Die Sparpolitik von Brüning

Deutschland zwischen den Kriegen: Stresemann, Goldene Zwanziger, Völkerbund, Zerstörung einer Demokratie, Weimarer Republik

Moderator: Barbarossa

ehemaliger Autor K.

In den Geschichtsbüchern gilt Heinrich Brüning (1885-1970, erst Zentrum, dann parteilos) als der große Versager. Mit seiner törichten Wirtschaftspolitik hätte er die Wirtschaftskrise, die 1929 ausbrach, erheblich verschärft. Außerdem demontierte er mit den Notverordnungen die Weimarer Republik und bereitete somit Hitler den Weg. Nach dem Krieg unterrichtete er kurze Zeit an der Universität Köln Nationalökonomie und verfasste später in den USA seine Memoiren. Wenn es sich nicht nur um nachträgliche Rationalisierungen einer verfehlten Politik handeln sollte, zeigen diese immerhin, dass er damals durchaus ein Konzept gehabt haben will, um die Krise zu überwinden, das vielleicht funktioniert hätte, wenn die Prämissen richtig gewesen wären. Dass diese sich als falsch herausstellten, konnte man freilich 1930 bei seinem Regierungsantritt noch nicht wissen.

Als er 1930 Reichskanzler wurde, befand sich die Wirtschaft auf rasanter Talfahrt. Dadurch sanken auch die Staatseinnahmen erheblich und die Ausgaben wurden nicht mehr finanzbar. Während heute die Politiker in einer solchen Lage Schulden aufnehmen, galt damals die Doktrin des ausgeglichenen Haushaltes. Weniger Einnahmen, also auch weniger Ausgaben. Schulden machen galt als unseriös und inflationär. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte Deutschland vom Kaiserreich eine gigantische Staatsverschuldung geerbt in Form von Kriegsanleihen und diese beglichen, indem man hemmungslos die Notenpresse betätigte. Die verheerende Inflation von 1923 hatte zwar die Staatsschulden beseitigt, aber die Wirtschaft ins Chaos gestürzt. Dies sollte auf jeden Fall nicht wiederholt werden. Das eine begrenzte Staatsverschuldung und eine vorsichtige Vergrößerung der Geldmenge nicht inflationär wirkt, wenn sich parallel dazu die Warenmenge erhöht, so die schon damals bekannte Theorie von Keynes, wurde von den deutschen Politikern nicht akzeptiert und auch in den USA setzte sich diese Auffassung erst unter Roosevelt durch.

Brüning reagierte auf die sinkenden Einnahmen, indem er durch Notverordnungen eine radikale Sparpolitik betrieb: Kürzung von Arbeitslosengeld, Kürzung der Renten, Kürzung der Beamtengehälter, Absenkung der Löhne um 45 %, Kürzung aller Wohlfahrtsausgaben
Auf der Einnahmenseite reagierte er flexibel: Er erhöhte die indirekten Steuern: Die Salzsteuer, die Tabak-und Biersteuer, er erhob eine allgemeine Kopfsteuer und eine Krisensteuer.
Parallel senkte er aber direkte Steuern: Senkung der Gewerbesteuer, Senkung der Einkommenssteuer, Abschaffung der Kapitalertragssteuer.
Die angeschlagenen Banken wurden 1931 verstaatlicht und mit Steuergeldern saniert. Die Nazis haben sie später wieder privatisiert. Die maroden Güter der Junker in Preußen wurden durch Subventionen gestützt.

Heute würde man dies als Angebotspolitik bezeichnen. Seine Politik sollte die Kosten der Anbieter senken, um dies zu Investitionen anzureizen.
Nachfrageorientierte Politiker werfen ihm vor: Durch seine Sparpolitik hat er die Nachfrage so stark geschwächt, das sich für Anbieter eine Produktion nicht mehr lohnte. Es zahlt sich nicht aus, Güter herzustellen, die niemand kauft, selbst wenn die Kosten dafür gegen Null tendieren.


