Wochenkrippen u. Wochenheime in der DDR

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Moderator: Barbarossa

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Barbarossa
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Nach mehr als 30 Jahren nach dem Ende der DDR beginnen z. T. erst jetzt Studien zur Aufarbeitung der Verhältnisse in der DDR.
So auch z. B. eine Ausstellung zum Thema Wochenkrippen, die erst Ende Mai zu Ende ging.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden zur außerfamiliären Kinderbetreuung in der DDR flächendeckend sowohl Tageseinrichtungen (Kinderkrippen für Kinder von 0-3 und Kindergärten für Kinder von 3-6 Jahren), aber auch Wochenkrippen und Wochenheime (zur Betreuung der Kinder von Montag-Freitag oder Samstag) geschaffen. Mitte der 1960er Jahre gab es fast 40.000 Wochenkrippenplätze in der DDR, die ab den 70ern allmählig reduziert wurden. 1989 gab es noch 4.800 Plätze dieser Art, die 1992 dann endgültg geschlossen wurden.

Es hatte sich gezeigt, dass bei so kleinen Kindern im Krippenalter zahlreiche psychische Probleme auftaten, die sich z. T. auch heute im Erwachsenenalter noch zeigen.
Schon im Kindesalter traten Symptome wie exzessives Daumenlutschen, motorische Defizite, Defizite im Sozialverhalten, Hospitalismus und Apartie auf und waren überhaupt auch häufiger krank.
Und noch heute leiden Betroffene an psychischen Probemen, wie Depressionen, Verlustängsten, Konzentrationsstörungen und posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS), bis hin zu jahrelanger Arbeitsunfähigkeit. Die Symptome können sich die Betroffenen selbst oft nicht erklären, da sie meist keine bzw. kaum Erinnerungen an diese so frühe Kindheit haben.

Dass gerade Wochenkrippen (wie gesagt, im Alter von 0-3 Jahren gab es die ganze Arbeitswoche über keinen Kontakt zu den Eltern) ernste psychische Belastungen für so kleine Kinder bedeuten, war der DDR-Regierung bereits frühzeitig bekannt. Es gab eine Studie der Berliner Humboldt-Universität, in der die Ärztin Eva Schmidt-Kolmer Ende der 50er Jahre die Entwicklung von Wochenkrippenkindern dokumentierte. Dort waren auch genau die beschriebenen Symptome aufgelistet. Doch das Ergebnis entsprach nicht den Wunschvorstellungen des damaligen Staates. In bestimmten Familien war eine andere Kinderbetreuung als in Wochenheimen und -krippen kaum möglich. Die Eltern arbeiteten (beide oder alleinerziehend) oft im Schichtbetrieb oder hatten aus anderen Gründen nicht die Möglichkeit, die Kinder selbst zu betreuen. Zudem gab es in der DDR nicht nur das Recht auf Arbeit, sondern auch die Pflicht zur Arbeit. Jeder Bürger, ob Mann oder Frau, wurde in der DDR als Arbeitskraft benötigt.
Quelle: Tagesspiegel - Printausgabe v. heute
zum Nachlesen auch hier:
https://www.tagesspiegel.de/gesellschaf ... 07322.html
https://www.tagesspiegel.de/gesellschaf ... 05777.html
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andreassolar
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40.000 Wochenkrippenplätze Mitte der 1960er (vollständige bzw. nahezu vollständige Belegung ?) - in Relation zu wieviel Kindern Mitte der 1960er in der DDR?
Skeptik
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andreassolar hat geschrieben: 06.06.2023, 10:16 40.000 Wochenkrippenplätze Mitte der 1960er (vollständige bzw. nahezu vollständige Belegung ?) - in Relation zu wieviel Kindern Mitte der 1960er in der DDR?
Da findet man leider nur Annäherungswerte. 1968 lebten in der DDR zwischen 9 und 10 Millionen Frauen. Jede Frau gebar durchschnittlich zwischen 1 und 2 Kindern. 40.000 Wochenkrippenplätze waren also sicher nicht ausreichend vorhanden.

...In Ost wie West stellten Frauen 1968 noch knapp eine Bevölkerungsmehrheit dar: Von 17 Millionen Einwohnern in der DDR waren über 9 Millionen Frauen (53 Prozent). In der Bundesrepublik waren 32 der 60 Millionen Einwohner Frauen (53,3 Prozent).
...Zu Beginn der 1970er Jahre kam es in beiden Staaten zu einem markanten Einbruch der Fertilitätsrate: So fiel die Fertilitätsrate 1974 in der Bundesrepublik auf 1,51 und in der DDR auf 1,54 Kinder je Frau. Grund dafür waren veränderte Moralvorstellungen und die Einführung der Antibabypille.
...1950 konnte ein Baby bereits ab der sechsten Lebenswoche aufgenommen werden, dann verschob sich der Zeitpunkt der Aufnahme in die Kinderkrippe stufenweise auf 14 Lebenswochen, ab 1972 auf 18 und ab 1976 auf 20 Lebenswochen.

https://www.bpb.de/themen/deutschlandar ... n-der-ddr/

.Bindungserfahrungen in der frühen Kindheit beeinflussen die Entwicklung eines Kindes bis ins Erwachsenenalter. Die damalige mehrtägige Trennung der Kinder von ihren Eltern durch die Unterbringung in einer Wocheneinrichtung hat sich unmittelbar nachteilig auf das Wachstum und den Kompetenzerwerb der Kinder ausgewirkt.

https://www.dji.de/fileadmin/user_uploa ... rippen.pdf
...1989 gab es ca. 360.000 Plätze in etwa 7 770 Krippen und Heimen, davon etwa 3 500 Heim- und 4.800 Wochenplätze ("Mitteilungen" des MfGe 1989). Etwa 60 % der Kinder bis 3 Jahre oder 80 % "der infrage kommenden Kinder" besuchten die Einrichtungen. Nicht in Frage kamen fast alle Kinder im ersten Lebensjahr wegen bezahlter Freistellung der Mutter von der Arbeit. Etwa 30 000 Anträge auf Krippenaufnahme konnten 1989 immer noch nicht befriedigt werden.
andreassolar
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Entlang dem Statistischen Jahrbuch der DDR 1966 gab es 1964

280.000 Kinder im 1. Lebensjahr.

Theoretisch gab es also für ca. 14% der Kinder im 1. Lebensjahr Wochenkrippenplätze, sofern man von den 40.000 Wochenkrippenplätzen Mitte der 1960er Jahre ausgeht.
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