Rosa Luxemburg als radikale Globalisiererin

Deutschland zwischen den Kriegen: Stresemann, Goldene Zwanziger, Völkerbund, Zerstörung einer Demokratie, Weimarer Republik

Moderator: Barbarossa

ehemaliger Autor K.

Rosa Luxemburgs Stellung zum Nationalismus ist so eigenartig, dass es einen eigenen Beitrag rechtfertigt. Sie ging davon aus, dass der kapitalistische Weltmarkt alle Grenzen beseitigt, die Nationalitäten aufhebt, die Kulturen vereinheitlicht. Getreu der damals vorherrschenden Meinung, hielt sie die europäische Kultur für die fortgeschrittenste und wohl auch für die beste, denn der Rest der Welt war in ihren Augen primitiv und barbarisch und sollte auf den Stand der westlichen Zivilisation gebracht werden. Vor allem ihre Heimat Russland war für sie der Inbegriff der Barbarei.

Rosa Luxemburg bekämpfte jede Form von Nationalismus, sie verurteilte die Unabhängigkeitsbestrebungen von Polen, den baltischen Staaten, Finnlands und der Ukraine, sie war gegen die Unabhängigkeit der Balkanvölker. Separatismus und Nationalismus war ihrer Meinung nach das Werk adeliger und bürgerlicher Machtcliquen vor Ort, sie war gegen die Auflösung von Großstaaten wie dem zaristischen Russland und der Donaumonarchie. Das Proletariat hätte keine Heimat, die Zukunft der Welt liegt in der sozialistischen Gemeinschaft der Völker und nicht in Nationalstaaten.

Man warf ihr vor, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem Nationalismus hochentwickelter Staaten wie Frankreich und Deutschland und dem Nationalismus von Völkern, die gegen Fremdherrschaft und für Unabhängigkeit kämpfen, aber dies akzeptierte sie nicht. Nur die herrschende Klasse sei nationalistisch, nicht aber die Arbeiter.

Was für eine merkwürdige Auffassung und was für eine völlige Verkennung des Nationalismus!
Die reale Entwicklung verlief bekanntlich anders. Gab es zu der Zeit von Rosa Luxemburg etwa 60 Staaten, sind es heute knapp 200. Natürlich waren es oft lokale Machteliten, die für die Selbständigkeit ihrer Länder kämpften und die übrige Bevölkerung unterstützte sie, doch es zeigte sich, das auch die Arbeiter von Land zu Land höchst gegensätzliche Interessen haben können und in den Weltkriegen haben sich Armeen, die vielfach aus Arbeitern bestanden, gegenseitig abgeschlachtet.

Auch in den sozialistischen Staaten überwog der Nationalismus, denn die jeweilige Nomenklatura hatte als Grundlage ebenfalls den Nationalstaat und nach dem zweiten Weltkrieg gab es zwischen ihnen zahlreiche Auseinandersetzungen, vor allem zwischen China und der Sowjetunion. Und in den kommunistischen Großstaaten wie in der SU gab es Kämpfe zwischen der zentralen Machtelite und den lokalen Funktionärscliquen. Dies führte schließlich zur Auflösung der Sowjetunion.

Rosa Luxemburgs geringe Wertschätzung außereuropäischer Kulturen, ihre völlige Verkennung der Bedeutung des Nationalismus, all dies war bezeichnend für ihr Lebenswerk. Autobiographen führen dies zurück auf ihre Herkunft und ihre Lebensjahre im zaristischen Russland. In Polen glaubte sie erkannt zu haben, dass der polnische Nationalismus vor allem das Werk von Adel und katholischer Kirche sei, beides Mächte, mit denen sie als Jüdin äußerst schlechte Erfahrungen gemacht hatte. Deshalb lehnte sie Nationalismus komplett als reaktionär ab, vor allem dann, wenn er sich, wie in Teilen Russlands, auch mit Antisemitismus mischte.

