Chinas dunkelste Stunde –Kritik an den Artikel

Mesopotamien, Babylon, China, Mongolen, Sumerer

Moderator: Barbarossa

Aneri

Ich finde den Artikel wie für 12-jährigen geschrieben: die sind böse, die sind gute. Ich erwarte von dem wissenschaftlichen, wenn auch populären Artikel, mehr Analyse und weniger Emotionen betätigte Sprache.
Da ich wie schon mal geschrieben habe, habe meine Probleme mit Deutschen Sprache, und habe auch nicht die Zeit es vernünftig in eigenen Worten zu fassen, werde ich hier einen Chinesen zitieren R. Bin Wong „Die Dauerhaftigkeit des chinesischen Imperiums aus dem Sammelbuch „Die Ursprünge der modernen Welt – die Geschichte in wissenschaftlichen Vergleich“ Hsgb. James A. Robinson und Klaus Wiegand 2008. Ich finde dieses Artikel interessant erst, dass es vom Chinesen stammt, zweitens es ist ein Versuch unterschiedlichen Entwicklungsverlauf mit unterschiedlichen Folgen in Europa und Asien zu erklären.
S.612-13 kursiv - meine Anmerkungen
„... Aus der nur selten eingenommenen chinesischen Perspektive heraus erscheinen sie (die Mongolen) dagegen als Schlüsselakteure bei der Wiedervereinigung, wie sie zuletzt die Han- und Tang-Imperien in ihrer Blütezeit gekannt hatten. Obwohl die traditionelle chinesische Historiografie die Mongolen meist als grobe Barbarenvölker abstempelt, die Chinas kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung störten, erging sowohl der Wirtschaft wie der Kultur recht gut unter der Mongolenherrschaft, die das chinesische Kernland politisch einte und den kommerziellen und intellektuellen Austausch auf ein Niveau brachte, wie es schon jahrhundertlang nicht mehr üblich gewesen war.
Der Rückzug der Mongolen aus dem chinesischen Kernland in mongolische Weidegebiete Mitte des 14. Jahrhunderts führte zu einer Ära han-chinesischer Herrschaft unter der Ming-Dynastie. Die Ming-Herrscher hielten die nomadischen und halbnomadischen Völker im Norden und Westen davon ab, das agrarische Imperium zu bedrohen, indem sie „Tributmissionen“ akzeptierten, von denen die Gesandtschaften materiell profitierten, und indem sie Grenzbefestigungen des Imperiums ausbauten. Sieht man die Beziehungen zwischen Ming-Dynastie und Steppenvölkern im umfassenden Kontext der zwei Jahrtausende, in denen Kaiserherrschaft eher Regel denn Ausnahme war, so hebt sich die Dauerhaftigkeit der ha-chinesischen Herrschaftsprinzipien zusammen mit der stetig weiterentwickelten Verwaltungspraxis deutlich gegen die radikal beschnittenene Chancen von Roms Nachkommen ab (der Vergleich mit der europäischen-mongolischen Entwicklung), nach der Invasionen der Völkerwanderung im Westen noch ein Imperium regieren zu können. Natürlich hätte die chinesische Ming-Dynastie diese Chance nicht gehabt, hätten nicht die Mongolen andere konkurrierende Herrschaftssysteme vom chinesischen Kernland eliminiert, sodass eine dauerhafte, enge komplementäre Beziehung zwischen Chinesen und Steppenvölkern entstand. Schließlich verbanden sich beide Herrschaftssysteme in der Mitte des 17. Jahrhunderts, als die Mandschus vom Nordosten mit ihren Manschu-, Mongolen- und Han-Chinesen-Armeen einfielen und den geschwächten, vielerorts von inneren Unruhen erschütterten Ming-Staat eroberten. Die Madschus bauten bewusst auf den Verwaltungspraktiken der Ming-Zeit auf und optimierten sie. Gleichzeitig weiterten sie ihre Präsenz in Zentralasien noch offensiver und effektiver aus als die expansionistischen Imperien der Han- und Tang-Dynastie...“
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Peppone
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Aneri hat geschrieben:Ich finde den Artikel wie für 12-jährigen geschrieben: die sind böse, die sind gute. Ich erwarte von dem wissenschaftlichen, wenn auch populären Artikel, mehr Analyse und weniger Emotionen betätigte Sprache.
Der Artikel ist bewusst so geschrieben, um die emotionale Seite herauszustellen. Die auch aus den Quellen deutlich sichtbare Abneigung der Chinesen gegen die Mongolen (s.u.) ist ja nun eindeutig eine Emotion.
Ich versuchte, gerade die Perspektive der Chinesen zu berücksichtigen, denn ebenfalls ohne Zweifel brachten die Mongolen politische und auch kulturelle Stabilität, und trotzdem waren die Chinesen gegen sie.

