Die Geheimrede von Chruschtschow 1956 und ihre Folgen

Zwei Supermächte stehen sich gegenüber: Vereinigte Staaten gegen die UdSSR

Moderator: Barbarossa

Wallenstein

Am 5.März 1953 war Genosse Josef Wissarionowitsch Dschughaschwili, genannt Stalin, der Führer der fortschrittlichen Menschheit, die Inspiration der Welt, der Vater der sowjetischen Nation, das größte Genie der Geschichte, die große Koryphäe der Wissenschaft, das größte militärische Genie aller Zeiten und welche Ehrbezeichnungen es noch gegeben haben mag, endlich auf dem Fußboden in seiner Datscha verreckt.

Der beispiellose Personenkult wurde schon kurze Zeit nach seinem Tode zurückgefahren, immer seltener erschien sein Name in den Medien. Im Februar 1956 dann der Paukenschlag: Der neue Parteichef Chruschtschow hielt in einer geschlossenen Sitzung auf dem XX. Parteitag sein berühmtes Referat über den Personenkult. Die gedruckte Fassung erschien bald im Westen, in der UDSSR und den Ostblockstaaten blieb sie einem ausgewählten Leserkreis vorbehalten. Chruschtschow bezeichnete Stalin als Paranoiker und blutrünstigen Despoten, als militärischen Dummkopf und Massenmörder.

Doch sieht man sich seine Rede genauer an, ist sie enttäuschend, eine richtige Analyse und Generalabrechnung findet sich nicht. Die wirklich großen Verbrechen werden kaum erwähnt, weder die Zwangskollektivierung und die Vernichtung der Kulaken oder die manipulierte Hungersnot in der Ukraine.

Größeren Raum findet die Behandlung der „Großen Säuberung“ von 1936 bis 1938. Allerdings, den Kampf gegen die Trotzkisten und die Anhänger von Sinowjew und Bucharin hält er für richtig und diese werden von ihm auch nicht rehabilitiert. Nur seien damals auch viele Unschuldige hingerichtet worden und er nennt die Namen zahlreicher bekannter Stalinanhänger, die seinerzeit getötet wurden. Scharf verurteilt er auch die Hinrichtungen der vielen Offiziere der Roten Armee, denn dadurch wurde deren Schlagkraft entscheidend geschwächt. Stalin hätte außerdem im Krieg viele falsche Befehle erteilt und wäre ein militärischer Dilettant gewesen.

Marxisten betrachten Geschichte als Abfolge von Klassenkämpfen und das Handeln einzelner Personen, der „subjektive“ Faktor wird durch „objektive“ Verhältnisse erklärt. Welche Klasse vertrat denn nun aber Stalin, welche „objektiven“ Bedingungen erklären den Stalinismus? Davon findet sich kein Wort. Chruschtschow hätte erklären müssen, warum sich nach der Oktoberrevolution die Bürokratie als neue Herrschaftsschicht herausbilden konnte. Doch da er selbst zu ihr gehörte, hatte er daran kein Interesse.

Chruschtschow wollte mit seiner Geheimrede die Herrschaft der Bürokratie rationalisieren und deshalb richtete er sie nur an einen kleinen, auserwählten Kreis. Seine Botschaft lautete: Stalin war schlecht, die Partei und das System sind hingegen ohne Makel.

Seit den großen Säuberungen herrschte eine Situation, in der auch die privilegiertesten Inhaber von Partei und Staat einschließlich der Mitglieder des Politbüros nicht sicher waren, ob sie nicht schon am nächsten Tag aufgrund irgendeiner Laune des unfehlbaren Führers verhaftet und hingerichtet wurden. Der Terror wütete oft völlig irrational und alle Parteimitglieder hatten sich in rechtlose Sklaven verwandelt, die täglich um ihr Leben fürchten mussten. Chruschtschow wollte den irrationalen Massenterror durch rationalen, selektiven Terror ersetzen. In Zukunft sollte jeder wissen, wie man sich verhalten muss, um sich vor dem Gefängnis und Arbeitslager zu schützen. Das war ein großer Fortschritt im Gegensatz zu früher, als es überhaupt keine entsprechenden Regeln gab. Damit sollte die Herrschaft des Parteiapparates rationaler und stabiler werden.

Chruschtschow kritisiert Stalin auch vor allem nur deshalb, weil sich dessen Terror gegen die eigenen Genossen richtete. Der Terror gegen „Konterrevolutionäre“, Kulaken und bürgerliche Kräfte, wird von ihm nicht weiter erwähnt oder diskutiert. Diese Art von Repression wurde ja nicht nur von Stalin, sondern von der gesamten Partei einschließlich Chruschtschow selbst unterstützt und mitgetragen. Deshalb ist dagegen wohl seiner Meinung nach nichts einzuwenden gewesen.

