstehen.

Barbarossa hat geschrieben: ...
Sein Versuch, ganz Europa zu unterwerfen, musste irgendwann scheitern, weil seine Herrschaft ausschließlich als Fremdherrschaft empfunden wurde, und das, obwohl sie soziale Erleichterungen für das Volk mit sich brachte.
...
Hinderlich für die Durchsetzung obig genannten Rechts waren mit Sicherheit Kriege, Zwangsaushebungen und Wirtschaftskrisen. Ein theoretisch fortschrittliches Rechtssystem nutzt dem Einzelnen null (oder so gut wie), wenn er den Frieden nicht zu sehen bekommt und nix zu beissen hat.

Darüberhinaus hat's regional grosse Unterschiede, auch auf geographisch und politisch relativ eng umrissenen Gebiet. In manchen Kantonen der Schweiz geht Napoleon +- als Verbrecher durch (z.B. in Luzern mit ihrem sterbenden Löwen da für die in den Tuilerien gemeuchelte Schweizergarde und so), in anderen als Volksheld (in meinem hat's sogar 'ne Napoleonische Garde, bis heut). Eben je nach Betrachtungswinkel.

Barbarossa hat geschrieben: ...
Das Deutsche Kaiserreich wiederum hatte dieses verbindende Element - den Nationalismus.
...
Auch nicht überall in gleichem Masse. Das ehemalige Hannover wurde als unsicherer Kandidat gesehen (daher das Trara um die Prinzenhochzeit dann irgendwann bei Reichsende), das Elsass sowieso, Baden und Bayern eh. Und allesamt verabscheuen sie Preussen bis heute und dieses karnevalistische Tschingderassa und "wir sind die besseren Deutschen".

Barbarossa hat geschrieben: ...
Bei der EU vermisse ich jegliches verbindende Element. Das einzige, das Europa heute zusammenhält, ist die Angst vor einem neuen Krieg in Europa.
...
Hä? Welcher Krieg denn, bittschön?

Verbindendes Element ist heute gemeinsames Interesse, Standardisierung in Recht, Handel, Wissenschaft und auf so gut wie allen Gebieten. Prosperität und Zukunftsglaube bzw. -hoffnung. Ist vllt wirklich ein bisschen wenig (reicht aber in Staaten wie den USA allemal), zumal in jenen Zeiten, in denen's wirtschaftlich nicht so gut läuft und - wie Brandenburg also "Preussen" :mrgreen: - in zurückgebliebenen Gebieten. Allein: Mit dem Nationalismus von 1820, so wie Du ihn verstehst (und wie er in D niemals zum Tragen kam, was ja das Desaster von 1848 ist), kommt man heut nimmer weit.



LG
RedScorpion

Renegat hat geschrieben:
Barbarossa hat geschrieben: So sehr ich auch überlege, mir fällt einfach nichts bereits existierendes ein, das als Klammer dienen könnte.
Naja, es ist natürlich Ansichtssache, für dich als Preuße mag es einfach sein. Für den gewöhnlichen Nord-oder Süddeutschen oder Rheinländer ist es ziemlich egal. ob die Oberhoheit nun deutsch oder europäisch ist.
Dieter hat weitere europäische Gemeinsamkeiten aufgezählt.

Weiterhin frage ich mich, wie die Schweiz das schafft, so ganz ohne jegliche Klammer. Und dann sprechen die auch noch 4 verschiedene Sprachen und in jedem Tal ´nen anderen Dialekt. Aber vielleicht reichen in dem Fall die hohen Berge. :D oder die sind einfach vernünftiger und zivilisierter als wir. :wink:
Oesterreich hat anteilmässig mehr Berge als die CH. Und das mit den Dialekten ist relativ (Sprache seh' ich als ziemlich kleines Problem an. S. auch u.a. Bosnien, als es zum Konflikt kam, obwohl alle - bis auf Slowenen und Kosovaren - dieselbe identische Sprache hatten).
Sicherlich hat der Föderalismus bzw. der föderale Bundesstaat seit 1830/48
- also zur rechten Zeit, als es in Resteuropa langsam begann, brenzlig zu werden, was Auswüchse des nationalen Gedankens betrifft, und sich die preussische Dampfwalze langsam so anschickte, Amok zu laufen bzw. die Hochkonservativen versuchten, einen künstlichen Einheitsstaat zu schaffen, und zwar ganz ausdrücklich eigentlich gegen den Nationengedanken; was ja eben gerade Teil des Desasters ist, für das Europa und auch die Deutschen teuer bezahlt haben -
einen Gutteil Weichen gestellt,

und dann die im Vergleich gerade zu Deutschland frühe Industrialisierung und enormes Wachstum des Lebensstandards. Auch durch Einwanderung schon seit dem 18. Jh. und wirtschaftliche Verflechtungen weltweit.