Ich habe auch bewusst auf Historiker-Fachbegriffe verzichtet, weil ich kein "Fachchinesisch" schreiben wollte, das noch weniger verstanden werden kann als das, was ich schließlich verfasst habe.
Aneri hat geschrieben:„... Aus der nur selten eingenommenen chinesischen Perspektive heraus erscheinen sie (die Mongolen) dagegen als Schlüsselakteure bei der Wiedervereinigung, wie sie zuletzt die Han- und Tang-Imperien in ihrer Blütezeit gekannt hatten. Obwohl die traditionelle chinesische Historiografie die Mongolen meist als grobe Barbarenvölker abstempelt, die Chinas kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung störten, erging sowohl der Wirtschaft wie der Kultur recht gut unter der Mongolenherrschaft, die das chinesische Kernland politisch einte und den kommerziellen und intellektuellen Austausch auf ein Niveau brachte, wie es schon jahrhundertlang nicht mehr üblich gewesen war.
Wong mag chinesischer Abstammung sein, aber er ist Amerikaner. Und wie er selber schreibt, ist die positive Würdigung der Mongolenherrschaft eben KEINE innerchinesische Perspektive, sondern eine Außensicht, noch dazu vom modernen Standpunkt aus, also eine "ex-post"-Darstellung. Denn "die traditionelle chinesische Historiografie [sieht] die Mongolen meist als grobe Barbarenvölker".
Und genau darauf wollte ich mit meinem Artikel hinaus. Danke für diese Bestätigung der Richtigkeit meiner Aussagen.

Nun muss man schon auch sehen, dass "traditionelle chinesische Historiografie" bedeutet, dass hier staatlich gelenkt wurde. Klar, dass die Mingherrscher keine Lobeshymnen auf die Mongolen verfassen ließen.
Aber auch Franke/Trauzettel schrieben in ihrem 1968 verfassten Standardwerk "Das chinesische Kaiserreich" über die Zeit der Eroberung Nordchinas durch die Mongolen: "Die chinesische Bevölkerung begrüßte, so vehasst die Herrschaft der Dschurdschen [ein weiterer Nomadenstamm, der schon zuvor Nordchina von den Sung erobert hatte und das Chin-Reich errichtet hatte] auch gewesen sein mochte, die Mongolen [unter Ögödei] nicht als Befreier, denn die neuen Herren erwiesen sich als nicht weniger ausbeuterisch als ihre Vorgänger."
Die Mongolen ließen nämlich Steuern durch - mongolische - Privatunternehmer eintreiben. Maßlose Bereicherung einiger weniger zu Lasten der Bevölkerung war die Folge.
Im Südreich war man zu dieser Zeit nicht mehr fähig, die Großgrundbesitzer zum Zahlen von Steuern zu bewegen, Papiergeld führte zu Inflation, der Dauerkrieg gegen die Mongolen (mittlerweile unter Kublai) kostete Unmengen, so dass sich der Kanzler des Südreiches (Südliche Sung-Dynastie) gezwungen sah, ein Fünftel des in Großgrundbesitz befindlichen Landes zu verstaatlichen. Die Großgrundbesitzer und die Beamten (oft beides in einer Person) versagte daraufhin teilweise dem Staat die Loyalität, auch die Truppenführer wurden wiederholten Rechnungsprüfungen unterzogen, was ihrer Treue zum Herrscherhaus auch nicht unbedingt zuträglich war. Als daher die Mongolen ins Sungreich einmarschierten, ergaben sich viele Truppenteile kampflos. Die Folge war die im Artikel dargestellte letzte Verzweiflungsschlacht der Sung und der Tod des jungen Kaisers samt seines wichtigsten Beraters, eben des Kanzlers.

