von Sebastian Materne » 10.05.2011, 19:21
Barbarossa hat geschrieben:Tja - da gibt es z. Z. eben ein heftiges >Für und Wider<. Ein durchaus einleuchtendes Argument, daß ich heute gehört habe, war ja, daß selbst die NS-Kriegsverbrecher ein Gerichtsverfahren bekommen haben und die haben nachweislich etliche Menschen mehr auf dem Gewissen gehabt.
Dieses Argument finde ich persönlich konstruiert und die Fälle überhaupt nicht vergleichbar. Zunächst einmal haben ja nicht alle NS-Kriegsverbrecher einen solchen Prozess erhalten, weil sie sich dem selbst entzogen haben. Und ob die einrückende rote Armee einen Hitler entspannt festgenommen und zu einem Prozess geführt hätte, darf zumindest angezweifelt werden. Entscheidender finde ich aber: Die Prozesse gegen die NS-Führung, so sie denn vor Gericht stand, waren das Urteil über einen besiegten vorwiegend militärischen Gegner. Das verhält sich bei Osama Bin Laden aus mindestens zwei Perspektiven heraus vollkommen anders: Der Gegner ist mit seiner Ergreifung oder Liquidierung nicht besiegt und er ist kein klassischer militärischer Gegner, sondern ein - wenn man so will - asymmetrischer. Ein Prozess gegen den Anführer eines solchen Gegners könnte gravierend andere Folgen haben, als gegen einen Gegner, den man nachweislich militärisch besiegt hat.
Nichtsdestoweniger: Ein Prozess hätte theoretisch (!) die Überlegenheit des demokratischen Rechtsstaates demonstrieren können. Aber eben nur theoretisch. Nach meiner Meinung wäre man in der Praxis aber an logische Grenzen gestoßen, die mit einer banalen Frage nach dem Ort eines möglichen Gerichtsverfahrens beginnen. Mag man noch anfügen, dass das keine Rolle spielen darf (wobei das Geschrei sicherlich groß gewesen wäre, wenn man sich beispielsweise für Guantanamo entschieden hätte), sind doch andere Fragen nicht so leicht von der Hand zu weisen. Die mögliche Freipressung durch Bin Laden-Kumpane im großen Stil ist dabei nur die offensichtlichste. Aber auch die Tatsache, dass man Bin Laden abermals eine Bühne geboten hätte spielt darein. Das ändert wiederum nichts an der Tatsache, dass ein Prozess theoretisch die bessere Wahl gewesen wäre.
Aber ich möchte noch Einiges zu bedenken geben. Für mich wird die Frage "War Bin Laden nun bewaffnet, lag eine Waffe in Reichweite oder war er nicht vielleicht doch auf seine alten Tage auf dem pazifistischen Selbstfindungstrip" ein wenig zu sehr betont. Ich habe den Eindruck, dass viele deutsche Berichterstatter (die bekanntermaßen ja ohnehin und überall immer alles wissen) sich das wie eine Festnahme im Sonntag-Abend Tatort vorstellen. Unpassende Fragen stören dabei nur, wie Gregor Peter Schmitz
für den Spiegel richtig schreibt: "Details stören dabei nur: Dass sich Waffen in Bin Ladens Versteck befanden und geschossen worden ist. Dass sich die Soldaten in keiner Phase sicher sein konnten, ob sie in eine Selbstmordfalle rennen, ob hinter der nächsten Tür eine Sprengfalle lauert. Dass der Plan für Bin Ladens Festnahme im tiefsten Pakistan bis zur letzten Minute eine Rechnung mit vielen Unbekannten war, dass die Jagd nach ihm schon oft spektakulär gescheitert war. Auch dass Bin Laden, der nun angeblich keine Chance erhielt sich zu ergeben, dafür fast zehn Jahre Zeit hatte."
Ich sehe in der Tötung eines Massenmörders zudem auch eher keine völkerrechtliche Problematik und schließe mich der Autorin Caroline Fetscher an, auch wenn ich ihre Argumentation nicht immer teile, die
in der Zeit formuliert: "Dass Amerikas Todfeind nun durch die Hand des Landes seiner Opfer selber den Tod fand, lässt sich als das ausgeübte Widerstandsrecht der Attackierten auslegen." Zudem verweist der Politologe Herfried Münkler darauf, dass auch Demokratien töten dürfen: "Diese Herrschaft [die Demokratie, Anm. des Verfassers] darf entschlossen sein, selbstverständlich das Leben der eigenen Bürger schützen und dazu bereit sein, das Leben ihrer Feinde zu nehmen."
