Volksmarine 1919 - Verrat der Mehrheitssozialdemokratie?

Deutschland zwischen den Kriegen: Stresemann, Goldene Zwanziger, Völkerbund, Zerstörung einer Demokratie, Weimarer Republik

Moderator: Barbarossa

Katarina Ke
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Gestern wurde auf Phönix ein Fernsehfilm über die Revolution 1918/19 gezeigt. Im Mittelpunkt steht die Zeit zwischen dem September 1918 und dem Abschluss des Versailler Vertrages.

Der Film hat mir sehr gut gefallen; hervorragende Schauspieler wirkten mit.

Eine Episode fand ich erschreckend. Angehörige der Volksmarinedivison, die um Weihnachten 1918 mit Waffengewalt die Auszahlung ihrer Löhnung erzwungen hatten, wurden im März 1919 ohne Gerichtsverfahren erschossen. Mit einer Zeitungsanzeige wurden sie im März 1919 in eine Kaserne gelockt, um dort den restlichen Sold zu erhalten. Dort wartete dann das Erschießungskommando.

Ich gehe mal davon aus, dass dieser Sachverhalt kein fiktionales Element in dem Film war.

Was mich empört - ich gehöre normalerweise nicht zu den Betroffenheitshistorikerinnen - ist die Tatsache, dass dies unter einem mehrheitssozialdemokratischen Wehrminister Noske geschehen konnte. In einer Sitzung des Kabinetts verlangte ein Sozialdemokrat von Noske Aufklärung über den Sachverhalt. Noske ("Einer muss den Bluthund machen") wiegelte dieses scheußliche Verbrechen ab. Unklar blieb für mich auch, ob es Soldaten der vorläufigen Reichswehr oder rechte Freikorps waren.

Sicher, die Volksmarinedivision stand der USPD und der KPD nahe. Man hätte Marinesoldaten, die sich gegen die Reichsregierung auflehnten, vor ein ordentliches Gericht stellen müssen. Aber dass unter einem Reichspräsidenten Ebert (MSPD) und einem Reichsministerpräsidenten Scheidemann (MSPD) ein mehrheitssozialdemokratischer Wehrminister diese Morde zumindest billigt, ist erschreckend.

Hat die SPD sich mit diesem Kapitel ihrer Geschichte mal auseinandergesetzt? Dass Noske den Militärs fast blind vertraute, ist bekannt. Dass Ebert aus nachvollziehbaren Gründen "Ruhe und Ordnung" anstrebte, auch.

Aber diese Fettbäuche sitzen am Kabinettstisch, sind stolz darauf, dass hohe Militärs sie scheinbar ernst nehmen und lassen Morde an Linksradikalen ungesühnt? Bis jetzt kannte ich nur die Morde an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. In einer Filmszene wird gezeigt, wie Noske fernmündlich von der Verhaftung der beiden Kommunisten erfuhr, aber den Militärs freie Hand gab. Da werde ich mal "nachforschen"; über dieses Thema dürfte es ja viel Literatur geben.

Noch einmal: Dass Ebert in diesen schwierigen Monaten Kompromisse schließen musste, ist klar. Und die Mehrheitssozialdemokratie wollte ja nie eine Revolution, sondern eine sozialstaatliche Demokratie. Aber dass man linksgerichtete Matrosen über den Haufen schießen lässt, statt ihnen einen ordentlichen Prozess zu machen - ekelhaft.