Kublai bemühte sich zwar, seine Herrschaft chinesisch aussehen zu lassen, indem er sich mit chinesischen Beamten umgab, seine Hauptstadt nach Peking, die nördliche chinesische Hauptstadt verlegte, Chinesisch zur - neben dem Mongolischen - zweiten Amtssprache machte, die chinesische Verwaltung übernahm. Aber die Mongolen sinisierten sich nur widerwillig, kaum einer der mongolischen Beamten konnte vernünftig Chinesisch sprechen, geschweige denn schreiben (weswegen Heerscharen chinesischer Schreiber und Übersetzer die Amtsstuben bevölkerten), daher blieben diese mongolischen Beamten bei den Chinesen stets verhasst und verachtet. Der Norden Chinas war durch wiederholte Eroberungen und Dauerkriege "ausgepowert" (O-Ton Franke/Trauzettel, S.230 der Ausgabe von 2005), daher musste der Süden die Hauptlast der Steuern tragen - das machte die Mongolen nicht beliebter bei den Chinesen, deren Bevölkerungsmehrheit ja im Süden lebte. Die Südchinesen waren als Bewohner des ehemaligen Sung-Reiches auch von allen Staatsämtern ausgeschlossen, im Unterschied zu den Han-Chinesen, Kitan, Dschurdschen, Koreanern, die den Norden Chinas bevölkerten.
Auf dem Gebiet der Literatur und Religion war die Mongolenzeit von Freizügigkeit gekennzeichnet, aber auch das erregte den Widerwillen der auf ihre Tradition und Kultur sehr stolzen (Süd-)Chinesen.
Zunehmende Entwertung des mittlerweile zum Hauptzahlungsmittel gewordenen Papiergeldes, daher auch wirtschaftlicher Niedergang des Reiches, interne Machtkämpfe zwischen mächtigen Adelsfamilien, immer noch weitgehende Isolierung der wenigen herrschenden Mongolen von den vielen beherrschten Chinesen, agrarsoziale Spannungen durch Fronarbeiten und Blockierung der Lebensmittelproduktion aufgrund von regionalen Aufständen (u.a. gegen die Ausbeutung durch Steuereintreiber) - das alles trug nach 200 Jahren Mongolenherrschaft schließlich dazu bei, dass die Yüan-Dynastie (nicht einmal der Name war wirklich chinesisch) unter dem Ansturm der Ming-Rebellen unter Führung von Chu Yüan-chang, der dann zum ersten Ming-Kaiser wurde (übrigens unter Protektion der buddhistischen Sekte des "Weißen Lotos", der hier nicht zum ersten und auch nicht zum letzten Mal der Katalysator eines Umsturzes wurde).

Ich hoffe, aus diesen Ausführungen ist deutlich geworden, dass die Mongolen zeit ihrer Herrschaft in China Außenseiter blieben und bei den Chinesen verhasst und verachtet waren, trotz aller Vorteile, die die Mongolenherrschaft für China hatte und trotz aller Integrationsversuche durch das mongolische Herrscherhaus.

