Die ungenaue Lage des Paradieses

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Moderator: Barbarossa

ehemaliger Autor K.

Das Wort Paradies stammt aus der altiranischen Sprache, pairi-daeza, übersetzt „umgrenzter Bereich“. In der Regel waren und sind sie von Wällen umgeben, um Herrschaftsbereiche zu kennzeichnen, vor allem aber, um zu verhindern, dass der Wüstenstaub sie nicht wieder verschüttet. Diese Paradiese waren aber nicht nur Geschenke der Götter, sondern entstanden auch durch die Menschen dank künstlicher Bewässerung. Der krasse Unterschied zwischen diesen wunderbaren Gartenanlagen und dem trostlosen, unfruchtbaren Umfeld ist auffällig. Daraus wird aber auch sichtbar: Das Paradies ist eine exklusive Angelegenheit, nicht für jedermann bestimmt, es gibt sie nicht überall. Das müssen wir uns merken, ihre Singularität ist ein wichtiges Kennzeichen für ein Paradies.

In Marokko fragte mich einmal ein Araber: “Liebst du die Wüste?“ Ich überlegte und antwortete: „Ja, manchmal schon!“ Meine Antwort kam zögerlich, denn anders als viele glauben, ist die Wüste in der Regel kein eindrucksvolles Sandmeer, bestehend aus lauter Dünen, sondern in den meisten Fällen nur eine karge, steinige oder staubige Landschaft, die keinerlei Reize ausstrahlt.

„Siehst du“, erklärte er mir, „ das ist der Unterschied. Wir Araber lieben die Wüste nicht, das tun nur verrückte Europäer. Wir Araber lieben die Oasen, Wasser, Palmen, üppige Vegetation. So stellen wir uns das Paradies vor. Die Fahne des Propheten ist deshalb grün und nicht schmutzig braun.“ Wir lernen also: Das Paradies ist nicht nur ein umgrenzter Bereich, sondern auch ein Gebiet, bewachsen mit Bäumen, Blütenpflanzen und herrlichen Sträuchern, die zudem noch Früchte tragen sollten.

Noch etwas: Im Alten Testament erfahren wir, das Gott die Menschen einst aus dem Paradies vertrieb und diese nun im Schweiße ihres Angesichtes den Acker bearbeiten müssen. Das haben sie vorher offensichtlich nicht getan. Also: Im Paradies braucht man nicht zu arbeiten, es wird für einen gesorgt.

Nun wissen wir, was sich viele Menschen unter einem Paradies vorstellen: Ein exklusiver Bereich mit herrlicher Vegetation, in dem man nicht arbeiten muss und wo für alles gesorgt wird. Wo findet man jetzt einen solchen Ort? Ich suchte ihn schon seit Kindertagen.

Wie viele meiner Generation (Jahrgang 1950), hielt ich Arbeit nicht für besonders sexy, Leistung war sogar ausgesprochen ungeil. Arbeit, das taugte nur für die blöden Malocher. Während die morgens in die Firma gingen, waren wir noch kräftig am Feiern und schliefen erst einmal aus. Erst mit 30 Jahren startete ich ins Berufsleben, nach der Lehre machte ich 10 Jahre lang fast nichts, lebte von immer neuen, sehr großzügigen Universitätsstipendien, für die ich nichts tun musste. Das gab mir reichlich Zeit und Gelegenheit, mir die Welt anzusehen, um das Paradies zu suchen. Ich besuchte alle möglichen Orte. Goa, Bali, Sri Lanka, Fidschi um nur einige wenige zu nennen, die meiste Zeit des Jahres war ich unterwegs. Überall gab es diese kitschige Südseeidylle mit weißen Stränden, Palmen und blauem Meer. In manchen Gegenden, wie Goa, verbrachte ich monatelang, dort war es billig, es gab guten Stoff, Partys, hübsche Mädchen aus den USA und Europa. Arbeiten brauchte ich nicht, denn das machten ja die Leute in Europa, die blöden Malocher, die meine Stipendien finanzierten und auf deren Kosten ich lebte. Noch etwas ist also typisch für Paradiese: Die Menschen, die dort leben, ohne zu arbeiten, können dies nur deshalb, weil andere für sie zwischenzeitlich schuften. Abgegrenzt waren die Strände allerding nicht immer, doch im Laufe der Zeit gingen die Behörden dazu über, lästige Andenkenverkäufer und Bettler zu vertreiben.

Im Laufe der Jahre fand ich viele solcher angeblichen Paradiese: Abgegrenzte Bereiche, üppige Vegetation, keine mühselige Arbeit, weil die von anderen gemacht wird.

Aber schon bald stellte ich fest: Das Paradies ist unendlich langweilig! Man geht ein vom vielen Nichtstun. Auf die Dauer fühlt man sich dort nicht wohl. Für mich ist das jedenfalls nichts.

Als ich später dann endlich mit der eigentlichen Berufstätigkeit begann, fand ich zu guter Letzt doch noch mein persönliches Paradies: Ein Büro mit einem Schreibtisch, Telefon, voller Terminkalender, Konferenzen, haufenweise ungelöste Probleme, jede Menge Arbeit. Arbeit am liebsten rund um die Uhr, sieben Tage in der Woche, möglichst wenig Urlaub und nur wenige freie Tage.

So suchen wir alle unser eigenes Paradies und für jeden sieht dies wahrscheinlich ganz anders aus. Eines aber glaube ich inzwischen zu wissen: Die Klischeevorstellungen von einem Paradies, wie ich sie oben geschildert habe, machen nicht wirklich glücklich. Ein Paradies muss anders sein, ganz anders.


ehemaliger Autor K.

In Halle soll es eine Straßenbahn – Station geben mit dem Namen „Paradies“. Früher wohl inmitten einer sozialistischen Ruinenlandschaft. Einen subtilen Sinn für Humor hatten die SED-Bosse wohl gehabt, falls dieser Name nicht bereits aus früheren Zeiten kommen sollte und es nur vergessen wurde, ihn den veränderten, traurigen Umständen anzupassen, so das er ungewollt ironisch wirkte. Man hätte ihn wohl besser in „Hölle“ umbenennen müssen.

Andererseits war ja die gesamte DDR ein Arbeiter- und Bauernparadies gewesen. Wenn wir uns die Übersetzung für das Wort Paradies anschauen: „abgegrenzter Bereich“, hatte die SED ja damit auch nicht ganz unrecht. Allerdings fehlten die übrigen Kriterien, die für ein Paradies normalerweise typisch sind.
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dieter
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Lieber Karlheinz,
ein Paradies wird es nie gegeben haben. Das Leben ist Kampf, nur so können wir uns weiter entwickeln. Stagnation ist Rückschritt, deswegen eine Weiterentwicklung zum besseren Menschen. Wir fressen uns ja auch nicht mehr gegenseitig auf. :wink: :mrgreen: (Vorsicht, Ironie)
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
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