Stalin - wie wird er in Russland, Georgien heute gesehen?

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Marek1964
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Eine Frage, die mich interessiert, die Aneri hier http://geschichte-wissen.de/forum/viewt ... =15#p39497 angeschnitten hat
Aneri hat geschrieben:
Marek1964 hat geschrieben: Und es regt mich auf, dass die Russen immer noch Stalin nachtrauern, ...
Russen sind wie jedes Volk keine einheitliche Masse. So könnte man auch über die Deutschen, wenn man Augenmerk auf die extrem Rechten richtet, sprechen: sie trauen ihren Führer nach...


Ich würde jetzt mal instinktiv behaupten, dass dem Hitler in Deutschland weit weniger Leute nachtrauern als in Russland und Georgien Stalin, aber ich lasse mich da gerne eines besseren belehren.

Vielleicht hat jemand Informationen oder Umfrageergebnisse... wäre spannend.
Spartaner
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Die Georgier sehen Stalin als Georgier, da spielt die ein wehmütiges zurückblicken auf die kommunistische Zeit keine Rolle. Stolz sein auf einen Georgier, der es weit gebracht hat, steht da wahrscheinlich im Vordergrund.
Wahrscheinlich haben sie sich dabei nicht ernsthaft, mit Stalins Verbrechen auseinandergesetzt. Ihre Unabhängigkeit dürfte aber eine bedeutend höheren Stellenwert haben.
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Orianne
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Ihm wird leider nicht nur in Georgien nachgetrauert, es war ja nicht alles schlecht, so der bekannte Spruch eines Mannes in Moskau...
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Marek1964
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Orianne hat geschrieben:Ihm wird leider nicht nur in Georgien nachgetrauert, es war ja nicht alles schlecht, so der bekannte Spruch eines Mannes in Moskau...
Wurde in Nachkriegsdeutschland auch von manchem über Hitler gesagt.

Ich beginne jetzt auch zu rauben, plündern und zu vergewaltigen und vor Gericht sage ich dann: ich habe nicht nur Schlechtes gemacht im Leben...

Gut wäre es, wenn hier Quellen aufgeführt werden könnten. Hier habe ich mal eine:

http://www.independent.co.uk/news/world ... 27654.html
Spartaner
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Hallo Marek,
hier ein Interview über die Stalin-Verehrung mit dem georgischen Historiker Lasha Bakradze vom Tagesspiegel.
http://www.tagesspiegel.de/themen/georg ... 06138.html
"Im vergangenen Jahr wurde von der Carnegie Stiftung für internationalen Frieden eine soziologische Umfrage in Russland, Armenien, Aserbaidschan und in Georgien zur Einstellung gegenüber Stalin durchgeführt. In Georgien war das bisher die erste wissenschaftliche Untersuchung dieser Art überhaupt. Demnach haben 45 Prozent der Georgier eine positive Einstellung gegenüber Stalin, 69 Prozent bezeichnen ihn sogar als einen "weisen Anführer". Ich hatte erwartet, dass viele Menschen ihn immer noch sympathisch finden, aber ich hatte nicht erwartet, dass es mehr Georgier als Russen sind. "
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Triton
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Als Hitler starb, war Deutschland ein Trümmerhaufen und de facto nicht mehr existent. Als Stalin starb war die UDSSR so mächtig wie nie und setzte sogar an, die USA zu überholen.
Wie er heute gesehen wird, weiß ich nicht. Zurückwünschen dürften ihn wenige, wer will schon Terror und in ständiger Angst leben?
"Tatsachen schafft man nicht dadurch aus der Welt, in dem man sie ignoriert." (Aldous Huxley)
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Marek1964
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Triton hat geschrieben:Als Hitler starb, war Deutschland ein Trümmerhaufen und de facto nicht mehr existent. Als Stalin starb war die UDSSR so mächtig wie nie und setzte sogar an, die USA zu überholen.
Naja, vielleicht in einzelnen Sparten, wie in einzelnen Bereichen der Rüstungstechnik (T 34 Panzer und Stalinorgel), später beim Sputnik, aber nie im Leben in allen Dingen des Lebens, dass die Menschen glücklich macht. Von einem Ansatz zum Überholen würde ich da nicht sprechen.
Triton hat geschrieben:Wie er heute gesehen wird, weiß ich nicht. Zurückwünschen dürften ihn wenige, wer will schon Terror und in ständiger Angst leben?
Interessant ist, dass so mancher Russe meint, das der Russe die Peitsche braucht, deshalbt auch Väterchen Stalin nicht so falsch lag.