Ich glaube, ich habe ein neues Aufsatzthema für "Geschichte-Wissen". Mir geht es nicht darum, Informationen zu "schnorren", aber mich interessiert eure Meinung.
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Barbarossa
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Ich glaube, man muss die ganze damalige Situation im Auge haben.
- Der Krieg war verloren und auch noch kein Friedensvertrag geschlossen.
- Durch eine Revolution wurde der Kaiser abgesetzt und gleich zwei Leute haben ganz unterschiedliche Republiken ausgerufen:
- Scheidemann rief die Deutsche Republik aus und Liebknecht eine sozialistische Räterepublik, die nichts anderes war, als das, was in Sowjetrussland entstanden war. Daraus resultierte ein Machtkampf zwischen den Sozialdemokraten und den radikalen Linken/Kommunisten. Der Höhepunkt in diesem Machtkampf in Deutschland war der Januaraufstand (auch Spartakusaufstand genannt) 1919, der niedergeschlagen wurde.
Im Grunde ging es also monatelang darum, ob Deutschland demokratisch wird oder eine kommunistische Diktatur. Es gab also eine sehr prekäre Situation, in der die Rechtsstaatilchkeit zugegebenermaßen zu kurz kam. Aber in Zeiten revolutionärer Umwälzungen ist das häufig so. So würde ich das sehen.
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dieter
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Ich weiß nicht, ob das mit der "Volksmarinedivision" so stimmt und werde mich kundig machen. Es ging au um die Einheit Deutschlands und müssen jede andere Reaktion zurück gestellt werden. Weiß nicht ob Noske einen dicken Bauch hatte er wahr sehr groß und der Einzige, den die Reichswehr ernstgenommen hat. :roll:
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Orianne
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Die Zeit schrieb einen interessanten Artikel über Noske und Pabst:
Für Gietingers Deutung spricht auch die Tatsache, dass Noske alles unternahm, um die Mörder zu decken und die Spuren der Tat zu verwischen. Das anschließende Verfahren vor dem Divisionsgericht nennt Gietinger einen »der schamlosesten Lügenprozesse der deutschen Rechtsgeschichte«. Die Täter hielten, geschützt durch die sozialdemokratische Regierung, gewissermaßen über sich selbst Gericht, und so war es kein Wunder, dass die Drahtzieher und Hintermänner völlig ungeschoren davonkamen.

Doch damit nicht genug. Anfang März 1919, als in Berlin ein Generalstreik ausgerufen wurde, ließ Noske von Hauptmann Pabst einen Befehl entwerfen: »Jede Person, die mit Waffen in der Hand angetroffen wird, ist sofort zu erschießen.« Dieser Befehl kam faktisch einer Lizenz zum Töten gleich, und Noskes blutrünstige Soldateska nutzte ihn, um in der Reichshauptstadt regelrechte Massaker zu veranstalten, denen 1200 Menschen zum Opfer fielen. Das Gleiche wiederholte sich bei der Niederschlagung der Münchner Räterepublik Anfang Mai 1919. »Das Töten ohne Recht bzw. ohne Standrecht gehörte bereits zur Normalität«, schreibt Gietinger, und er sieht in Noskes Schießbefehl vom 9. März 1919 eine Vorstufe zu Hitlers Kommissarbefehl vom Juni 1941 und im Morden der Freikorpsbanden von 1919 einen »ersten Vorgeschmack« der Verbrechen von Wehrmacht und SS im Zweiten Weltkrieg.

http://www.zeit.de/2009/04/P-Gietinger

Katarinas Angaben über die Volksmarinedivision entspricht der Wahrheit, es steht u.A. im Buch vom leider verstorbenen Historiker Hagen Schulze - Weimar Deutschland 1917–1933.

Hier noch ein Link:

Weimar. Deutschland 1917–1933


http://www.deutsche-revolution.de/lexik ... g-341.html
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Gontscharow
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Oh ja, die Sozialdemokratie hat sich im Nachhinein mit Noske auseinandergesetzt !
Für die einen Sozialdemokraten war er der "Bluthund" und Arbeiterverräter, für die anderen jemand,
der die notwendige Drecksarbeit gemacht hat.Von einem Sozialdemokraten, der stokz auf Noske
gewesen wäre, habe ich noch nie gehört.
Wie Barbarossa bereits sagte, kam es im Winter 1918 / 19 zu einem Machtkampf zwischen Kommunisten
und Sozialdemokraten. Hätten die Kommunisten diesen Machtkampf gewonnen, hätten sie ihre Feinde
mit Sicherheit nicht geschont.
Übrigens fand dieser Machtkampf in vielen europäischen Ländern statt und war von den Bolschewiki in Moskau
so gewollt, die damals noch das Ziel der sofortigen Weltrevolution hatten.
Linke deutsche Historiker hatten in der Bergangenheit immer gerne darauf verwiesen, daß, wenn die Kommunisten
1918/19 an die Macht gekommen wären, es keinen Hitler und keinen zweiten Weltkrieg gegeben hätte...
Ob die Annahme stimmt, kann man weder beweisen noch widerlegen ( Wie lange hätte sich eine kommunistische Regierung
im Herzen Europas gehalten ? In Ungarn und in Bayern wurden die linksradikalen Regierungen von außen gestürzt).
Außerdem weiß man nicht, wieviele Opfer eine solche kommunisgtische deutsche Diktatur hervorgerufen hätte,
mir schwant da nichts Gutes angesichts der Erfahrungen in anderen Ländern, insbesondere natürlich Rußland.
Zuletzt geändert von Gontscharow am 15.12.2014, 14:33, insgesamt 1-mal geändert.
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Gontscharow
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Übrigens, schöne Webseite, die du da hast, Katharina Ke !
Ich habe die Geschichten über Zarin Katharina und Karl Marx gelesen und sie haben
mir gut gefallen !
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dieter
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Also, ich habe in Wikipedia gelesen, dass die Volksmarinedivision bei den Kämpfen in den Berliner Regierungsvierteln beteiligt war. Sie sollte eine Belagerung, welche die Regierungsviertel durch marchistichen Truppen ausgesetzt war, aufbrechen, "versehentlich" begriffen das die Belagerten nicht und schossen auf die Truppen der Volksmarinedivision, die dann zurückschossen. :roll: Nach diesem Vorfall wurde die Volksmarinedivision aufgelöst. :wink:
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Orianne
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Gontscharow hat geschrieben: Linke deutsche Historiker hatten in der Bergangenheit immer gerne darauf verwiesen, daß, wenn die Kommunisten
1918/19 an die Macht gekommen wären, es keinen Hitler und keinen zweiten Weltkrieg gegeben hätte...
Ob die Annahme stimmt, kann man weder beweisen noch widerlegen ( Wie lange hätte sich eine kommunistische Regierung
im Herzen Europas gehalten ? In Ungarn und in Bayern wurden die linksradikalen Regierungen von außen gestürzt).
Außerdem weiß man nicht, wieviele Opfer eine solche kommunisgtische deutsche Diktatur hervorgerufen hätte,
mir schwant da nichts Gutes angesichts der Erfahrungen in anderen Ländern, insbesondere natürlich Rußland.
Man weiss es nicht, ich denke aber auch, dass es vermutlich nicht besser geworden wäre, es gab ja (für mich jedenfalls) genug negative rote Beispiele. Einen WWII hätte es sicher gegeben, ich verweise da auf Japan, und auf Länder, die keine kommunistische Regierung gewollt hätten.

Bei einer kommunistischen Zentralregierung im Deutschen Reich fällt mir immer der Name vom Erzbischof von Münster Clemens August Graf von Galen ein, der wohl einer der grössten Gegner der Kommunisten war, ich halte immer noch sehr viel von diesem Mann, der wohl einer der grössten Kritiker der Nazis war, aber dennoch auch froh war, dass keine roten Horden an die Macht kamen.
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Lia

