Pulverfass und Nationalitätenkonflikte auf dem Balkan

"Deutschland - aber wo liegt es?" Goethe

Moderator: Barbarossa

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Marek1964
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Ein Thema, das eigentlich selbst für eine Dissertation zu breit wäre, versuche ich in einen Thread zu verpacken.

Wie entstanden die Konflikte auf dem Balkan, die seit Jahrhunderten bestanden und nie beigelegt werden konnten, vielleicht auch, dass es da einfach keine friedliche Lösung gibt?
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Marek1964
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Überleitung vom Thema von Thread Donauschwaben http://geschichte-wissen.de/forum/viewt ... =16&t=4945

Marek1964 hat geschrieben:
Dietrich hat geschrieben:
Renegat hat geschrieben: Die Menschen sprachen noch vor 100-200 Jahren nicht staatenweise eine Sprache, auch wenn das heute schwer vorstellbar ist.
Das ist gar nicht schwer vorstellbar. Man muss nur einmal die Situation auf dem Balkan betrachten, wo in den Jahrhunderten vor dem Bosnienkrieg ethnische Gruppen, Nationalitäten und Sprachen in bunter Gemengelage durcheinandergewürfelt waren. Serben, Kroaten, Bosnier, Slowenen, Albaner und Makedonier sind ewige Zeiten friedlich miteinander ausgekommen, obwohl sie neben unterschiedlichen Ethnien sogar noch drei verschiedenen Konfessionen angehörten: katholisch, griechisch-orhodox, muslimisch. Erst die neue nationalistische Woge, die um 1990 nicht nur den Ballkan sondern auch die Sowjetunion ergriff, machte dem ein Ende.
Ich kann das nur teilweise bestätigen. Ein Balkanologe bestätigte irgendwann an einem Vortrag in den 90er Jahren, dass in Bosnien Voraussetzungen für einen Bürgerkrieg eigentlich nicht gegeben war.

Trotzdem bezweifle ich, Dietrich, ob das Bild von Dir wirklich stimmt, denn der gleiche Balkanologe sagte, man hätte zwar Jahrhunderte gegen die Türken gekämpft, aber immer auch gegeneinander. Konflikte gab es dort viele, ein schwieriges Thema, das ich in einem speziellen Thread diskutieren möchte:

http://geschichte-wissen.de/forum/viewt ... =67&t=4950
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Marek1964
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Hier zur Auflockerung eine Karikatur:

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/c ... ubles1.jpg
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Barbarossa
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Lustig die Karikatur.

Mein Wissen über den Balkan ist leider nur eher oberflächlich. Was mir bei der Ausarbeitung des Magazins über den Ersten Weltkrieg auffiel ist, dass es gerade bei den Serben Bewegungen gab, die einen Großserbischen Staat anstrebten, wie:

Die Schwarze Hand
Mlada Bosna

Die Balkankriege in den 1990er Jahren hatten nach dem Auseinanderbrechen Jugoslawiens ebenfalls wieder ein Großserbien zum Ziel.
Man könnte also denken, die Serben wären gern die Hegemonialmacht auf dem Balkan.
Die Diskussion ist eröffnet!

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Renegat
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Ob es viel bringt mehr als 100 - 150 Jahre zurückzublicken, weiß ich nicht. Es würde sehr weit führen und dann müßte man den Balkan mit Resteuropa vergleichen, wo es auch ein ständiges Hickhack, Kriege und Scharmützel gab.
Vor ca. 150 Jahren begann die Phase der Nationalstaaten, da kann man es Serbien nicht verdenken, dass es diesen Weg auch gehen wollte. In Rußland gab es um den 1.WK auch ein Zeitfenster für einen Nationalstaat, wie er nunmal damals Mode war, als Nachfolger der Monarchien. Dass es dazu nicht gekommen ist, ist eine andere Geschichte, die auf den Balkan ausstrahlte.
Auf dem Balkan konnte diese Nationalstaatsphase nie wirklich ausgelebt werden. Vor 200 Jahren, als in Mitteleuropa die Kleinstaaterei des HRR herrschte, dominierten Deutschösterreicher und Ungarn den Balkan, vorher die Osmanen. Vollends nach dem 2. WK geriet der Balkan unter kommunistische Vorherrschaft. Einzig Tito konnte Jugoslawien blockfrei halten.
Gebiete wie der Balkan aber auch Mitteuropa, Nahost und die Türkei sind geografisch schon immer Durchzugs- und Mischgebiete gewesen, heute nennt man das geostrategische Lage. Sie mit einer Insel wie GB oder dünnbesiedelten Randgebieten wie Skandinavien zu vergleichen, ist nicht ganz fair.
Ein Pulverfass war der Balkan deshalb nur in den letzten Jahren. In der Zukunft wird dieses Gebiet hoffentlich seinen eigenen Weg finden, mit den ethnischen, religiösen und anderen Konflikten umzugehen.
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dieter
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Barbarossa hat geschrieben:Lustig die Karikatur.