Der Siegeszug des Kapitals war für sie auch der Siegeszug der Zivilisation. Die Globalisierung erschien ihr als notwendiger Fortschritt in Richtung einer höheren Kultur. Wenn man die kapitalistische Hülle nun wegsprengte, würde der Raubzug des Kapitals sich in einen Siegeszug für die Zivilisation erweisen, der Saulus wird zum Paulus.
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Barbarossa
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Klingt zunächst widersprüchlich, aber nimmt man das "Manifest der Kommunistischen Partei" zur Hand, erklärt sich vieles von selbst, denn die Ansichten Rosa Luxemburgs sind ideologisch bedingt.
So finden sich dort auch Vorstellungen zum Werdegang des Nationalismus der sozialstischen Länder des 20 Jh.:
Obgleich nicht dem Inhalt, ist der Form nach der Kampf des Proletariats gegen die Bourgeoisie zunächst ein nationaler. Das Proletariat eines jeden Landes muß natürlich zuerst mit seiner eigenen Bourgeoisie fertig werden.
Quelle: http://www.zeno.org/Philosophie/M/Marx, ... roletarier
Den Kommunisten ist ferner vorgeworfen worden, sie wollten das Vaterland, die Nationalität abschaffen.

Die Arbeiter haben kein Vaterland. Man kann ihnen nicht nehmen, was sie nicht haben. Indem das Proletariat zunächst sich die politische Herrschaft erobern, sich zur nationalen Klasse erheben, sich selbst als Nation konstituieren muß, ist es selbst noch national, wenn auch keineswegs im Sinne der Bourgeoisie.

Die nationalen Absonderungen und Gegensätze der Völker verschwinden mehr und mehr schon mit der Entwicklung der Bourgeoisie, mit der Handelsfreiheit, dem Weltmarkt, der Gleichförmigkeit der industriellen Produktion und der ihr entsprechenden Lebensverhältnisse.

Die Herrschaft des Proletariats wird sie noch mehr verschwinden machen. Vereinigte Aktion, wenigstens der zivilisierten Länder, ist eine der ersten Bedingungen seiner Befreiung.

In dem Maße, wie die Exploitation des einen Individuums durch das andere aufgehoben wird, wird die Exploitation einer Nation durch die andere aufgehoben.

Mit dem Gegensatz der Klassen im Innern der Nation fällt die feindliche Stellung der Nationen gegeneinander.
Quelle: http://www.zeno.org/Philosophie/M/Marx, ... ommunisten
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ehemaliger Autor K.

Marx und Engels haben ihre Aussagen aus dem Kommunistischen Manifest später revidiert, als sich nämlich herausstellte, das der Weltmarkt nicht zu einer Homogenisierung der Länder führte, sondern zu einer zunehmenden Heterogenität. Mit anderen Worten: Es gab Gewinner und Verlierer auf dem Weltmarkt.

Die II. Internationale vertrat die Auffassung, das die Verlierer, dazu zählten sie die Kolonialvölker und die Nationen, die von Imperien beherrscht wurden, wie dem russischen oder osmanischen Reich, das Recht auf nationale Unabhängigkeit hätten, denn die sei eine Grundbedingung dafür, das sich diese Länder überhaupt entwickeln können. Abstreifung der Fremdbestimmung, Souveränität, dies sei wichtig und müsse von den Sozialisten unterstützt werden. Man verwies darauf, dass der polnische Nationalismus anders zu bewerten sei als der Chauvinismus der Alldeutschen.

Rosa Luxemburg schloss sich dieser damals weit verbreiteten Auffassung nicht an. Es waren vielleicht die unangenehmen Begleiterscheinungen, die der Nationalismus der neu erwachten Völker mit sich brachte, die sie zögern ließen.
Die spätere Ministerpräsidentin von Israel, Golda Meir, geboren im zaristischen Russland, berichtete später, das es am Tage der polnischen Unabhängigkeit zu schweren Ausschreitungen gegen Juden kam, begangen von polnischen Nationalisten. Es waren diese finsteren Aspekte, die Rosa Luxemburg wohl vor allem im Auge hatte. Das ist überhaupt ein Merkmal ihrer ganzen Politik gewesen. Sie konzentrierte sich fast immer auf die dunklen Punkte, übersah aber die positiven Aspekte.

Es ist richtig, das die Unterdrückten von einst auch selber Unterdrücker werden können. Das bekannte Problem: Opfer werden später zu Tätern. Dies ist aber nicht zwangsläufig so.
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