Ich sah den Film auch, gut gespielt und so klar im Sinne des Wortes vor Augen führend, was ich zwar eigentlich schon wusste.
Andere vielleicht nicht, oder die Frage wurde verdrängt, weil "öffentlich" nicht so thematisiert.
Da mag das Erschrecken dann umso größer gewesen sein.
Hagen Schulze sollte man zu diesem Thema gelesen haben, ich kannte ihn noch als gerade frisch promovierten Assistenten von Karl-Dietrich Erdmann aus einigen Veranstaltungen.
Ebenfalls lesenswert, wobei die Kritiken an der Dissertation schon berechtigt sind, dennoch war sie damals schon nicht ganz unwichtig.
Dirk Dähnhardt: Revolution in Kiel. Der Übergang vom Kaiserreich zur Weimarer Republik 1918/19. Karl Wachholtz Verlag, Neumünster, 1978, ISBN 3-529-02636-0, (Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte 64), (Zugleich: Kiel, Univ., Diss., 1977).
Hrsg. Dirk Dähnhardt und Gerhard Granier: Kapp-Putsch in Kiel. Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, Band 66, Kiel 1980.
Dirk Dähnhardt: 'Von der Meuterei zur Revolution. Kiel als Ausgangspunkt der Novemberrevolution 1918', in: Gerhard Paul, Uwe Danker, Peter Wulf, (Hrsg.), Geschichtsumschlungen. Sozial- und kulturgeschichtliches Lesebuch Schleswig-Holstein 1848–1948, Bonn 1996, S. 133–140. ISBN 978-3-8012-0237-8.
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Marek1964
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Gontscharow hat geschrieben:Übrigens, schöne Webseite, die du da hast, Katharina Ke !
Ich habe die Geschichten über Zarin Katharina und Karl Marx gelesen und sie haben
mir gut gefallen !
Ja in der Tat interessant, kann ich auch empfehlen, hier die links für interessierte:

http://www.katharinakellmann.de/Histori ... eine-Laune
http://www.katharinakellmann.de/Histori ... der-Hoelle

Ansonsten: Ja, ich schliesse mich Barbarossa an, dieses Verbrechen ist als Teil des Bürgerkrieges zu sehen, trotzdem ein feiges Verbrechen, ähnlich dem an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht:

Selbst würde ich auch noch erwähnen, dass ein Krieg immer eine Verrohung er Sitten bringt und ebenso noch eine Revolution. Selbst in der Schweiz gab es im Landesstreik Tote.

Gibt es eigentlich diese Doku abrufbar? Ist es diese hier: http://www.phoenix.de/content/phoenix/d ... 2014-12-14, dann ist sie auf youtube hier https://www.youtube.com/watch?v=r142ji1IbRE abrufbar.
Katarina Ke
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Danke für die Komplimente; die Hompage ist kostenfrei und wenn ihr sie empfehlen könnt - vielen Dank. Ich habe dort auch eine Rezension des Buches von Sebastian Haffner übder die deutsche Revolution veröffentlicht: "Verrat der SPD?".

Orianne: Besten Dank, das Buch steht im Regal und wurde auch schon benutzt, nur nicht in diesem Zusammenhang. Ich hatte mich im Studium mit den Monaten November 1918 bis Februar 1919 beschäftigt. Was da im Frühjahr 1919 geschah, überraschte mich. Man kann auch jahrelang "betriebsblind" sein.

Wolfram Wette legte in den achtziger Jahren eine umfangreiche Biographie über Gustav Noske vor. Wette, damals Historiker am Militärgeschichtlichen Forschungsamt, sah Noske ebenfalls kritisch. Angeblich wollten im MGFA die Verantwortlichen dieses "linkslastige Buch" nicht veröffentlichen, genauer gesagt, nicht im "Hausverlag" des Forschungsamtes.

In der Ebert-Biographie von Walther Mühleisen heißt es, dass Ebert Noske im Frühjahr 1919 "gewähren" ließ und "dessen Politik der eisernen Faust" unterstützt hätte (Walther Mühleisen, Friedrich Ebert 1871-1925. Reichspräsident der Weimarer Republik, Bonn 2006, S. 290).

Oft wird Ebert ja vorgeworfen (siehe Sebastian Haffner), dass er die Regierungsübernahme im November 1918 nicht dazu genutzt hätte, grundlegende demokratische Reformen durchzuführen. Historiker wie Eberhard Kolb vertraten die Ansicht, dass Ebert die größtenteils mehrheitssozialdemokratischen Arbeiter- und Soldatenräte besser hätte einbinden können.

Ebert war immer schon ein Pragmatiker gewesen. Er stand vor dem Problem, Deutschland durch den Winter 1918/19 zu bringen.

Im Frühjar 1919 hatte seine Koalition eine demokratische Legitimation; man kann das Verhalten der Marinesoldaten als Hochverrat werten. Aber bei allem "historischen Verstehen": Ebert und Noske scheinen im Frühjahr 1919 einen Tunnelblick gehabt zu haben. Hinter jedem Strauch lauerte wohl ein Unabhängiger oder ein Kommunist.