Mein Wissen über den Balkan ist leider nur eher oberflächlich. Was mir bei der Ausarbeitung des Magazins über den Ersten Weltkrieg auffiel ist, dass es gerade bei den Serben Bewegungen gab, die einen Großserbischen Staat anstrebten, wie:

Die Schwarze Hand
Mlada Bosna

Die Balkankriege in den 1990er Jahren hatten nach dem Auseinanderbrechen Jugoslawiens ebenfalls wieder ein Großserbien zum Ziel.
Man könnte also denken, die Serben wären gern die Hegemonialmacht auf dem Balkan.
Lieber Barbarossa,
das wären sie gerne, aber da sind sie zahlenmäßig zu wenige und es reicht nicht aus andere Völker für sie arbeiten zu lassen. :wink:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Lia

Renegat hat geschrieben:In der Zukunft wird dieses Gebiet hoffentlich seinen eigenen Weg finden, mit den ethnischen, religiösen und anderen Konflikten umzugehen.
Man könnte dort aus der Vergangenheit Schlüsse für eine bessere Zukunft ziehen. Nicht nur aus der eigenen Geschichte, sondern insgesamt aus der europäischen.
Dietrich
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Renegat hat geschrieben: Vor ca. 150 Jahren begann die Phase der Nationalstaaten, da kann man es Serbien nicht verdenken, dass es diesen Weg auch gehen wollte.
Allerdings strebten die Politiker ein "Großserbien" an und majorisierten später in Jugoslawien alle anderen südslawicshen Völker. Diese Großmachtfantasien hielten auch noch nach 1991 an, als Serbien versuchte, mit seiner von serbischen Offizieren dominierten Armee die anderen Völker gewaltsam bei der Stange zu halten. Hätten alle jugoslawischen Völker die Auflösung toleriert, wäre es nie zu diesem bestialischen Bosnienkrieg gekommen.

Summa summarum: Ein Nationalitätenmodell wie in der Schweiz war auf dem Balkan leider nicht realisierbar. Somit werden wir künfig weniger Probleme haben, da die Gemengelage der Nationalitäten weitgehend beseitigz ist.
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Marek1964
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Dietrich hat geschrieben:
Summa summarum: Ein Nationalitätenmodell wie in der Schweiz war auf dem Balkan leider nicht realisierbar. Somit werden wir künfig weniger Probleme haben, da die Gemengelage der Nationalitäten weitgehend beseitigz ist.
Das ist genau der Punkt. Die Ursache ist ganz banal darin zu sehen, dass der Schweizer eben Schweizer ist und nicht Deutscher, Franzose, Italiener oder Rumäne.

Ich kann mich an unseren Geographieunterricht 1979 erinnern, als dort gesagt wurde, nur etwa 150 000 Bürger Jugoslawiens sich "Jugoslawen" fühlten, alle anderen fühlten sich als Serben, Kroaten, Bosnier usw.

Und dann ist da noch ein wichtiger Punkt zu erwähnen: Toleranz, Respekt und Rücksicht der Mehrheit auf Minderheiten (so man denn das überhaupt so nennen will). Der Deutschschweizer will nicht über die anderen herrschen. Der Föderalismus ist da die Umsetzung dieses Respekts.
ehemaliger Autor K.

Bismarck hatte einmal geschrieben: „ Der nächste Krieg wird von irgendeiner ganz lächerlichen Angelegenheit auf dem Balkan ausgelöst werden.“

Schon im 19. Jahrhundert wurde der Balkan zum Pulverfass, weil hier viele Faktoren zusammen kamen. Die Auflösung des Osmanischen Reiches, der Niedergang der Donaumonarchie, die Entwicklung des Nationalbewusstseins der Balkanvölker, die Expansionspläne Russlands in dieser Region, die Interessen von Deutschland, Frankreich und England in diesem Gebiet. Die Grenzen zwischen den Ethnien sind hier nicht klar gezogen, Siedlungsgebiete überschneiden sich, territoriale Ansprüche überall.
Deshalb gab es die Balkankriege 1912, 1913, den Ersten Weltkrieg, in dem auch die Völker dort auf verschiedenen Seiten kämpften. Auch der zweite Weltkrieg war in Jugoslawien gleichzeitig ein Bürgerkrieg zwischen Serben und Kroaten und anderen Kriegsparteien. In jeder Volksgruppe gab es Führungsgruppen, die danach strebten, alle Mitglieder ihrer Nation in einem ethnisch einheitlichen Gebiet zu vereinigen. Das ging aber nur durch Entmischung und „Säuberungen“, Trennung von den anderen Völkern
Ich schrieb einmal in einem anderen Zusammenhang über das Jugoslawien nach dem Zweiten Weltkrieg:

„Jugoslawien bestand nach einem bekannten Bonmot aus sechs Republiken, fünf Nationen, vier Sprachen, drei Religionen, zwei Alphabeten und einer Partei. Daran wird sich jetzt wehmütig erinnert. Unter Tito war angeblich alles besser: Es gab Wohlstand, Arbeiterselbstverwaltung, eine stabile Währung, Frieden zwischen den Völkern, Reisefreiheit nach Ost und West, nicht die vielen Grenzen wie heute, die es schwierig machen, von Zagreb nach Belgrad zu fahren. Jugoslawien war ein international geachteter Staat, der charismatische Führer wurde weltweit von den Mächtigen hofiert. Das Tito ein Diktator war, das es viele politische Gefangene gab, der Staat alles kontrollieren wollte, wird geflissentlich übersehen. Auch wenn das Leben unter dem jugoslawischen Kommunismus sich gewiss viel freier gestaltetet als in den Staaten des Warschauer Paktes, so kann nicht übersehen werden, das unter Tito die Strukturen entstanden, die dazu führten, das die regionalen Funktionärscliquen Jugoslawien nach seinem Tod auseinander sprengten und ihre Völker in die blutigen Erbfolgekriege trieben. Bei einer demokratischen Entwicklung hätte man die aufgestauten Probleme vielleicht friedlich gelöst.“

Weil die Ethnien nicht klar getrennt sind, gab es ständig Auseinandersetzungen nach dem Zerfall in den neunziger Jahren. Serben lebten in großer Zahl in Kroatien und Bosnien. Daher der Traum von Groß-Serbien. Kroaten lebten teilweise in Serbien, vielfach aber in Bosnien. Deshalb der Traum von Groß-Kroatien. Albanien wünschte sich den Kosova und träumte von Groß-Albanien.
Jetzt hat allerdings weitgehend eine Entmischung stattgefunden. Vielleicht gibt es jetzt einmal Frieden.
Harald
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Nur 150.000 Jugoslawen fühlten sich als Jugoslawen. Das waren Bosnier, die unter der kommunistischen Herrschaft ihren moslemischen Glauben verloren hatten und denen nur noch der Glauben an Jugoslawien blieb.

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dieter
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Lieber Harald,
diese Bosnier üben aber heute ihren moslemischen Glauben wieder aus, deshalb der Jugoslawienkrieg und die Föderation von Bosnien-Herzogowina. :wink:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Lia

Karlheinz hat geschrieben:Jetzt hat allerdings weitgehend eine Entmischung stattgefunden. Vielleicht gibt es jetzt einmal Frieden.
Danke erstmal wieder für den klaren Beitrag zu einer unklaren Situation. :clap:
Vielleicht gibtes Frieden, weil eine "Entmischung" stattgefundenhat. Welcher dieser Staaten auch immer die Mitgliedschaftder EU anstrebt, wird die jeweils verbliebenen ethnischen Minderheiten nach den Vorgaben der EU behandeln müssen. Wobei sich die EU-Staaten nun nichtgerade durchgehend als leuchtende Vorbilder zeigen.
Stichwort Roma in Ungarn,
http://www.bpb.de/apuz/31854/die-roma-in-ungarn?p=all
aber eben nicht nur dort:
http://www.spiegel.de/thema/sinti_und_roma/
Wobei nicht nur mangelnde Bemühungen staatlicherseitsund krude Vorurteile bei den Bürgern zu beklagen sind, sondern bei Teilen der Sinti und Roma aus Resignation und/oder Festhalten an alten Traditionen eine Abneigung gegen Bemühung um Bildung, die zur Teilhabe befähigt, tatsächlich existiert.
Andererseits kenne ich genügend Sinti und Roma, "von denen man nie gedacht hätte, dass sie Zigeuner sind." Zitat einer überraschten deutschen Mitbürgerin.
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Marek1964
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Harald hat geschrieben:Nur 150.000 Jugoslawen fühlten sich als Jugoslawen. Das waren Bosnier, die unter der kommunistischen Herrschaft ihren moslemischen Glauben verloren hatten und denen nur noch der Glauben an Jugoslawien blieb.

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Das waren die obersten Funktionäre der KPJU :mrgreen: :mrgreen: Und auch die haben das (teilweise) nur der Karriere zuliebe angegekreuzt :mrgreen:
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dieter
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Marek1964 hat geschrieben:
Harald hat geschrieben:Nur 150.000 Jugoslawen fühlten sich als Jugoslawen. Das waren Bosnier, die unter der kommunistischen Herrschaft ihren moslemischen Glauben verloren hatten und denen nur noch der Glauben an Jugoslawien blieb.

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Das waren die obersten Funktionäre der KPJU :mrgreen: :mrgreen: Und auch die haben das (teilweise) nur der Karriere zuliebe angegekreuzt :mrgreen:
Lieber Marek,
sie dürfen doch heute in Bosnien ihren muslimischen Glauben voll ausleben. :wink:
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