Chruschtschow wollte weder eine Demokratisierung oder gar eine Revolution, das System der Herrschaft der Nomenklatura sollte in Zukunft besser funktionieren.

Wieso der stalinistische Terror überhaupt 25 Jahre lang möglich war, wird nicht hinterfragt. Chruschtschow erklärt dies vor allem mit dem schlechten Charakter von Stalin. Solche Art von Geschichtserklärung, historische Prozesse aus der Psyche einer einzelnen Person zu erklären, wurde von den Sowjetmarxisten immer als idealistisch und subjektivistisch verurteilt. Chruschtschow macht aber genau das. Eine tiefere Analyse hätte das gesamte System der Nomenklatura hinterfragen müssen. Dazu war er nicht bereit.


Die Rede findet sich unter:
http://www.1000dokumente.de/?c=dokument ... ation&l=de


Die Folgen der Rede

Die Geheimrede von Chruschtschow hatte zwei schwerwiegende Folgen:

1. Sie beschädigte die kommunistische Mentalität
2. Sie führte zum osteuropäischen Revisionismus und langfristig zum Untergang des Sozialismus

Erstens: Die Verbrechen von Stalin waren größtenteils im Westen bereits bekannt gewesen, aber da sie nur von bürgerlichen Medien verbreitet wurden, hielten Kommunisten in Ost und West sie für Propaganda im Kalten Krieg. Das sie plötzlich vom Kreml bestätigt wurden, löste bei linientreuen Kommunisten eine „Glaubenskrise“ und Verwirrung aus, der Herrschaftsapparat geriet in Unordnung. Auf den Arbeiteraufstand Juni 1956 in Posen (Polen) reagierte die Partei zunächst völlig hilflos und erst die Ernennung von Gomulka, der unter Stalin im Gefängnis gesessen hatte und daher unbelastet war, konnte die Krise beheben. In Ungarn brach die Partei unter dem Volksaufstand völlig zusammen und löste sich auf. Erst die sowjetische Intervention brachte sie wieder an die Macht. Das sich die Partei im Falle von Stalin so unglaublich getäuscht hatte, dies schadete dem Ruf ihrer angeblichen Unfehlbarkeit nachhaltig. Davon sollte sie sich nie wirklich erholen.

Nach 1956 wurde die Repression aber immerhin in einigen Staaten ein wenig gelockert. In der UDSSR löste man die Lager auf und Millionen Menschen kamen endlich frei.

Zweitens: Der osteuropäische Revisionismus war eine Strömung innerhalb der kommunistischen Bewegung, der eine Reform des Sozialismus forderte und dies mit marxistischen Argumenten untermauerte:

1. Sie forderten eine innerparteiliche Demokratie und Fraktionsfreiheit
2 . Eine Gleichberechtigung aller sozialistischen Staaten
3 . Wirtschaftsreformen: Verzicht auf Kollektivierung der Landwirtschaft und Duldung von kleineren Privatunternehmen, größere Unabhängigkeit der Betriebe vom Staat, Einführung von Marktmechanismen etc.

Gleichzeitig kritisierten sie einige Pateidogmen, wie z.B. die
1. Leninsche „Abbild-Theorie“. Sie betonten die Dialektik von Subjekt und Objekt.
2. Kritik des Determinismus: Die Geschichte folgt nicht „historischen Gesetzmäßigkeiten“. Zufälle und Ungewissheiten spielen eine große Rolle.
3. Kritik an Versuchen, moralische Werte spekulativ abzuleiten. Nur weil der Sozialismus existiert, bedeutet dies nicht, dass er moralisch besser sei als der Kapitalismus.

Als Vertreter dieser Richtungen könnte man nennen: für die DDR, z.B. Harich, Havemann, Bahro, Hans Mayer, Alfred Kantorowicz. Für Polen: Kolakowski, W.Brus, O.Lange, Kuron. Für Ungarn etwa Georg Lukács, für die CSSR Karel Kosik und Ota Sik.

Alle diese Reformversuche wurden nach einiger Zeit rigoros unterdrückt. Der Kommunismus war nun überhaupt kein intellektuelles Problem mehr und nur noch eine Frage von Herrschaft und Repression. Zurück blieb eine primitive Staatsideologie, die unglaublich simpel und wirklichkeitsfremd war, die weder von den Herrschenden noch von den Beherrschten geglaubt wurde, ein Schwall von Phrasen. Zynismus machte sich überall breit.

Auch die Kritiker, die sich selbst noch für Marxisten hielten, mussten erkennen, dass eine Reform dieses Systems nicht möglich war.
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