Aufarbeitung, Prozesse, Versöhnung n. Völkermord, Diktatur

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Moderator: Barbarossa

Renegat
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Registriert: 29.04.2012, 19:42

In Ruanda jährt sich der Völkermord dieser Tage zum 20. Mal. Das Apardheidregime in Südafrika wurde vor gut 20 Jahren beendet, die Diktatur in der DDR vor 24 Jahren.
Mir stellt sich dabei die Frage, wie geht die gesamte Bevölkerung mit den Verbrechen der Vergangenheit um. Wie die Beteiligten und wie die nächste Generation. Wird totgeschwiegen, verdrängt oder aufgearbeitet und versöhnt? Und welche Instrumente kennt man heute? Hat man dazugelernt in den letzten 100 Jahren?

In den Presseschauen wurde das Thema in den letzten Tagen zweimal gestreift, evtl. kann man es in diesem neuen Thema im Zusammenhang diskutieren.

aus http://geschichte-wissen.de/forum/viewt ... 550#p33550
Renegat hat geschrieben: Gestern habe ich zufällig einen Radiobeitrag über Ruanda gehört und war überrascht, wie positiv die Aufarbeitung dort beurteilt wurde und wie erfolgreich sie funktioniert. http://www.his-online.de/forschung/voel ... in-ruanda/ und http://www.taz.de/!50753/

Mit den an alte Traditionen angelehnten Gacaca-Gerichten konnte man die Bevölkerung insgesamt ins Boot holen, also auch Mitläufer.
Wir sind stolz auf unseren Rechtsstaat, juristische Rechtssprechung vor Gerichten ist aber zeitaufwändig und teuer, dieses Thema wurde bereits bei dem 93-jährigen NS-Täter gestreift. Man erreicht damit nur gerichtsfeste Extremfälle und kein Umdenken in breiten Kreisen der Bevölkerung.

Das Beispiel Ruanda paßt vielleicht nicht so richtig zu Brandenburg und der DDR-Aufarbeitung, insgesamt halte ich es für ein interessantes Thema zu untersuchen, welche Möglichkeiten und Erfahrungen es gibt, nach einem Krieg oder einem totalitären Regime friedlich weiter miteinander zu leben.
Ruanda erlebt z.Zt. zwar einen gewissen wirtschaftlichen Boom vor allem in der Hauptstadt, das Regierungssystem kann man aber nicht als lupenreine Demokratie bezeichnen. Die Pressefreiheit soll stark eingeschränkt sein.
Möglicherweise ist die Situation im heutigen Ruanda teilweise mit der frühen BRD zu vergleichen. In der die Wunden der Vergangenheit durch einen wirtschaftlichen Aufschwung verdrängt wurden.



Ralph hat geschrieben: Mich stört dabei folgendes: Teilweise wurden Kriegsverbrecher, Kriegstreiber und Profiteure in der frühen Bundesrepublik sehr milde behandelt: Krupp, Flick, Speer, Globke. Deren Schuld wiegt sehr stark.
Demgegenüber werden jetzt damals junge Männer angeklagt, die keinerlei Kommandogewalt hatten (bloße Befehlsempfänger), die sich mMn auf Befehlsnotstand berufen können. Richter urteilen, die diese Zeit nicht miterlebt haben, die Beweislage ist oft lückenhaft und wird auf Erinnerungen gestützt, die nach 70 Jahren nicht mehr genau sein können.

Es gibt keine Gleichheit im Unrecht ja, aber diese Tendenz betrachte ich doch kritisch. Die Chance, mit den Mitteln der Justiz, diese Verbrechen aufzuarbeiten und ein Stück weit Gerechtigkeit zu schaffen, wurde vor 40 Jahren vertan.
Renegat hat geschrieben:Das ist alles richtig, nur kann man die Vergangenheit nicht mehr ändern. Wir hatten im 68-er Thread die private Auseinandersetzung zwischen den Generationen thematisiert. Gerichtsprozesse sind langwierig und teuer.
Im Grunde hätte man die kompletten, beteiligten 1-2 Generationen einbeziehen müssen. Nicht vor Gerichten aber in einer offenen, verbalen Auseinandersetzung. Viele aus der betroffenen Generation hatten mit dieser Art der Auseinanderstzung aber Probleme, nicht weil sie bes. schuldig waren, sondern weil sie es nicht gelernt hatten im totalitären NS-Staat.

Ich weiß nicht genau, wie die südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommissionen heute beurteilt werden. http://de.wikipedia.org/wiki/Wahrheits- ... kommission
Sie sind eine neuere Erfindung, damals war man in D noch nicht soweit. Für die DDR-Vergangenheit könnte man evtl. noch von Südafrika lernen.
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Balduin
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Ich kann mir vorstellen, dass ein Wiederaufbau eines Staates ohne die Schuldigen kaum möglich ist. Das geht dann zwar zu Lasten der Opfer und der Gerechtigkeit, aber selbiges konnte man ja in der Bundesrepublik beobachten. Hätte man in der frühen Bundesrepublik alle NS-Richter, Staatsanwälte, Verwaltungsbeamte, Polizisten etc. pp. aussortiert, hätte es keinen mehr gegeben, der die staatliche Gewalt repräsentiert. Deshalb vielen die Entnazifizierungen ja so milde aus.

Die Mehrzahl der Menschen ist opportunistisch eingestellt - sie wollen in dem Rahmen, der ihnen offen steht, ein erfolgreiches Leben führen - deshalb ist es ja nicht verwunderlich, dass für viele der Übergang von der NS in die DDR-Diktatur so reibungslos verlief. Ebenso verhielt es sich mit NS-BRD.
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He has called on the best that was in us. There was no such thing as half-trying. Whether it was running a race or catching a football, competing in school—we were to try. And we were to try harder than anyone else. We might not be the best, and none of us were, but we were to make the effort to be the best. "After you have done the best you can", he used to say, "the hell with it". Robert F. Kennedy - Tribute to his father
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dieter
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Lieber Ralph,
es kommt nochwas dazu, nämlich der Kalte krieg und der Ost-Westgegensatz, der bald nach 1945 begann. Meine Goßmutter sagte: "Sie werden sich über die Beute (Deutschland) nicht einigen können." :wink: :mrgreen:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
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