Stichwort ist auch die vielzitierte "Willensnation"; wobei ich das etwas übertrieben finde und es ein bisschen bemüht wirkt (Willen wozu? Neutralität usw. braucht's heuer ja nimmer, z.B.). Aber freilich ist ein Schweizer spätestens ab 1848 kein Untertan mehr, ganz im Gegensatz zu den Einwohnern östlich und nördlich der Staatsgrenzen.



LG
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Barbarossa
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RedScorpion hat geschrieben:... Stichwort ist auch die vielzitierte "Willensnation"; wobei ich das etwas übertrieben finde und es ein bisschen bemüht wirkt (Willen wozu? ...)...
Wenn du den Begriff "Willensnation" nicht verstehst, dann verstehst du eigentlich das ganze Thema nicht. Es geht dabei um den "Willen" eines Volkes (von mir aus auch der Bevölkerungsmehrheit), eine gemeinsame Nation - einen Staat zu bilden.
Die Bildung der Nationalstaaten bedeutete einen gewaltigen Umbruch der politischen Landschaft, aber auch innerhalb der Gesellschaft. Denn der Nationalstaatsgedanke ging vom Bürgertum aus und die machthabenden Monachen hatten sich zu entscheiden, welche Stellung sie dazu einnahmen. Akzeptierten sie die Veränderungen, konnten sie meist Monarchen bleiben, hatten aber kaum noch reale Macht, da die Veränderungen auch ein demokratisch gewähltes Parlament beinhaltete. In den Ländern, in denen die Monarchen die Veränderungen nicht akzeptierten, wurde die Monarchie abgeschafft und wurden damit zu einer Republik.

Und das ist der Knackpunkt, den ich sehe: Während die Nationalstaaten aus dem damaligen Zeitgeist der Bevölkerung heraus entstanden sind, ist die EU ein Konstrukt der heutigen politischen Elite, in nicht wenigen Ländern zudem noch gegen große Widerstände der Bevölkerung.
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RedScorpion

Barbarossa hat geschrieben:
RedScorpion hat geschrieben:... Stichwort ist auch die vielzitierte "Willensnation"; wobei ich das etwas übertrieben finde und es ein bisschen bemüht wirkt (Willen wozu? ...)...
Wenn du den Begriff "Willensnation" nicht verstehst, dann verstehst du eigentlich das ganze Thema nicht. Es geht dabei um den "Willen" eines Volkes (von mir aus auch der Bevölkerungsmehrheit), eine gemeinsame Nation - einen Staat zu bilden.
...
Meine These hingegen ist: Du verstehst das Thema nicht.

Ich hab' den Terminus "Willensnation" in Anführungszeichen gesetzt, weil jeder, der sich auch nur ansatzweise mit Linguistik und Semiotik (oder btw. auch mit Psychologie z.B.) beschäftigt hat, spätestens seit Frege weiss, dass es einen Willen des Volkes nicht gibt und nicht geben kann, es sei denn als Metapher. Kann man ggf. nachlesen, falls hier Nachholbedarf besteht.

Staats- und Gesetztheoretisch bezeichnet der Begriff aber etwas anderes als einen ominösen persönlichen "Willen", einen Staat zu bilden, nämlich eher Referenz an Rousseau'schen Gesellschaftsvertrag und Appell an Prinzipien, die als Ausgangsbasis und Quellen von Rechtsgrundlagen dienen.

Darüberhinaus ist das heutige "Volk" nichtmal teilidentisch mit jenem selbst spät geborener Nationen wie Deutschland, denn alle 1871 lebenden Personen sind mausetot. Können keinen Willen mehr haben, ausser vllt im Jenseits (wer weiss?), und schon gar nicht zur Nationenbildung, denn das braucht's nicht, denn es gibt die Nation oder den Staat ja schon längst.