Die Jubelbilder aus den USA mögen befremdlich sein, aber nur auf den ersten Blick und auch nur für dienjenigen, die sich nie weiter als bis zum nächste Klischee mit den USA auseinandersetzen. Insbesondere junge Menschen waren es, die noch in der Nacht losgezogen sind, um zu jubeln. Ich behaupte, sie hätten es genauso getan, wenn man Bin Laden verhaftet hätte und das es absolut nichts mit Blutrünstigkeit zu tun hat. Die Generation der jetztigen Mitzwanziger ist unter den Eindrücken von 9/11 aufgewachsen, sie ist in einem Amerika groß geworden, dass seit der Kommunisterverfolg der McCarthy-Ära nicht mehr so misstrauisch und seit den Angriffen von Pearl Harbor nicht mehr so erschrocken war. Für diese jungen Menschen, von denen ich eine ganze Reihe persönlich kenne, war Bin Laden die Personifikation des Bösen schlechthin, wie eine Figur aus Märchen oder wie einer der geschichtlichen "Bösewichte" á la Hitler.
Aber im Gegensatz zu Hitler oder den Japaner im Zweiten Weltkrieg, hat man Bin Laden lange nicht stellen können. Man wusste nicht, wo er ist, was er plant, wie stark er wirklich ist. Ihm ist es gelungen, was vorher niemand wirklich geschafft hat: Er hat die ganze Nation in Angst gebunden (oftmals allerdings auch bestärkt durch nationale Politiker, wenn das deren Anliegen nutzte) und sie nicht mehr zu Ruhe kommen lassen. Ich habe vergangenes Jahr eine Gedenkveranstaltung zu 9/11 besuchen können und am eigenen Leib erfahren, wie sehr es auch diejenigen Amerikaner beschäftigt und getroffen hat, die keine persönlichen Opfer zu beklagen hatten. Ihre Trauer, ihre Verletzung und schließlich auch ihre Wut und Angst waren greifbar. Für eine Generation, auch für mich, war es das prägende Ereignis schlechthin. Mit dem Tod Bin Ladens hat dies alles nicht auf einmal ein Ende, das ist auch den meisten Amerikanern klar. Aber die Person, mit der alles verbunden wird, die ist nicht mehr.
Und wer ihnen Naivität vorwirft ("Die Amis glauben ja ohnehin, jetzt hätten sie gewonnen"), der sei an seine deutschen Politiker erinnert, von denen manch einem auch keine bessere Reaktion einfällt, als den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan zu fordern, denn für die Anwesenheit dort gebe es ja jetzt keinen Grund mehr. Nicht wahr, Herr Ströbele?
Ich ganz persönlich bleibe dabei: Die Nachricht von Osama Bin Ladens Tod ist eine gute, wie die genauen Umstände, die wir vermutlich nie vollständig erfahren werden, auch sein mögen. Und ganz undiplomatisch halte ich es mit Barack Obama, der sagte: "Jeder, der bezweifelt, dass der Verursacher von Massenmord auf amerikanischem Boden nicht bekommen hat, was er verdiente, der sollte sich das Hirn untersuchen lassen."
rfon hat geschrieben:er kurze Prozess war ebenfalls gut, nru wieso wurden diese islamischen Bestattungsregeln (innerhalb von 24h) so penibel eingehalten? Er hat doch die Kultur und Religion der westlichen Welt (also vor allem das Christentum) mit Füßen getreten...
Ich denke, dass wurde schlicht gesagt, um nicht noch mehr Sand in der muslimischen Welt aufzuwirblen. Denn mit islamischen Bestattungsregeln ist eine Seebestattung nur im akkuten Notfall (wenn der Körper also nicht binnen 24 Stunden an Land geschafft werden kann), der wohl eher nicht vorlag, erlaubt. Das beginnt schon damit, dass der Körper eines Moslem nach Mekka ausgerichtet sein sollte. Eine Landbestattung kann aber für niemanden ernsthaft in Frage gekommen sein - wer will schon ein Mekka für Terroristen? Insofern halte ich das schlicht für Beschwichtigungstaktik.