Brüning folgte allerdings einer anderen Überlegung: Er wollte in Deutschland radikal die Kosten senken, damit deutsche Produkte auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig werden. Die Binnennachfrage interessierte ihn nicht, über den Exportmultiplikator sollte die Wirtschaft angekurbelt werden. Diese Rechnung ging aber nicht auf, da der Weltmarkt zusammenbrach und sich auch nicht mehr erholte. Das wissen wir aber erst nachträglich, 1930 war dies noch nicht klar.
Brünings Politik wurde von den neuen Industrien unterstütz, vor allem von der Chemie-und Elektroindustrie, da sie international konkurrenzfähig war. Abgelehnt wurde der Reichskanzler von der Grundstoff- und Schwerindustrie, also der Kohle-und Stahlindustrie. Diese setzten auf eine nachfrageorientierte Staatspolitik. Der Staat sollte sich verschulden und mit dem Geld Rüstungsgüter finanzieren. Hitler war der Mann, der ihnen dies zusagte und deshalb unterstützten diese Kreise auch massiv die NSDAP mit Geldzuwendungen.


1932 zeichnete sich ab, dass der Weltmarkt sich nicht in absehbarer Zeit erholen würde und deshalb verloren auch die neuen Industrien das Interesse an Brüning, der im Sommer 1932 gestürzt wurde. Damit war auch seine Konjunkturpolitik gescheitert und die Nazis setzten dann später auf eine massive Staatsverschuldung, um die Krise zu überwinden. Mit einigem Erfolg, aber dieser schuldenfinanzierte Boom war nicht endlos fortzusetzen. Hätte man ihn aber gestoppt, wäre Deutschland in eine schwere Rezession geraten. Einen Ausweg bot aber die Expansion und die Ausplünderung fremder Volkswirtschaften, um den Boom endlos fortzusetzen. Diesen Weg beschritten bekanntlich die Nationalsozialisten.


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Peppone
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Danach hätte Brüning Hitler erst ermöglicht. Hab ich so schon öfter gehört, kann ich auch nachvollziehen. Danke für den Beitrag!

Beppe
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Marek1964
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Ein hochinteressantes Thema, das ich auch aus gerne aus der Versenkung holen würde.

Bis heute ist ja nicht restlos Klar, wodurch die Weltwirtschaftskrise ausgelöst resp. vertieft wurde. Klar ist, dass der Protektionismus schädlich war, ebenso der Pessimismus durch die Depression.

Aber Geldtheoretiker sehen heute zunehmend die Rücknahme der Geldmenge als den wichtigsten Fehler ansehen, der gemacht wurde. Das war aber eher die Domäne von Hjalmar Schacht und nicht von Brüning. Sie wurde aber auch von den anderen bedeutenden Zentralbankpräsidenten aus den USA, Grossbritannien und Frankreich mitgetragen, was ja den globalen Effekt verstärkte. Insbesondere die Rückkehr zum Goldstandard war grosser Unsinn.

Hier einige Literatur:

http://en.wikipedia.org/wiki/Lords_of_Finance
http://www.amazon.de/Warum-Geldpolitik- ... 3837093913

Nicht alle Massnahmen von Brüning werden heute kritisch betrachtet. Vor allem die Lohnsenkungen wirkten sich später auf die Konjunktur wie Arbeitslosigkeit positiv aus und wurden ja von Hitler nicht mehr rückgängig gemacht. Das Senken der Sozialleistungen allerdings war politisch verheerend.

Trotzdem - Ende 1932 war aber die Krise schon am Abklingen und auch die Präferenzen der Nazis ebenso - so war mancher Hitler Gegner Neujahr 1933 überaus optimistisch.

Dass ihn dann von Papen und andere bei Hindenburg salonfähig machte und dieser ihn schliesslich ernannte, war wohl der grössere Fehler als die Fehler Brünings.

Hitlers schuldenfinanzierte Aufrüstung hatte allerdings in der Tat keine andere Perspektive als Krieg.
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Orianne
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Dem Deutschen Reich fehlte es 1939 so an Devisen, der Staat war eigentlich bankrott, dass Hitler den Krieg um ein Jahr vorziehen musste. Es stand ja Görings 4-Jahresplan im Raum.
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Marek1964
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Orianne hat geschrieben:Dem Deutschen Reich fehlte es 1939 so an Devisen, der Staat war eigentlich bankrott, dass Hitler den Krieg um ein Jahr vorziehen musste. Es stand ja Görings 4-Jahresplan im Raum.
RIchtig. Weil etwa die Hälfte der Staatsausgaben bereits für die Rüstung draufging, die Wirtschaft autark werden sollte, bedeutete dies automatisch Rückgang des Aussenhandels und damit den Mangel an Einnnahmen in fremden Währungen. Durch den Raub der Devisenbestände von WIen, Prag, Warschau und dann der anderen Länder, dem Goldhandel über die Schweiz konnte man einiger Massen über die Runde kommen.

