Wie wird man Mullah im Iran?

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Moderator: Barbarossa

ehemaliger Autor K.

Noch bis zur islamischen Revolution und auch noch eine Zeit danach, war dies folgendermaßen geregelt: Ein Mullah kann eigentlich jeder männliche Gläubige werden. Man muss dazu eine theologische Hochschule besuchen, die keine Aufnahmeprüfung kennt und keine Vorbedingungen stellt. Auch arme Bauernjungen mit geringer Schulbildung können sie besuchen. Es gibt auch keine Zeugnisse, keine Abschlussprüfungen, keine akademischen Grade.

In den ersten Jahren lernt der Student die arabische Schriftsprache und die Grundbegriffe der islamischen Theologie. Meistens schließen sie sich zunächst einem Lehrer an, der sie mit Unterkunft und Verpflegung versorgt. Doch schon kurze Zeit später müssen sie lernen, sich selbst zu versorgen. Sie geben Kurse für Neueinsteiger oder versuchen Gläubige zu finden, denen sie predigen können. Von den Gaben ihrer Zuhörer leben sie dann. Ein Mullah bekommt kein Gehalt, er muss versuchen, möglichst gut und interessant zu predigen, je mehr Gläubige, desto mehr Geld. Das alte Spiel von Angebot und Nachfrage. Ist man ein guter Mullah, kommen die Leute zu einem und wollen Rat und Auskünfte, er wird zu einer Vertrauensperson und gewinnt dadurch schon einen beträchtlichen Einfluss. Ein System von Prüfungen und eine festgelegte Hierarchie in der Geistlichkeit mit Zugangs-und Aufstiegsregelungen gibt es nicht. Natürlich existiert aber trotzdem eine Rangordnung. Welchen Rang man aber besetzen kann, entscheiden die Gläubigen. Ihre Zustimmung oder Ablehnung ersetzt das System von Prüfungen, wie es anderswo üblich ist.

Zwischen den Lehrern und Studenten kommt es immer zu heftigen Diskussionen. Der Lehrer muss versuchen, in den Diskussionen die besseren Argumente zu liefern, die Studenten müssen sich profilieren mit kritischen Beiträgen, sie sind aufgefordert, sich mit der Meinung des Lehrenden auseinanderzusetzen und sie zu hinterfragen. Wer dies besonders gut kann, steigt in der Rangordnung auf. Dies entscheiden die Studenten und die Gläubigen. Da keine Prüfungen stattfinden und der Lehrer keine Noten vergeben kann, muss er seine Autorität durch bessere Argumente und rhetorisches Geschick unter Beweis stellen.

Die Ausbildung kennt drei Stufen. Nach dem Erlernen der arabischen Sprache erfolgt das Erlernen der Rechtslehre und in der dritten Stufe, die von unbegrenzter Dauer sein kann, werden der Koran und die klassischen Texte interpretiert. In welche Stufe man aufsteigt, entscheiden ebenfalls die Gläubigen und die Studenten, da es keine Prüfungen gibt und nur die Argumentationsfähigkeit und das Geschick des Studierenden entscheidend sind und der Eindruck, den sie auf ihre Umgebung machen.

So ein Mullah hat es also nicht leicht. Reichtümer kann man damit nicht anhäufen. Er muss sich ständig vor den Gläubigen profilieren, da er von deren Spenden abhängig ist. Versagt er in deren Augen, wird er von ihnen finanziell nicht unterstützt und erlebt ein schnelles Ende als Geistlicher.

Die alte Ober-und Mittelschicht im Iran hatte oftmals keine sehr gute Meinung von den Mullahs, da diese meistens aus der Unterschicht kamen und nur ein niedriges Bildungsniveau besaßen. Für junge Männer aus armen Verhältnissen bot die Karriere als Geistlicher aber oftmals die einzige Möglichkeit für einen sozialen Aufstieg. Viele Mullahs waren in der einfachen Bevölkerung oftmals beliebt, da sie die Sprache des Volkes redeten und ständig unter ihnen lebten. So wurden sie für viele zur ersten Anlaufstelle, wenn die Menschen Rat benötigten.

Nach der islamischen Revolution kam es zu vielen Veränderungen. Das Studium wurde stark reglementiert und ähnelt nun vom Aufbau her mehr westlichen Studiengängen mit ihren Prüfungssystemen. Die Mullahs werden jetzt staatlich besoldet. Viele machen zudem noch Korruptionsgewinne. Da sie nun aber nicht mehr von der Gnade der Gläubigen abhängig sind, kann es leicht zu Entfremdungen von ihrer früheren Klientel kommen, auf deren Zustimmung sie nun nicht mehr angewiesen sind. Die zukünftige Rolle der Mullahs ist unklar. Sie werden auf jeden Fall versuchen, ihren jetzigen, privilegierten Status zu behaupten.
(Angaben entnommen aus: Bahman Nirumand, Iran die drohende Katastrophe, 2006)
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