Minderheiten im Osmanischen Reich

Die Geschichte des Islam

Moderator: Barbarossa

Dietrich
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Der nichtmuslimische Bevölkerungsteil wurde im Osmanischen Reich relativ tolerant behandelt, auch wenn er zusätzliche Abgaben entrichten musste, die in der Regel nicht besonders drückend waren. Bekanntlich mussten die nichtmuslimischen Untertanen dem islamischen Staat eine besondere Personensteuer entrichten, was im Osmanischen Reich durch die Erhebung einer Kopfsteuer (cizye) der arbeitsfähigen männlichen Bevölkerung erfolgte. Bis ins 17. Jh. wurde sie zuweilen von einem ganzen Dorf als Kollektivzahlung eingezogen.

Diese Steuer wurde von den Betroffenen vielfach als Diskriminierung empfunden, doch handelte es sich im Gegenzug auch um eine Ersatzleistung für den Militärdienst, den in der Regel nur Muslime ableisten mussten. Ein entsprechendes Religionsgesetz bildete die Grundlage dieser Religionspolitik.

Dass sich der osmanische Staat in dieser Hinsicht relativ tolerant zeigte und keine religiösen Zwangsgbekehrungen zuließ, liegt auch darin begründet, dass er auf die Produktion und Steuerleistung seiner christlichen und jüdischen Untertanen angewiesen war. Ferner sollte die Integration der christlichen Bevölkerung behutsam erfolgen, nicht durch Aufstände, Unruhen oder religiöse Unduldsamkeit zusätzlich erschwert werden.

Mit Blick auf die Behandlung religiöser Minderheiten im christlichen Europa war die Handhabung im Osmanischen Reich relativ human. Zudem waren die christlichen und jüdischen Religionsgemeinschaften (millet) in Glaubensfragen autonom und ihnen wurde Gerichtsbarkeit über ihre Glaubensbrüder zugebilligt.

Unterprivilegiert waren Nichtmuslime im Rechtsbereich und konnten vor Gericht nicht gegen Muslime aussagen, was besonders im Wirtschaftsleben ein ernstes Problem war. Häuser von Nichtmuslimen durften nicht höher sein als die Häuser ihrer muslimischen Nachbarn und es konnte geschehen, dass einer Gemeinde die Kirche weggenommen und in eine Moschee umgewandelt wurde.

Eine bedeutende Stärkung und auch ein sozialer Aufstieg städtischer Nichtmuslime in der Wirtschaft und Verwaltung erfolgte durch die Tanzimat-Reformen des 19. Jh.

Die christlichen Phanarioten des 18. und frühen 19. Jh. auf dem Balkan und in Konstantinopel waren reiche und auch politisch mächtige Adelsfamilien, doch handelte es sich nur um eine ganz dünne Schicht.
Ruaidhri
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Es blieb auch stets abhängig von den politischen Konditionen, wie weit Dhimmi aufsteigen konnen und wieviel Einfluss sie, auch direkten, auf die Herrscher, sie hatten.
Du beziehst Dich auf das osmanische Reich, verfolgt man das von den Anfängen muslimer Herrschafstausübung, ergeben sich interessante Aspekte.
Die Dhimmi, Juden und Christen als Anhänger der Buchreligionen, zahlten Kopfsteuer, als Ersatz für den Wehrdienst, waren dafür aber unter dem Schutz der Muslime.
Der besondere Schutz der Dhimmi ist als Verpflichtung inder islamischen Rechtssprechung als religiöse Verpflichtung verankert.
( Was nichts daran ändert, dass sie zugleich diskriminiert wurden.)
Muttersprache: Deutsch Vaterland: Keins. Heimat: Europa
LG Ruaidhri
Paul
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Die "Minderheiten", die in vielen Regionen doch die Mehrheit waren, hätten auf diese "Toleranz" gerne verzichtet, auf Sklaverei, Knabenlese, Frauenraub, Steuerlast, Despotie, Massaker und auch Kriegsdienst.
viele Grüße