Nach dem Krieg musste dann eine Währungsreform her, was immer noch besser war als die Hyperinflation von 1918-23.
Paul
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Die Industrie des Deutschen Reichs war damals noch nicht so wettbewerbsfähig wie heute. Gute Produkte sind also wichtiger als der Preis dafür. Die Kombination ist natürlich optimal.
In den letzten Jahren wurde Brünings Politik in Minimalform wiederholt und das hat funktioniert.
viele Grüße

Paul

aus dem mittelhessischen Tal der Loganaha
Julian R.
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+Karlheinz
Ich möchte zu einigen deiner Aussagen Stellung nehmen, angefangen mit deiner ersten These "Mit seiner törichten Wirtschaftspolitik hätte er die Wirtschaftskrise, die 1929 ausbrach, erheblich verschärft." Du kritisiert seine Politik ohne es anschließend zu begründen
Das was die Wirtschaftskrise in Deutschland wirklich verschärfte, war dass die USA all ihre Kredite, die sie durch den Dawes Plan 1924 & den Young Plan 1929 geliehen hatten, schlagartig zurückforderte. Zu diesen Zeitpunkt war Deutschland finanziell am Ende und hatte keine Reserven, um die Verluste auszugleichen.
Dazu kam der Krieg, welcher erst knappe 12 Jahre zurücklag. Deutschland(bzw. die Weimarer Republik) musste monatliche Raten zahlen, um die Kriegsschulden zu tilgen. Um sich diese Summen besser vorstellen zu können, bedenkt das Deutschland die letzte große Rückzahlung am 01.10.2010 tätigte in Höhe von 200 Millionen Euro. Also 92 Jahre nach Kriegsende.
Es wird also schnell klar, Brüning blieb außer sparen nicht viel übrig....Einiger Kritiker sagen, er hätte nicht sparen sollen, sondern lieber Geld investieren sollen(genau wie die USA), um die Wirtschaft wieder aufzubauen. Aber es stellt sich die Frage, welches Geld das hätte sein sollen? Wie gesagt, Deutschland hatte keinerlei Reserven, auf die es hätte zurückgreifen können.
Auch alle anderen europäischen Länder waren "pleite" und von der Weltwirtschaftskrise 1929 schwer getroffen,...aber dazu später mehr
Hinzu kam die Bankenkrise von 1931, mit der Brüning zusätzlich zu kämpfen hatte.
Dann waren viele Historiker der Meinung, Brüning hätte die Krise durch neue Arbeitsplatzbeschaffungsmaßnahmen abwenden können. Nun stellt sich wieder die Frage, wie soll man am Anfang einer WWK, die charakteristisch dadurch gekennzeichnet ist, dass viele Mensche ihre Arbeit verlieren, neue Arbeitsplätze schaffen?
Als nächstes behauptest du "Außerdem demontierte er mit den Notverordnungen die Weimarer Republik und bereitete somit Hitler den Weg." Du musst bedenken, die Paragrafen 25 & 48 zur Auflösung des Reichstags waren dem Reichspräsidenten, nicht dem Reichskanzler(Brüning) vorbehalten. Er konnte da also garnichts "demontieren", ohne Zustimmung Hindenburgs. Es stimmt zwar, dass die meisten der Beschlüsse zur Zeit Brünings getätigt wurden und auch zum Vorteil seiner Politik ausfielen, es aber schlussendlich Hindenburg unterlag, ob er diese auch unterzeichnete. 
Es kam sogar so. dass Brüning selbst durch diese Notverordnung abgesetzt wurde (30. Mai 1932)

In den nächsten Tagen und Wochen beschäftige ich mich weiterhin mit Brünings Politik und kann hoffentlich später noch mehr dazu sagen
Und hier meine Quellen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Deflationspolitik
http://www.zeit.de/wissen/geschichte/20 ... eutschland
https://www.welt.de/wirtschaft/article9 ... n-aus.html
https://www.zum.de/Faecher/G/BW/abbl/we ... ssung2.htm
https://www.dhm.de/lemo/biografie/heinrich-bruening
Julian R.
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ich entschuldige mich für die Zeichen und den Quelltext in meinem ersten Kommentar...keine Ahnung woran das liegt
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