Gab es das "Blutgericht von Verden"?

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Moderator: Barbarossa

Dietrich
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Die Reichsannalen inklusive der so genannten Einhardsannalen berichten übereinstimmend, dass Karl der Große im Jahre 782 4500 aufrührerische Sachsen in Verden an der Aller über die Klinge springen ließ. Bis heute ist dieser Bericht unter den Historikern umstritten. Vor allem wird die Zahl der getöteten Sachsen angezweifelt, wobei die Umgehung der klaren Aussage der Reichsannalen problematisch ist.

Die historische Bewertung des so genannten "Blutgerichts von Verden" unterlag bezeichnenderweise ideologisch bestimmten Schwankungen, d.h. es gab eine große Bandbreite vom nationalsozialistischen "Sachsenschlächter" Karl bis hin zu einer eher euphemistischen Wertung einiger deutscher Historiker der Nachkriegszeit. Die Wahrheit wird vermutlich irgendwo in der Mitte liegen, wie das bei der Bewertung historischer Ereignisse häufig der Fall ist.
Ruaidhri
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Das Blutgericht gab es- die Zahl mag nicht stimmen, die Argumente, dass sie zu hochgegriffen sei, überzeugen mich allerdings.
Ausgenutzt wurde das Ereignis allerdings auch im christlichen Religionsunterricht an den damals noch konfessionsgebundenen (Volks) Schulen in NRW.
Wir lernten, ob evangelisch oder katholisch, dass Karl ein Guter war, der den Heiden die wahre Lehre brachte.
Fanden meine (evangelischen) Eltern überhaupt nicht in Ordnung, gingen dagegen an- worunter ich bis zum Ende der 4.Klasse leiden sollte. Im Gymnasium - den LehrerInnen sie mal Dank, wurde genau darüber tatsächlich schon in Geschichte wie in Religion diskutiert.
Und zwar in die Richtung lenkend, dass dies absolut keine in unserer Zeit zu feiernde und irgendwie christlich zu rechtfertigende Tat gewesen sei.
Ob die Zahl stimmt oder nicht- ob Karl - aus seinem Zeitverständnis heraus so handeln musste oder andere Optionen möglich gewesen wären, ist eine andere Frage.
Muttersprache: Deutsch Vaterland: Keins. Heimat: Europa
LG Ruaidhri
Paul
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Karl wollte Sachsen erobern. Als Anlaß dienten ihm die Überfälle der Sachsen auf Reichsgebiet. Später wurden Sachsen dann auch deutsche Kaiser. 
viele Grüße

Paul

aus dem mittelhessischen Tal der Loganaha
Cherusker
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Der Konflikt zwischen Sachsen und Franken bestand schon lange vor Karl d.Gr. . Anfangs erzielten die Sachsen Erfolge, die sie auch weit ins fränkische Gebiet vordringen ließen. Im Gegensatz zu den Römern schaffte Karl d.Gr. es, die sächsische Adelsschicht auf seine Seite zuziehen. Sie sollten ihre Rechte und Machtbefugnisse weiterhin unter fränkischer Führung behalten. Der Widerstand ging somit nur vom gemeinen Volk und  einen wenigen Adligen, wie z.B. Widukind aus. Gegen das fränkische Heer hatten die sächsischen Widerständler keine Chance, obwohl sie auch Erfolge erzielten, z.B. Süntelschlacht: Vernichtung eines fränkischen Heer, Detmold: Karl d.Gr. wird zurückgeschlagen,..... aber die Übermacht ließ Widukind auch mehrmals nach Dänemark fliehen (besonders in den Wintermonaten). Aufgrund des hartnäckigen Widerstands hat es dann in Verden diese Tat gegeben. Allerdings sind die Zahlen wohl weit übertrieben. Karl d. Gr. wollte somit sich die Loyalität der Sachsen sichern. Auch sollten alle, die weiterhin dem heidnischen Glauben anhingen hart (u.a.Todesstrafe) bestraft werden.
Aber selbst nach Widukinds Taufe ging der Widerstand noch ca. 25Jahre weiter.
Dietrich
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Die Sachsenkriege dauerten immerhin 30 Jahre und sind ein düsteres Kapitel in der Regierungszeit Karls des Großen. Es ist ein merkwürdiges christliches Verständnis, das Christentum mit Gewalt und tausenden Opfern sowie Verwüstungen und Deportationen blutig durchzusetzen. Denn tatsächlich ging es Karl in diesem Fall eher um die Religion als um machtpolitische Expansion.

Wie du richtig sagst, sieht die Forschung heute in Widukind einen Führer der unteren Stände (Frilinge und Laten) gegen den sächsischen Adel, der den Franken und dem Christentum zuneigte. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass nur 100 Jahre später gerade aus diesen Sachsen mit den Liudolfingern eine Königs- und Kaiserdynastie hervorging.
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