Hallo und herzlich Willkommen in unserem Forum, Apitcius!
Vielleicht wird das noch eine interessante Diskussion.
Apitcius hat geschrieben:HAllo Barbarossa,
Den Artikel "Verantwortung in einem totalotären Staat" habe ich auch gelesen und teile die Meinung, dass Ihre Handlungen nicht dazu beigetragen haben, die DDR zu schädigen.
Meine Eingangsthese war ja:
"Eine Diktatur kann nur funktionieren, wenn genug Leute aktiv mitwirken."
Daraus folgt ja, daß bereits die Verweigerung einer aktiven Mitwirkung für ein totalitäres Regime eine Schädigung bedeutet. Wenn man weiß, wie ein solches Regime aufgebaut ist, erscheint die These naheliegend:
Ein totalitärer Staat wird i.d.R. von einer dominierenden Partei beherrscht. Je mehr Leute also in dieser Partei Mitglied werden, um so leichter wird es für ein Regime, sich an der Macht zu halten.
Im Umkehrschluss heißt das aber auch:
Tritt niemand in die machthabende Partei ein, wird deren Machbasis untergraben. In der DDR hatte die SED in ihrer "Glanzzeit" über 2,2 Mill. Mitglieder. Das ist schon eine ziemlich hohe Zahl für ein 15 Mill.-Volk.
Apitcius hat geschrieben:Ich sehe es eher als selbstverständlich an, sich gegen den Eintritt der SED zu entscheiden, wenn man sich dort nicht wiederfindet. Auch die Schilderungen mit der NVA - sehe ich eher selbstverständlich an.
Das war ganz und gar nicht selbstverständlich. Zumindest habe ich am Gesicht des Herren in Uniform bei meiner Musterung ablesen können, daß ihm noch nicht viele ins Gesicht gesagt hatten, daß man ein Problem damit hätte, an der Grenze auf Menschen zu schießen.
Man muß dabei berücksichtigen, daß sich die Machtbasis der SED z. T. auch auf einer unterschwelligen Angst der Bürger vor der Staatsgewalt aufbaute. Das ist in jeder Diktatur so.
Auch die Ablehnung einer Mitgliedschaft in der SED war nicht unbedingt selbstverständlich.
1985 lernte ich eine Familie aus dem damaligen "Karl-Marx-Stadt" (heute wieder Chemnitz) kennen. Die Frau erzählte dabei, daß auch sie auf ganz ahliche Weise "befragt" wurde, wie sie es mit einer SED-Mitgliedschaft halten würde. Nach ihrer Aussage fühlte sie sich dabei so bedrängt, daß sie irgendwann nachgab und "ja" sagte. Und das, obwohl sie von der Politik ganz und gar nicht überzeugt war, wie ich daraus schloss, wie sie sich äußerte.
In anderen Fällen habe ich auch davon gehört, daß Leute lieber schnell in eine der Blockparteien (z. B. CDU) eingetreten sind. Danach wurden sie dann vom SED-Parteisekretär in Ruhe gelassen.
Anderereseits waren sie nun aber auch in das System politisch eingebunden, denn auch die CDU war in der DDR keine Oppositionspartei, sondern staatstragend.
Ich verweigerte dagegen allerdings jegliche Parteimitgliedschaft, sondern sagte dem SED-Parteisekretär unter "4 Augen", daß "dass ich mich zwar für Politik interessieren würde, aber bevor ich anfangen würde, mich politisch zu engagieren, müsste sich erst einmal einiges ändern."
Das war für DDR-Verhältnisse durchaus eine "mutige Tat", für die man politisch schon in "Ungnade" hätte fallen können.
Und noch ein anderer Gedanke dazu:
Allein schon die Tatsache, daß man eine so aggressive "Agitation" für "die Partei" betrieb, zeigt mir eigentlich schon, daß an meiner These etwas dran sein könnte. Wenn niemand mitgemacht hätte, hätte das Regime keine Chance gehabt, 40 Jahre lang zu bestehen.
Oder?
Das ist ja hier die Frage.
Apitcius hat geschrieben:Irgendwie war es doch das mindeste was getan werden mußte. Ich kenne niemanden, der nicht so gehandelt hätte. Und ich denke, wenn man gegen eine Diktatur aufbegehren will erfordert es das äußerste...
Du meinst also,
ich als einzelner Bürger (!) hätte mich so verhalten sollen, wie z. B. Wolf Biermann?
Da stellt sich dann allerdings die Frage: Was hat Wolf Biermann erreicht?
Er wurde ausgebürgert. Und sonst?
Für die DDR hat nicht viel erreicht. Er war im Westen dann nur noch das Aushängeschild für die Unzufriedenen in der DDR.
Die politischen Veränderungen haben die noch hier lebenden Bürger in der friedlichen Revolution erreicht.
Das war das eigentliche Problem: Als einzelner konnte man nicht viel machen. Erst gemeinsam war man stark.
Aber: Bei meiner These ging es ja nicht um den aktiven Widerstand gegen das Regime, sondern um die Verweigerung einer aktiven Mitwirkung am System.
Also die Frage einmal anders gestellt:
Wenn sich mehr (vielleicht annähernd alle) Leute dem Regime verweigert hätten - also
passiven Widerstand geleistet hätten - hätte das das Regime über kurz oder lang nicht auch zu Fall bringen können?
Wenn also (fast) niemand:
- in eine Partei eingetreten wäre und vielleicht auch noch Abgeordneter im Stadt- Kreis- Bezirksrat oder gar in der Volkskammer geworden wäre,
- für die Stasi tätig geworden wäre (egal ob hauptamtlich oder als "IM"),
- eine "militärische Berufslaufbahn" eingeschlagen hätte und sich insbesondere nicht an die Grenze hätte stellen lassen, um dort Flüchtlinge festzunehmen bzw. sie im Extremfall zu erschießen.
Insbesondere der letzte Punkt ist dabei interessant:
Die Mauer wurde ja extra gebaut, um die Flucht von immer mehr DDR-Bürgern zu verhindern. Wenn aber kaum jemand bereit gewesen wäre, sich dorthin abkommandieren zu lassen, dann wäre auch niemand da gewesen, der eine Flucht verhindert hätte. Auch so wäre die DDR zu Fall gekommen. Schon 1961 war die Situation kritisch.
Wie seht ihr das?
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