[quote="Barbarossa"]Tja - da gibt es z. Z. eben ein heftiges >Für und Wider<. Ein durchaus einleuchtendes Argument, daß ich heute gehört habe, war ja, daß selbst die NS-Kriegsverbrecher ein Gerichtsverfahren bekommen haben und die haben nachweislich etliche Menschen mehr auf dem Gewissen gehabt.[/quote]
Dieses Argument finde ich persönlich konstruiert und die Fälle überhaupt nicht vergleichbar. Zunächst einmal haben ja nicht alle NS-Kriegsverbrecher einen solchen Prozess erhalten, weil sie sich dem selbst entzogen haben. Und ob die einrückende rote Armee einen Hitler entspannt festgenommen und zu einem Prozess geführt hätte, darf zumindest angezweifelt werden. Entscheidender finde ich aber: Die Prozesse gegen die NS-Führung, so sie denn vor Gericht stand, waren das Urteil über einen besiegten vorwiegend militärischen Gegner. Das verhält sich bei Osama Bin Laden aus mindestens zwei Perspektiven heraus vollkommen anders: Der Gegner ist mit seiner Ergreifung oder Liquidierung nicht besiegt und er ist kein klassischer militärischer Gegner, sondern ein - wenn man so will - asymmetrischer. Ein Prozess gegen den Anführer eines solchen Gegners könnte gravierend andere Folgen haben, als gegen einen Gegner, den man nachweislich militärisch besiegt hat.
Nichtsdestoweniger: Ein Prozess hätte theoretisch (!) die Überlegenheit des demokratischen Rechtsstaates demonstrieren können. Aber eben nur theoretisch. Nach meiner Meinung wäre man in der Praxis aber an logische Grenzen gestoßen, die mit einer banalen Frage nach dem Ort eines möglichen Gerichtsverfahrens beginnen. Mag man noch anfügen, dass das keine Rolle spielen darf (wobei das Geschrei sicherlich groß gewesen wäre, wenn man sich beispielsweise für Guantanamo entschieden hätte), sind doch andere Fragen nicht so leicht von der Hand zu weisen. Die mögliche Freipressung durch Bin Laden-Kumpane im großen Stil ist dabei nur die offensichtlichste. Aber auch die Tatsache, dass man Bin Laden abermals eine Bühne geboten hätte spielt darein. Das ändert wiederum nichts an der Tatsache, dass ein Prozess theoretisch die bessere Wahl gewesen wäre.
Aber ich möchte noch Einiges zu bedenken geben. Für mich wird die Frage "War Bin Laden nun bewaffnet, lag eine Waffe in Reichweite oder war er nicht vielleicht doch auf seine alten Tage auf dem pazifistischen Selbstfindungstrip" ein wenig zu sehr betont. Ich habe den Eindruck, dass viele deutsche Berichterstatter (die bekanntermaßen ja ohnehin und überall immer alles wissen) sich das wie eine Festnahme im Sonntag-Abend Tatort vorstellen. Unpassende Fragen stören dabei nur, wie Gregor Peter Schmitz [url=http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,761407,00.html]für den Spiegel[/url] richtig schreibt: "Details stören dabei nur: Dass sich Waffen in Bin Ladens Versteck befanden und geschossen worden ist. Dass sich die Soldaten in keiner Phase sicher sein konnten, ob sie in eine Selbstmordfalle rennen, ob hinter der nächsten Tür eine Sprengfalle lauert. Dass der Plan für Bin Ladens Festnahme im tiefsten Pakistan bis zur letzten Minute eine Rechnung mit vielen Unbekannten war, dass die Jagd nach ihm schon oft spektakulär gescheitert war. Auch dass Bin Laden, der nun angeblich keine Chance erhielt sich zu ergeben, dafür fast zehn Jahre Zeit hatte."
Ich sehe in der Tötung eines Massenmörders zudem auch eher keine völkerrechtliche Problematik und schließe mich der Autorin Caroline Fetscher an, auch wenn ich ihre Argumentation nicht immer teile, die [url=http://www.zeit.de/politik/ausland/2011-05/osama-obama-strafjustiz]in der Zeit[/url] formuliert: "Dass Amerikas Todfeind nun durch die Hand des Landes seiner Opfer selber den Tod fand, lässt sich als das ausgeübte Widerstandsrecht der Attackierten auslegen." Zudem verweist der Politologe Herfried Münkler darauf, dass auch Demokratien töten dürfen: "Diese Herrschaft [die Demokratie, Anm. des Verfassers] darf entschlossen sein, selbstverständlich das Leben der eigenen Bürger schützen und dazu bereit sein, das Leben ihrer Feinde zu nehmen."