Barbarossa hat geschrieben: ...
Die Bildung der Nationalstaaten bedeutete einen gewaltigen Umbruch der politischen Landschaft, aber auch innerhalb der Gesellschaft. Denn der Nationalstaatsgedanke ging vom Bürgertum aus und die machthabenden Monachen hatten sich zu entscheiden, welche Stellung sie dazu einnahmen. Akzeptierten sie die Veränderungen, konnten sie meist Monarchen bleiben, hatten aber kaum noch reale Macht, da die Veränderungen auch ein demokratisch gewähltes Parlament beinhaltete. In den Ländern, in denen die Monarchen die Veränderungen nicht akzeptierten, wurde die Monarchie abgeschafft und wurden damit zu einer Republik.
...
Eben nicht. Jedenfalls nicht in Preussen bzw. in Deutschland vor 1918. Das Bürgertum bzw. die nationalliberale Idee von 1848 wurden ja eben nicht befriedigt, und die Hochkonservativen um Bismarck einten das Reich, indem sie die Veränderungen eben nicht akzeptierten und Preussen als dominierender Teilstaat keine Demokratie war. Das ging freilich nicht, ohne dem Bürgertum irgendwo entgegenzukommen, aber eher weniger in Sachen Liberalismus und Demokratie.

Barbarossa hat geschrieben: ...
Und das ist der Knackpunkt, den ich sehe: Während die Nationalstaaten aus dem damaligen Zeitgeist der Bevölkerung heraus entstanden sind, ist die EU ein Konstrukt der heutigen politischen Elite, in nicht wenigen Ländern zudem noch gegen große Widerstände der Bevölkerung.
Das D.R. von 1871 ist mit Sicherheit nichtmal nur ein Produkt der Elite, sondern einer Teilelite, nämlich der preussischen Hochkonservativen.
Das mag sich dann, durch mannigfache Faktoren, im Laufe der Jahrzehnte danach, wohlgemerkt der friedlichen Jahrzehnte danach, allerdings ein wenig verschoben haben. Aber von "Willensnation" kann im Fall Deutschlands überhaupt keine Rede sein, damals noch viel weniger als heute.
Man muss allerdings dazusagen, dass dies bei den meisten europ. Staaten nicht viel anders ist.
Und auch heute noch gibt's ja wohl selten darüber alle paar Jahre Volksentscheide, ob ein best. Gebiet weiterhin ein Staat sein "will" oder nicht.



LG
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Titus Feuerfuchs
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Barbarossa hat geschrieben:
Das Deutsche Kaiserreich wiederum hatte dieses verbindende Element - den Nationalismus. Ich gehe auch davon aus, dass dieser Staat heute noch existieren würde, hätte es nicht zwei Weltkriege gegeben.
Das verbindende Element sehe ich nicht primär im Nationalismus, sondern va. in der gemeinsamen Sprache und Kultur.

Barbarossa hat geschrieben: Bei der EU vermisse ich jegliches verbindende Element. Das einzige, das Europa heute zusammenhält, ist die Angst vor einem neuen Krieg in Europa. Das scheint mir aber zu wenig zu sein, zumal man ja sagt: "Angst ist ein schlechter Ratgeber."
Die EU ist, va. in ihrer derzeitigen Ausprägunng, ein von Eliten oktroyiertes Projekt und keine historisch gewachsene Staatenvereinigung, wie z.B. die USA.