Aber das halte ich für einen Trugschluss. Die Tragödie Russlands liegt darin, dass die Revolution vom Februar 1917 eben keine dauerhaufte Demokratie brachte, womit das russische Volk von einem autokratischen Regime zum anderen wechselte und damit eine Entwicklung wie in Grossbritannien oder auch Frankreich nicht möglich wurde.
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Titus Feuerfuchs
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Marek1964 hat geschrieben:Eine Frage, die mich interessiert, die Aneri hier http://geschichte-wissen.de/forum/viewt ... =15#p39497 angeschnitten hat
Aneri hat geschrieben:
Marek1964 hat geschrieben: Und es regt mich auf, dass die Russen immer noch Stalin nachtrauern, ...
Russen sind wie jedes Volk keine einheitliche Masse. So könnte man auch über die Deutschen, wenn man Augenmerk auf die extrem Rechten richtet, sprechen: sie trauen ihren Führer nach...


Ich würde jetzt mal instinktiv behaupten, dass dem Hitler in Deutschland weit weniger Leute nachtrauern als in Russland und Georgien Stalin, aber ich lasse mich da gerne eines besseren belehren.

Vielleicht hat jemand Informationen oder Umfrageergebnisse... wäre spannend.


17. Mai 2010 21:18 Umfrage

Stalin - der drittbeliebteste Russe aller Zeiten

Seine Herrschaft kostete Millionen Menschen das Leben. Doch in Russland bleibt Josef Stalin eine der populärsten historischen Persönlichkeiten.

Josef Stalin bleibt in Russland trotz der von ihm begangenen Grausamkeiten eine der beliebtesten historischen Persönlichkeiten. In einer Umfrage des staatlichen Fernsehens landete der berüchtigte Diktator vor der Endabstimmung am Sonntagabend auf dem dritten Platz.

Von den Befragten nannten 11,5 Prozent Stalin als ihren Favoriten - geringfügig mehr Stimmen erhielten lediglich Fürst Alexander Newski, der im 13. Jahrhundert einen Angriff von Rittern des deutschen Ordens zurückschlug, sowie Pjotr Stolypin, der als Ministerpräsident Anfang des 20. Jahrhunderts im Zarenreich die Agrarwirtschaft reformierte und gegen linke Revolutionäre vorging.[...]

http://www.sueddeutsche.de/panorama/umf ... n-1.359033

@ Aneri

Dein Vergleich mit den Deutschen entbehrt jeder Grundlage. Wie beliebt Hitler in D ist, kann man z.B. an den Wahlergebnissen der extremen Rechten (NPD) sehen.
MfG,
Titus Feuerfuchs
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Orianne
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Marek1964 hat geschrieben:
Orianne hat geschrieben:Ihm wird leider nicht nur in Georgien nachgetrauert, es war ja nicht alles schlecht, so der bekannte Spruch eines Mannes in Moskau...
Wurde in Nachkriegsdeutschland auch von manchem über Hitler gesagt.

Ich beginne jetzt auch zu rauben, plündern und zu vergewaltigen und vor Gericht sage ich dann: ich habe nicht nur Schlechtes gemacht im Leben...

Gut wäre es, wenn hier Quellen aufgeführt werden könnten. Hier habe ich mal eine:

http://www.independent.co.uk/news/world ... 27654.html
Kann ich schlecht, denn das war ein Beitrag im Weltspiegel vor ca. 5 Jahren :wink:
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Aneri

Titus Feuerfuchs hat geschrieben: Dein Vergleich mit den Deutschen entbehrt jeder Grundlage. Wie beliebt Hitler in D ist, kann man z.B. an den Wahlergebnissen der extremen Rechten (NPD) sehen.
Da sehe ich anders. Wie berechtigt ist eine Aussage bezogen auf ganzen Volk, wenn es nur 11-12% betrifft?
Auch diese 11,5% muss man unter Lupe nehmen. Wer hat Befragung durchgeführt? Wie seriös ist diese Institution? Ich meine nicht die Fälschung. Man kann aber die Frage so stellen, dass man zwangsläufig benötigte Antwort bekommt.

