Der Artikel des Tagesspiegel (Eingangsartikel) ist mehr als dürftig. Zum einen haben die Eltern zivilrechtliche Schritte gegen das Tatoo-Studio unternommen, weil es zu handwerklichen Fehlern kam (Schmerzensgeld!).
Diese handwerklichen Fehler & die eventuelle Verletzung der Fürsorgepflicht durch die Eltern (nämlich Schaden vom Kind abzuhalten) führen zu möglichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft.
Das ist ein normaler Vorgang in unserem Justizsystem.
Der Tagesspiegel setzt das jetzt in einen Zusammenhang mit dem Beschneidungsurteil und der aktuellen Debatte, um eine neue Schlagzeile zu kreieren.
Man kann es nicht oft genug betonen: Die Beschneidung ist kein "kleiner" Eingriff, sondern führt zu erheblichen Schmerzen. Dazu ist noch die negative Glaubensfreiheit des Kindes betroffen.
Das Stechen von Ohrlöchern ist nicht vergleichbar.
Fängt man mit dieser Argumentation an, dann wird die Erziehung den Eltern unmöglich gemacht. Denn jegliche Handlungweise der Eltern betrifft Grundrechte des Kinders (im Übrigen immer Art 2 als Auffanggrundrecht).
Art 6 II sagt: Pflege und Erziehung der Kind sind das natürliche Recht der Eltern. Ich zitiere im Folgenden aus dem Maunz/Dürig:
Das Grundrecht des Art. 6 Abs. 2 garantiert den Eltern gegenüber dem Staat den Vorrang als Erziehungsträger. Dieses Elternrecht enthält als wesensbestimmenden Bestandteil die Pflicht zur Pflege und Erziehung der Kinder; denn die elterlichen Rechte finden ihre Rechtfertigung allein in dem Bedürfnis des Kindes nach Schutz und Hilfe
Badura in Maunz/Dürig GG-Kommentar Art. 6 Rn. 107
Diese Pflicht obliegt „zuvörderst“ den Eltern, eine Klausel, mit der die Verfassung unterstreicht, daß es zuerst Sache der Eltern – und nicht des Staates oder gesellschaftlicher Kräfte – ist, über die Erfüllung der Pflicht zu bestimmen.
Rn. 133 a.a.O.
Die Berücksichtigung des Kindes in seiner Individualität als Grundrechtsträger profiliert auch die Elternverantwortung in der Weise, daß mit abnehmender Pflege- und Schutzbedürftigkeit sowie zunehmender Selbstbestimmungsfähigkeit des Kindes die im Elternrecht wurzelnden Rechtsbefugnisse zurückgedrängt werden, bis sie schließlich mit der Volljährigkeit des Kindes erlöschen. zur Fussnote
Rn. 135 a.a.O.
Einwilligung der Eltern bei Eingriffen in die allgemeine Handlungsfreiheit des Kindes (Haare schneiden, Ohrlöcher stechen):
Die Einwilligung hängt an sich nicht von der Volljährigkeit, sondern von der Reife- und Einsichtsfähigkeit des Kindes ein. Bei Kindern unter 14 Jahren wird diese im Üblichen nicht angenommen. Dann müssen die Eltern als gesetzliche Vertreter (§1629) einwilligen.
Der BGH hat hierfür die 3-Stufen-Theorie entwickelt: Routinefälle, ärztliche Eingriffe schwererer Art mit nicht unbedeutenden Risiken und große Operationen mit schwerwiegenden, weitreichenden Entscheidungen und erheblichen Risiken. Bei Routinefällen darf sich der Arzt auf die Einwilligung der Eltern verlassen! (Erlinger/Bock in Widmaier, Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, 1. Auflage 2006, Rn 77 - 84)
Im Ergebnis ist das Ohrlöcher-Stechen somit ein Routinefall, widerspricht nicht dem Kindeswohl (gesellschaftliche Akzeptanz)... Anders im obigen Fall, der anders gelagert ist.
Man sollte nicht aus jeder Mücke einen Elefanten machen und dem überwiegenden Anteil der Eltern auch zutrauen, dass sie wissen, was für ihr Kind gut ist. Es ist nunmal so, dass die Eltern den Grundstock für ein erfolgreiches Leben ihrer Abkömmlinge legen oder eben auch nicht legen.