Die Angst vor einem neuen Krieg (zwischen europäischen Nationalstaaten) ist in meinen Augen völlig unbegründet.
Warum sollte es diesen geben?
MfG,
Titus Feuerfuchs
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dieter hat geschrieben:Lieber Barbarossa,
die gemeinsame Klammer ist nach wie vor der christliche Glaube, egal welcher Konfession und die Aufklärung. :wink:
Glaube nicht, dass das in einer vergleichsweise antiklerikalen Bev. eine so wichtige Rolle spielt. Der christliche Bevölkerungsanteil sinkt beständig und wenn die Türkei (als dann größtes Land der EU) Mitglied wird, ist das Argument sowieso obsolet.
dieter hat geschrieben: Auch sich so nennende Atheisten sind, auch wenn sie nicht wollten, durch den christlichen Glauben geprägt worden und wenn es im Widerspruch zu dem war. :wink:
Das stimmt alerdings.
MfG,
Titus Feuerfuchs
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Renegat hat geschrieben:
Barbarossa hat geschrieben: So sehr ich auch überlege, mir fällt einfach nichts bereits existierendes ein, das als Klammer dienen könnte.
Naja, es ist natürlich Ansichtssache, für dich als Preuße mag es einfach sein. Für den gewöhnlichen Nord-oder Süddeutschen oder Rheinländer ist es ziemlich egal. ob die Oberhoheit nun deutsch oder europäisch ist.
Dieter hat weitere europäische Gemeinsamkeiten aufgezählt.
Das behauptest du laufend.

Hast du dafür eine seriöse Grundlage, sprich Quelle?

Ich für meinen Teil glaube nämlich nicht, dass das redundante Brainwashing bereits ausgereicht hat, um deine Ansicht zur Mehrheitsmeinung werden zu lassen.

Renegat hat geschrieben: Weiterhin frage ich mich, wie die Schweiz das schafft, so ganz ohne jegliche Klammer. Und dann sprechen die auch noch 4 verschiedene Sprachen und in jedem Tal ´nen anderen Dialekt. [...]
Da gibt's sehr wohl Klammern. Historische Kontinuität, typische schweizer Werte (direkte Demokratie, Neutralität,...), der eigene schweizer Weg in Europa, Wohlstand, Zusammenghörigkeitsgefühl trotz unterschiedlicher Sprachen, etc...
MfG,
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Barbarossa
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RedScorpion hat geschrieben:Meine These hingegen ist: Du verstehst das Thema nicht...
Tja - Thesen können aber auch widerlegt werden.
:wink:
RedScorpion hat geschrieben:Ich hab' den Terminus "Willensnation" in Anführungszeichen gesetzt, weil jeder, der sich auch nur ansatzweise mit Linguistik und Semiotik (oder btw. auch mit Psychologie z.B.) beschäftigt hat, spätestens seit Frege weiss, dass es einen Willen des Volkes nicht gibt und nicht geben kann...
Wir hatten das Thema schon. Ob wir uns da jemals auch nur etwas annähern werden, bezweifle ich allerdings irgendwie...
:?
Aber in der Zeit von 1989/90 habe ich den Volkswillen beobachten können, ja sogar emotional spüren können. Die Wahl vom 18. März '90 brachte dann diesen Willen des Volkes klar zum Ausdruck. Und diese Erlebnisse lasse ich mir auch nicht wegdiskutieren - auch nicht von irgendwelchen Theoretikern. Die können sich auch irren.
Es ist natürlich ein Unterschied, ob es bei euch in der Schweiz eine Volksabstimmung gibt, an der nur 40 % der Bürger teilnehmen und die eine oder andere Seite gewinnt dann ganz knapp. Das ist imho kaum mit dem Volkswillen gleichzusetzen.
Wenn aber von 12 Mill. Wahlberechtigten 92 % teilnehmen und dann zu über 80 % Parteien gewählt werden, die sich klar für die Einheit Deutschlands einsetzen - wie 1990 in der DDR geschehen - dann ist in diesem Fall der Volkswille klar ablesbar.

Übrigens: Der von dir monierte Begriff "Volkswille" ist in der deutschen Sprache absolut gebräuchlich, klick hier --> Volkswille
Wenn er sogar im Duden steht, dann kann man ihn als existent betrachten. Der Duden wiederum ist für mich wie ein Gesetzbuch, was die deutsche Sprache angeht.