Und zum Thema. Ich weiß nicht wie steht mit Stalin in Russland JETZT. In sowietische Zeit viele meien russische Bekannte hatten negative Einstellung zu ihm. Ich nehme an, dass später hat sich etwas geändert. Logisch. Wenn man alles Böse mit Russen verbindet, wenn man in der tiefen wirtschaftlichen Krise befindet, sehnt man nach starken Führer.

Ich will klar stellen. Ich will damit nicht diese Tendenz irgendwie unterstützen. Nur blos jetzt schimpfen ohne die Ursachen zu verstehen, bringt ja auch nichts. Sicher ein Vergleich mit Hitler und Deutschland funktioniert nicht ohne weiteres. In Russland blieb noch 35 Jahr lang die gleiche Partei an der Macht. Chrustchov begann mit der Verarbeitung aber das Thema war schnell unter dem Teppich zurückgekehrt, da die Frage stellte: warum so "gute" so "unfehlbare" Partei hat Stalin geduldet. Also war es nicht im Sinne der Partei. Stalin war geschwiegen. Daher keine tiefere Verarbeitung seiner Taten möglich war.

Nach der Zusammenbruch der Sowjet Union hatte Russland keinen, der ihm eine Hand gestreckt hatte um aus der Tiefe herauskrabbeln zu helfen. Deutschland war nach Krieg eine Verbündete gegen Ostblock. Es könnte auch nicht wie es in Fall der Deutschland war, weil keine Infrastruktur der freien Marktwirtschaft da war. Es waren Kriminelle, die diese freie Marktwirtschaft regierten und - nach einigen Berichten - regieren noch. Wo keine Regeln gibt, gilt das Gesetz des Stärkeren. Dass unter diese Umständen die Forderungen nach starke zentralisierte Macht laut werden, ist verständlich.

Auch deshalb finde ich die Vorkehrungen des Westens gegen Russland falsch. Weil, wenn es vorher 12% war, wird dieser Anteil in der Krise nur zuwachsen. Ist es in unserem Sinne?! Nur dann, wenn wie etwa RS Russland als schwach sieht. Na ja, geht es kaputt, wird ja keinem weh tun. Ich denke aber, dass es kann selber weh tun, wenn man Gegner unterschätzt.
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Titus Feuerfuchs
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Aneri hat geschrieben:
Titus Feuerfuchs hat geschrieben: Dein Vergleich mit den Deutschen entbehrt jeder Grundlage. Wie beliebt Hitler in D ist, kann man z.B. an den Wahlergebnissen der extremen Rechten (NPD) sehen.
Da sehe ich anders. Wie berechtigt ist eine Aussage bezogen auf ganzen Volk, wenn es nur 11-12% betrifft?
[...]
Jedenfalls berechtigt genug, um daran festzumachen, dass Stalin in Russland beliebter ist als Hitler in Deutschland.
MfG,
Titus Feuerfuchs
Aneri

Titus Feuerfuchs hat geschrieben:
Aneri hat geschrieben:
Titus Feuerfuchs hat geschrieben: Dein Vergleich mit den Deutschen entbehrt jeder Grundlage. Wie beliebt Hitler in D ist, kann man z.B. an den Wahlergebnissen der extremen Rechten (NPD) sehen.
Da sehe ich anders. Wie berechtigt ist eine Aussage bezogen auf ganzen Volk, wenn es nur 11-12% betrifft?
[...]
Jedenfalls berechtigt genug, um daran festzumachen, dass Stalin in Russland beliebter ist als Hitler in Deutschland.
Ich glaube, du hasst verpasst, auf welche Passage mein Antwort gerichtet war. Es ging nicht um beliebter oder weniger geliebter. Es ging um die Aussage, in der über die Russen allgemein gesprochen wurde als sie (ein Volk) den Stalin verehren.