Die Jubelbilder aus den USA mögen befremdlich sein, aber nur auf den ersten Blick und auch nur für dienjenigen, die sich nie weiter als bis zum nächste Klischee mit den USA auseinandersetzen. Insbesondere junge Menschen waren es, die noch in der Nacht losgezogen sind, um zu jubeln. Ich behaupte, sie hätten es genauso getan, wenn man Bin Laden verhaftet hätte und das es absolut nichts mit Blutrünstigkeit zu tun hat. Die Generation der jetztigen Mitzwanziger ist unter den Eindrücken von 9/11 aufgewachsen, sie ist in einem Amerika groß geworden, dass seit der Kommunisterverfolg der McCarthy-Ära nicht mehr so misstrauisch und seit den Angriffen von Pearl Harbor nicht mehr so erschrocken war. Für diese jungen Menschen, von denen ich eine ganze Reihe persönlich kenne, war Bin Laden die Personifikation des Bösen schlechthin, wie eine Figur aus Märchen oder wie einer der geschichtlichen "Bösewichte" á la Hitler.
Aber im Gegensatz zu Hitler oder den Japaner im Zweiten Weltkrieg, hat man Bin Laden lange nicht stellen können. Man wusste nicht, wo er ist, was er plant, wie stark er wirklich ist. Ihm ist es gelungen, was vorher niemand wirklich geschafft hat: Er hat die ganze Nation in Angst gebunden (oftmals allerdings auch bestärkt durch nationale Politiker, wenn das deren Anliegen nutzte) und sie nicht mehr zu Ruhe kommen lassen. Ich habe vergangenes Jahr eine Gedenkveranstaltung zu 9/11 besuchen können und am eigenen Leib erfahren, wie sehr es auch diejenigen Amerikaner beschäftigt und getroffen hat, die keine persönlichen Opfer zu beklagen hatten. Ihre Trauer, ihre Verletzung und schließlich auch ihre Wut und Angst waren greifbar. Für eine Generation, auch für mich, war es das prägende Ereignis schlechthin. Mit dem Tod Bin Ladens hat dies alles nicht auf einmal ein Ende, das ist auch den meisten Amerikanern klar. Aber die Person, mit der alles verbunden wird, die ist nicht mehr.
Und wer ihnen Naivität vorwirft ("Die Amis glauben ja ohnehin, jetzt hätten sie gewonnen"), der sei an seine deutschen Politiker erinnert, von denen manch einem auch keine bessere Reaktion einfällt, als den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan zu fordern, denn für die Anwesenheit dort gebe es ja jetzt keinen Grund mehr. Nicht wahr, Herr Ströbele?
Ich ganz persönlich bleibe dabei: Die Nachricht von Osama Bin Ladens Tod ist eine gute, wie die genauen Umstände, die wir vermutlich nie vollständig erfahren werden, auch sein mögen. Und ganz undiplomatisch halte ich es mit Barack Obama, der sagte: "Jeder, der bezweifelt, dass der Verursacher von Massenmord auf amerikanischem Boden nicht bekommen hat, was er verdiente, der sollte sich das Hirn untersuchen lassen."
[quote="rfon"]er kurze Prozess war ebenfalls gut, nru wieso wurden diese islamischen Bestattungsregeln (innerhalb von 24h) so penibel eingehalten? Er hat doch die Kultur und Religion der westlichen Welt (also vor allem das Christentum) mit Füßen getreten...[/quote]
Ich denke, dass wurde schlicht gesagt, um nicht noch mehr Sand in der muslimischen Welt aufzuwirblen. Denn mit islamischen Bestattungsregeln ist eine Seebestattung nur im akkuten Notfall (wenn der Körper also nicht binnen 24 Stunden an Land geschafft werden kann), der wohl eher nicht vorlag, erlaubt. Das beginnt schon damit, dass der Körper eines Moslem nach Mekka ausgerichtet sein sollte. Eine Landbestattung kann aber für niemanden ernsthaft in Frage gekommen sein - wer will schon ein Mekka für Terroristen? Insofern halte ich das schlicht für Beschwichtigungstaktik.