RedScorpion hat geschrieben:Darüberhinaus ist das heutige "Volk" nichtmal teilidentisch mit jenem selbst spät geborener Nationen wie Deutschland, denn alle 1871 lebenden Personen sind mausetot...
Ok, alles bekannte Argumente - hatten wir alles schon. Nun ist es aber so, dass jemand, der nie ein geteiltes Deutschland kennen gelernt hat, oft die Gegebenheiten akzeptiert. Denn er kennt es ja nicht anders.
Anders ist es bei jemandem, der die Zeiten vor 1871 oder vor 1990 erlebt hat. Er hat eine Vergleichsmöglichkeit. Wenn er also für die Einheit Deutschlands ist, dann tut er das bewusst auch für die nachfolgenden Generationen. Zu Recht, wie ich finde.
RedScorpion hat geschrieben:Können keinen Willen mehr haben, ausser vllt im Jenseits (wer weiss?), und schon gar nicht zur Nationenbildung, denn das braucht's nicht, denn es gibt die Nation oder den Staat ja schon längst...
Vor 1871 und zwischen 1949-90 gab es eben keinen einheitlichen Staat, nur den Willen der Bevölkerungsmehrheit dafür.

Barbarossa hat geschrieben: ...
Die Bildung der Nationalstaaten bedeutete einen gewaltigen Umbruch der politischen Landschaft, aber auch innerhalb der Gesellschaft. Denn der Nationalstaatsgedanke ging vom Bürgertum aus und die machthabenden Monachen hatten sich zu entscheiden, welche Stellung sie dazu einnahmen. Akzeptierten sie die Veränderungen, konnten sie meist Monarchen bleiben, hatten aber kaum noch reale Macht, da die Veränderungen auch ein demokratisch gewähltes Parlament beinhaltete. In den Ländern, in denen die Monarchen die Veränderungen nicht akzeptierten, wurde die Monarchie abgeschafft und wurden damit zu einer Republik.
...
RedScorpion hat geschrieben:Eben nicht. Jedenfalls nicht in Preussen bzw. in Deutschland vor 1918. Das Bürgertum bzw. die nationalliberale Idee von 1848 wurden ja eben nicht befriedigt, und die Hochkonservativen um Bismarck einten das Reich, indem sie die Veränderungen eben nicht akzeptierten und Preussen als dominierender Teilstaat keine Demokratie war. Das ging freilich nicht, ohne dem Bürgertum irgendwo entgegenzukommen, aber eher weniger in Sachen Liberalismus und Demokratie...
Das stimmt. Das kaiserliche Deutschland ist ein Sonderfall. Dort fand auch eine Einigung "von oben" statt. Die preußischen Machthaber schafften einen Einheitsstaat unter der Führung Preußens und erfüllten so auch die Forderungen der Bevölkerung.
Aber klar ist auch: Wer die politische Macht hat, gibt sie ungern aus den Händen. So gab es zwar ein Parlament, aber mit eingeschränkten Befugnissen.
Aber auch dieses Kaiserreich wäre reformierbar gewesen. Einen Monat vor der Abdankung des Kaisers wurde noch der Versuch hin zu einer echten parlamentarischen Monarchie gemacht - zu spät.
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Titus Feuerfuchs hat geschrieben:
Die Angst vor einem neuen Krieg (zwischen europäischen Nationalstaaten) ist in meinen Augen völlig unbegründet.
Warum sollte es diesen geben?
Lieber Titus,
sehe ich auch so, wer sollte in Europa einen Krieg beginnen :?:
Zuletzt geändert von dieter am 21.01.2014, 09:59, insgesamt 1-mal geändert.
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
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Titus Feuerfuchs hat geschrieben:
dieter hat geschrieben:Lieber Barbarossa,
die gemeinsame Klammer ist nach wie vor der christliche Glaube, egal welcher Konfession und die Aufklärung. :wink:
Glaube nicht, dass das in einer vergleichsweise antiklerikalen Bev. eine so wichtige Rolle spielt. Der christliche Bevölkerungsanteil sinkt beständig und wenn die Türkei (als dann größtes Land der EU) Mitglied wird, ist das Argument sowieso obsolet.
Lieber Titus,
60 bis 70% der deutschen Bevölkerung gehören noch einer christlichen Religionsgemeinschaft an. Die Türkei wird niemals Mitglied der EU, die europ. Länder trauen sich nur nicht das den Türken zu sagen, deshalb die langen Verhandlungen. :wink: Selbst wenn, die EU hat über 300 Millionen Menschen, da werden auch 80 Millionen Türken nicht die Mehrheit stellen, auch über 80 Millionen Deutsche tun dies nicht. :wink:
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