Beppe
Aneri

Hallo Beppe,
ich bin grundsätzlich gegen bewusstes Spiel mit Emotionen. Wir wollen hier doch keine Politik, wir wollen Wissenschaft Geschichte betreiben. Zugegebenermaßen ohne Emotionen geht nicht, dennoch muss man versuchen über „eigene Schatten zu springen“. Dein Artikel steht mir sehr unter dem Motto „Freiheit für den Besetzten“. Jedoch nicht nur in Physik gilt Relativität. Auch in der Zivilisation. Z. B. die sesshafte Lebensweise der Bauern beanspruchte ein Land in Besitz zu nehmen. Ein Land, das vorher allen gehörte. Wer hier ist „Besetzer“ und wer „der Kämpfer um die Freiheit“?! Diese entstandene Spannung koppelt zurück an die wachsende Zentralisierung der sesshaften sozialen Strukturen und führt zur Entstehung ersten staatlichen Formationen. Ohne diese Spannung werden wir nie verstehen können, warum die Staaten überhaupt entstanden. Wer hier ist der Gute und wer der Böse?! Wir, weil wir anderen assimiliert, bzw. verdrängt haben und somit unsrer Recht erwiesen haben? Waren wir barmherziger, weniger grausam etc.?
Ich beschäftige mich mit der Geschichte nur bedingt, mit meiner Beschäftigung mit allgemeiner Evolutionstheorie. Daher interessieren mich in der Geschichte der Zivilisation die Aufspaltung, die Differenzierung der Kulturen. Die Mongolen spielten in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle, da sie in bestimmtem Entwicklungsstadium sich erst als verbindende Kraft für die fremden Kulturen und zweitens als sie gestaltende Kraft erwiesen. Aus dieser Sicht finde ich auch den Artikel von R. Bin Wong sehr interessant. Gerade die Tatsache, dass er ein Amerikaner ist, hat ihn geholfen über den „eigenen Schatten“ zu springen und andere Perspektive anzunehmen. Das China ist ein Phänomen. Warum so ein gigantische Staat entstand, es interessiert mich. Der Hinweis des Wongs auf die Mongolen und auf die Besonderheit der chinesischen Verwaltungspraxis (und deren einzigartige „Religion“ – Konfuzianismus) ist hier sehr hilfreich.
Allerdings, wie ich schon früher bei meiner Recherche den Eindruck gewonnen habe, die moderne Geschichtswissenschaft nimmt von eindeutiger – negativer - Beschreibung der Mongolen ein Abstand.
Mit freundlichem Gruß
Aneri
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Peppone
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Aneri hat geschrieben:Allerdings, wie ich schon früher bei meiner Recherche den Eindruck gewonnen habe, die moderne Geschichtswissenschaft nimmt von eindeutiger – negativer - Beschreibung der Mongolen ein Abstand.
Mit freundlichem Gruß
Aneri
Ich auch. Was ich darstellen wollte, war die Sicht der Chinesen.

Ich unterstelle Wong mal eine sehr amerikanische Sicht der Dinge, so angesehen er als Historiker auch sein mag.

Ein Riesenreich entstand in China übrigens erst relativ spät. Es gab relativ häufig Perioden mit mehreren Reichen auf chinesischem Boden. Ein Reich gewann dann meistens das Übergewicht, oder eine fremde Macht = Nomaden von Norden oder Nordwesten eroberten China (meist "nur" Nordchina) und dann gab´s für ein paar Jahrhunderte ein großes oder zwei große chinesische Reiche, die dann aber wieder zerbrachen. Oft wurden dabei die Namen längst untergegangener Teilreiche wiederbelebt, so dass es das Reich z.B. "Chin" gleich mehrmals gab, unter völlig verschiedenen Herrschern, oder auch den Staat "Wu".

Südchina stellt dabei lange Zeit einen Kolonisationsraum der ursprünglich nur in Nordchina beheimateten Chinesen dar. Als Nordchina durch die dauernden Kriege und Eroberungen ausgelaugt war, wurde der Süden das wirtschaftliche Schwergewicht, von dem dann auch die maßgeblichen politischen Entwicklungen ausgingen.

Beppe
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