Paul

aus dem mittelhessischen Tal der Loganaha
Dietrich
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Paul hat geschrieben:Die "Minderheiten", die in vielen Regionen doch die Mehrheit waren, hätten auf diese "Toleranz" gerne verzichtet, auf Sklaverei, Knabenlese, Frauenraub, Steuerlast, Despotie, Massaker und auch Kriegsdienst.
Bei allem Wohlwollen für die religiöse Toleranz des osmanischen Staates lässt sich natürlich nicht leugnen, dass seine Herrschaft über die Völker Südosteuropas eine Fremdherrschaft war. Das Osmanische Reich hatte den Balkan bis vor Wien im 14./15. Jh. erobert und zwar gegen den erbitterten Widerstand der christlichen Völker. Als Synonym dafür sei die Schlacht auf dem Amselfeld (Kosovo polje) im Jahr 1389 genannt, wo ein serbisches Koalitionsheer gegen ein osmanisches Heer unter Sultan Murad I. kämpfte. Die Folge war eine entscheidende Schwächung der christlichen Balkanstaaten, was das weitere Vordringen der Osmanen begünstigte. Das Ereignis wurde in der Überlieferung schon bald durch Prozesse der Legendenbildung in Volksdichtung, sowie insbesondere in der Rezeption der serbisch-orthodoxen Kirche im Amselfeld-Kult in einer stark mythologisierten Form weitergegeben und ist bis heute ein nationaler Mythos.

Aufstände gegen das Osmanische Reich erfolgten erst mit dem Erwachen des Nationalismus und dem verstärkten Bewusstsein ethnischer Identitäten im 19. Jh. Vergleichbare Entwicklungen erlebte der Vielvölkerstaat der Habsburger, obwohl dessen Völker erst nach dem Ersten Weltkrieg staatliche Souveränität erlangten.
Wallenstein

Die religiöse Toleranz hatte, wie oben bereits erwähnt, vor allem pragmatische Zwecke. Die Hauptaufgabe des Staates war es, Reichtümer auszubeuten, nicht Untertanen zu bekehren. Für die herrschende Gruppe war es weitaus einträglicher, den Menschen vieler Religionen, Rassen und Sprachen zu gestatten, ihre Gebräuche, Traditionen und Gesetze innerhalb der millets zu bewahren, solange sie ihren finanziellen Verpflichtungen nachkamen.

Die Gesellschaft war geteilt in die kleine, herrschende Gruppe der Osmanlis und der großen Masse der raya (Herde des Sultans), zu denen alle anderen gehörten, auch die Moslems. Nicht-Moslems waren außerdem noch dimmis (Schutzbefohlene), die eine Sondersteuer zahlten, die sie vom Militärdienst befreite.

Jede millet besaß eine eigene Verwaltungsstruktur und religiöse Oberhäupter. Das Oberhaupt der muslimischen millet war der seyh ül-islam, Scheich des Islam, bei der jüdischen millet war es der Oberrabbiner, der Patriarch der griechisch-orthodoxen Kirche leitete die orthodoxe christliche millet. Formal waren alle millets gleich, doch die muslimische millet besaß Sonderrechte.
Jedes Mitglied der raya lebte in seiner eigenen strukturierten Welt und hatte mit der herrschenden Klasse der Osmanlis normalerweise nichts zu tun, denn die griffen nur selten in die Belange der millets ein. Hinzu kamen noch die weitgehend autonomen Gebiete der Drusen, Maroniten, Alawiten usw.

Die raya hatten die Osmanlis zu finanzieren. Christliche und moslemische Bauern zahlten Abgaben, Griechen, Juden und Armenier waren vorzugsweise mit Handel beschäftigt. Und immer kassierte der Staat. Es war für diesen zweckmäßig, sich nicht in die Belange der einzelnen Gruppen einzumischen.

Bei aller scheinbaren Harmonie, die nicht-muslimischen Gemeinschaften unterlagen einer Reihe von Diskriminierungen. Peter Scholl-Latour sprach deshalb einmal von „verächtlicher Toleranz“.

Wer den Orient kennt, noch heute kann man vielfach beobachten, dass die religiösen Gruppen und die verschiedenen Ethnien ihre eigenen Stadtviertel besitzen. Das hat mich auf meinen Reisen durch die orientalischen Länder immer fasziniert, diese Vielfalt der Kulturen.

Das Millet-System existiert nicht mehr, aber im Bewusstsein vieler Menschen ist es weiterhin präsent. Die Nachfolgestaaten des osmanischen Reiches hatten es schwer, bei den Bewohnern so etwas wie eine übergreifende Nationalität zu erzeugen. Im osmanischen Reich lebten die verschiedenen Gruppen weitgehend friedlich nebeneinander her, dafür sorgte notfalls der Staat. Heute bekriegen sie sich.
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