Historiker sind keine Richter. Doch bei aller Würdigung für die Verdienste des auch in der eigenen Partei verkannten Ebert: Hier hätte er eingreifen müssen.
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Katarina Ke
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Marek: Ja, dieses dokumentarische Fernsehspiel ist es.
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Katarina Ke
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Barbarossa: Dass in Deutschland 1918/19 eine bolschewistische Revolution drohte, ist von der Forschung längst widerlegt worden. Die USPD entwickelte sich ab November 1918 zu einer Massenpartei, aber sie war keine politische Kraft, die man mit den Bolschewisten vergleichen kann.

Der Zentralkongress der Arbeiter- und Soldatenräte beschloss am 20. Dezember 1918 in Berlin, dass Anfang Februar 1919 Wahlen zu einer verfassungsgebenden Versammlung stattfinden sollten. Ein Antrag der USPD, der sich dagegen aussprach, fand keine Mehrheit.

Das Zusammenarbeit zwischen Ebert und der Obersten Heeresleitung radikalisierte die USPD. Ebert befürchtete im November und Dezember 1918 einen Zusammenbruch des öffentlichen Lebens in Deutschland. Die Siegermächte setzten ihre Blockade fort und die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung musste gesichert werden. Schon die ersten Waffenstillstandsbedingungen sahen umfangreiche Materiallieferungen an die Alliierten vor. Das Westheer musste innerhalb von - ich meine - vierzehn Tagen die besetzten Gebiete in Frankreich und Belgien räumen.

Die Führung der Mehrheitssozialdemokratie überschätzte wohl die Macht des linken Flügels der USPD. In Großstädten wie Berlin sah man rote Fahnen; den Offizieren wurden die Achselstücke abgerissen.

Das harsche Urteil von Sebatian Haffner, der ja auch kein Historiker war, teile ich nicht. Die Stärken Eberts erwiesen sich aber in dieser Situation auch als seine Schwächen. Der gelernte Sattler Ebert krempelte die Ärmel hoch. Bismarck hatte dazu beigetragen, dass Deutschland 1871 in den Sattel gesetzt wurde. Ebert verhinderte, dass es stürzte. Die Militärs waren in seinen Augen zuverlässiger als die USPD, in der linke Sozialdemokraten mit Marxisten um Einfluss kämpften.

Ebert war ein Mann des Apparates. Deshalb konnte er auch souverän als provisorischer Regierungschef agieren. Er war ein guter Organisator, und das war für Deutschland in jenen schweren Wochen wichtig. Aber mit etwas mehr Geschick hätten sich die bürgerkriegsähnlichen Ereignisse um die Weihnachtszeit vermeiden lassen.

Ich stimme dir und Gontscharow zu: Ebert und viele Mehrheitssozialdemokraten - aber auch viele Unabhängige - lehnten die Diktatur des Proletariats ab. Gleichzeitig verschärften die Siegermächte den Druck noch.

Aber das Verhalten Eberts im Frühjahr 1919 wirft einen Schatten auf seine historische Leistung.

Auf der anderen Seite: Wer ist schon ohne Fehl und Tadel?
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Barbarossa
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Katarina Ke hat geschrieben:Barbarossa: Dass in Deutschland 1918/19 eine bolschewistische Revolution drohte, ist von der Forschung längst widerlegt worden. Die USPD entwickelte sich ab November 1918 zu einer Massenpartei, aber sie war keine politische Kraft, die man mit den Bolschewisten vergleichen kann.