Ich denke, die Beliebtheit des Stalins beruht auch auf der Tatsache, dass in kommunistischen Land wurde der Religion Kampf angesagt. Vielleicht auch daran die Wurzeln liegen, das Stalinskult war ein Ersatz für die Religion.
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Orianne
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Es geht den Leuten in Russland darum, dass nach 1950 die Wirtschaftslage sich ein wenig entspannte, und es den Leuten wesentlich besser ging als je zuvor. Deshalb erinnern sie sich gerne an Stalin zurück und vergessen dabei den Terror.

Nach Ansicht des Historikers Eric Hobsbawm war die Sowjetunion in den Nachkriegsjahren nicht expansionistisch und hat auch keine Ausweitung des kommunistischen Machtbereichs angestrebt, der über jenen hinausging, welcher ihrer Meinung nach während der Gipfeltreffen zwischen 1943 und 1945 vereinbart worden war.


Die USA wollten die von ihnen angenommenen Expansionsbestrebungen der Sowjetunion zunächst nur eindämmen (z.B. während der Irankrise 1946), gingen jedoch schon 1950 dazu über, Osteuropa unter westlichen Einfluss zu bringen.

Heute geht man davon aus, dass die angenommene Bedrohung durch die Gegenseite ein bedeutender Grund für die zunehmende Verhärtung und Ausweitung des Konflikts war. Falsche Wahrnehmungen der Gegenseite (z. B. Überschätzung der gegnerischen Strategie) produzierten falsche Entscheidungen.

Die neuere Forschung sieht eine verteilte Schuld der beiden Supermächte an der Entstehung des Kalten Krieges.
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Aneri

Orianne hat geschrieben:Es geht den Leuten in Russland darum, dass nach 1950 die Wirtschaftslage sich ein wenig entspannte, und es den Leuten wesentlich besser ging als je zuvor. Deshalb erinnern sie sich gerne an Stalin zurück und vergessen dabei den Terror.
Später ging doch noch besser... Warum sehnen sie nicht nach Chrustchov?..
Nach Ansicht des Historikers Eric Hobsbawm war die Sowjetunion in den Nachkriegsjahren nicht expansionistisch und hat auch keine Ausweitung des kommunistischen Machtbereichs angestrebt, der über jenen hinausging, welcher ihrer Meinung nach während der Gipfeltreffen zwischen 1943 und 1945 vereinbart worden war.

Expansion kann aus eine inneren Entwicklung ausgehen. Z.B. Wirtschaft wächst und braucht neue Märkte... Hier wird gezielt expandiert. Andere Art Expansion entsteht durch den Widerstand in einer Spannung. Lässt sich aus irgendwelchen Grund die Spannung nach, wird der Widerstand des Gegenüber nachgelassen, entlädt man den vorhandene Widerstandskraft in einer Expansion. So stellt man sich zwei Gegenstände, die an einander angelehnt sind. Nur dadurch sind sie in einem Gleichgewicht. Fällt ein runter, wird sein Gegenüber nach vorne fallen - also expandieren.

Die Spannung zwischen der Sowjet Union und der Westen war dieser Art. Es mag sein, dass für die Widerstand des Westen hintergründlich die Wirtschaft stand. Für die Sowjet Union könnte es nicht gelten, da gab es keinen Markt. Auch die "Proletarien alle Welt vereinigen sich" war nie der leitende Motiv in der Politik. Ich bin aufgewachsen in einer Gesellschaft in der das Westen war der Böse, der uns mit alle Knochen vertilgen will. Umso mehr wunderte ich mich später, wenn ich hier die alte Filme sah (auf den ihr aufgewachsen sind), in den der Sowjet Union als expansionsgetriebenes Monster dargestellt wurde. In dem sinne hat Hobsbawm das Recht: man wollte nicht expandieren, man wollte nur selbst (als ein System) überleben. Dadurch lies man den Widerstand auf wachsende Spannungen angleichen. .
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Orianne
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Das wundert mich auch, dass sich niemand an Chruschtschow erinnern will, es ist genau wie mit Gorbatschow, ihn möchten einige Leute in Russland immer noch gerne vor Gericht sehen.
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