...
Wirklich? Das erschüttert mich jetzt aber ziemlich und ich denke, dass hier die radikalen Linken stark unterschätzt werden. Wir hatten das Thema schon an anderer Stelle diskutiert. Ich hole mal die betreffende Beitragsstelle hier herüber:

"Das Problem in der Gründungsphase der Weimarer Republik war ja, daß es DEN Rechtsstaat noch gar nicht gab. Die Monarchie war zusammengebrochen und die Republik zwar schon ausgerufen, aber noch nicht etabliert, mit einer neuen Verfassung und einem frei gewählten Parlament. Und dann gab es eben diese Auseinandersetzung, um den politischen Weg, der eingeschlagen werden sollte:
Parlamentarische Republik oder Räterepublik. Letztere hätte einen wie von Liebknecht angestrebten Sozialismus zur Folge gehabt. Die Gefahr, daß die Kommunisten - möglicherweise auch im Bündnis mit der USPD - in ganz Deutschland die Macht ergreifen würden, war sehr real. Daß die Kommunisten wirklich ernst machten, sieht man daran, daß genau in dieser Zeit eine ganze Reihe von Räterepubliken in Deutschland ausgerufen wurden. Ich hab mal recherchiert:

"Sozialistische Republik Braunschweig" (10. November 1918 - 17. April 1919)
Bremer Räterepublik (10. Januar 1919 - 8./9. Februar 1919)
Mannheimer Räterepublik (22. - 25. Februar 1919) [S. 259-265]
Räterepublik Fürth (6. April - 11. April 1919)
Würzburger Räterepublik (7. - 9. April 1919)
"Bayerische Räterepublik" in München (7. April - 2. Mai 1919)
Sowie weitere Räterepubliken unter anderem in Rosenheim, Kempten, Lindau, Regensburg, Schweinfurt und Hof (siehe: http://www.fes.de/archiv/adsd_neu/inhal ... bayern.htm).

Ich glaube, das macht deutlich, wie ernst die Situation war."

siehe: http://geschichte-wissen.de/forum/viewt ... 385#p16385
Weiterhin haben wir noch den Pfad: Hitler-Mord Heldentat - Rosa Luxemburg-Mord Verbrechen?

Darüber hinaus war ganz Ungarn in dieser Zeit eine Räterepublik und auch die Slowakei. Ich begreife einfach nicht, warum die Kommunisten von der "modernen Forschung" derart unterschätzt werden.
Die Diskussion ist eröffnet!

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Katarina Ke
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Die These, es wäre um die Alternative parlamentarische Demokratie oder Bolschewismus gegangen, wurde schon in den sechziger Jahren revidiert.

Historiker wie Eberhard Kolb konnten in ihren Forschungen nachweisen, dass die meisten Arbeiter- und Soldatenräte entweder von Mehrheitssozialdemokraten oder gemäßigten Unabhängigen beherrscht wurden.

Meines Wissens wurden in dieser Zeit keine Unternehmen verstaatlicht und keine bürgerlichen Parteien verboten. Mit der Sowjetunion ist die Situation daher nicht zu vergleichen.

Die Münchner Räterepublik wird gerne als Beispiel für kommunistische Machtbestrebungen angeführt. Der erste Ministerpräsident, Kurt Eisner, war ein Unabhängiger, der seine politische Laufbahn als Linksliberaler begonnen hatte. Nach seinem Tode eskalierte die Entwicklung. Beim "weißen Terror" kamen mehr Menschen ums Leben wie unter dem "roten Terror". Kurt Eisner hatte andere Ziele als Liebknecht - eindeutig.

Nach der Wahl zur Weimarer Nationalversammlung bildeten Mehrheitssozialdemokraten, das Zentrum und die Linksliberalen eine Regierung. Spätestens ab diesem Zeitpunkt hätte es rechtsstaatliche Mittel zur Bekämpfung innerer Unruhen gegeben. In Deutschland gab es immerhin schon im Kaiserreich einen (einigermaßen) funktionierenden Rechtsstaat.

Die USPD radikalisierte sich - wie bereits erwähnt - im Frühjahr 1919, wurde aber immer noch nicht zu einer bolschewistischen Partei. Dass es zu dieser Eskalation kam, lag auch an den regierungsnahen Truppen, die in Landsknechtsmanier zur Rechten neigten.

Ich vermute, dass das Problem auch darin lag, dass auf beiden Seiten Menschen zu finden waren, die seit 1914 nur Krieg gekannt hatten. Gewalt schien eine legitime Lösung der Probleme zu sein.

Die Verhältnisse in Ungarn und der Slowakei kenne ich nicht.
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