von Barbarossa » 08.06.2023, 19:25
Balduin hat geschrieben: ↑04.06.2023, 11:33
Das neue Buch von Katja Hoyer
"Diesseits der Mauer" ist im Feuilleton in aller Munde. Der Autorin wird eine Verharmlosung der DDR vorgeworfen, indem die Geschichte der DDR aus der Sicht des
"Durchschnittbürgers" beschrieben wird, der ein recht normales Leben führen konnte.
Aus der Verlagsbeschreibung des Buchs:
Die Geschichtsschreibung der DDR wird bis heute vom westlichen Blick dominiert. Mit dem Fokus auf die Verfehlungen der Diktatur wird dabei oft übersehen, dass die meisten der 16 Millionen Einwohner der DDR ein relativ friedliches Leben mit alltäglichen Problemen, Freuden und Sorgen. Die Mauer schränkte die Freiheit ein, aber andere gesellschaftliche Schranken waren gefallen.
Was ist eure Meinung dazu? Manche unserer Mitglieder haben ja nicht wenige Jahre ihres Lebens in der DDR verbracht. Stimmt die These, die der Verlag hier darlegt?
Ich wurde übrigens nicht befragt.
Aber zur Frage:
Es ist nicht so ganz leicht zu beantworten. Aber schon, wenn ich lese: ,,Die Mauer schränkte die Freiheit ein...'' Dann ist das ja nur ein Teil der Wahrheit. Tatsächlich war es der Staat bzw. das SED-Regime an sich, welche alle möglichen Freiheiten einschränkten. Es war ja nicht nur die Mauer, die die Reisefreiheit bzw. die persönliche Freizügigkeit einschränkte. Darüber hinaus gab es auch keine politischen Freiheiten, wie freie Wahlen und keine Meinungsfreiheit, keine unabhängige Presse und Justiz.
Zur fehlenden Meinungsfreiheit wäre (zumindest für die 80er Jahre) zu sagen, dass manch jemand durchaus den Mund aufgemacht hat und seine Meinung zu vielen Dingen sagte. Auf den Staat geschimpft wurde überhaupt viel, aber grundsätzliche Dinge durften eben nicht infrage gestellt werden und man musste auch immer darauf achten, mit wem man sprach.
Richtig ist, dass Frauen in der DDR mehr Rechte hatten. Dass Frauen ohne Einverständnis des Mannes kein Bankkonto eröffnen durften oder keine Arbeitsstelle annehmen duften - das gab es in der DDR nicht. Das kam uns im Osten tatsächlich äußerst antiquiert vor, wenn wir davon hörten. Aber das war im Westen auch nur bis in die 70er Jahre so.
Auch sonst wurde auch in der DDR von den allermeisten Menschen natürlich ein unter den gegebenen Bedingungen normales privates Leben geführt. Klar.
Zur Stasi will ich mal folgendes sagen:
Gerade etwa in Spielfilmen oder auch Dokumentationen wird sehr stark auf die Stasi fokussiert. Im realen Leben normaler Bürger spielte sie aber gar keine Rolle. Es ist ja so, dass die Stasi als Geheimdienst auch im Geheimen operierte. Ob und wann und vor allem von wem man bespitzelt wurde, bekam kaum jemand mit. Die meisten erfuhren das erst nach der Wende, als sie in die Stasiunterlagen Einsicht nahmen. Für viele Betroffene brach dann oft erst eine Welt zusammen, z. B. wenn sie erfuhren, dass nahe Verwandte oder enge Freunde die Spitzel waren.
Andererseits kam es vor, dass die Stasi ganze Familien zerstörte, wenn sie als politisch zu unbequem angesehen wurden und Kinder ihren Eltern weggenommen und zur Zwangsadoption weggegeben. Für Eltern wie Kinder wohl die größtmögliche Barbarei.
Die aus meiner Sicht größte Verharmlosung (die mich besonders ärgert) findet bei Personen der kommunistischen Bewegung statt. Noch immer tragen Straßen, Plätze usw. die Namen von Kommunisten, wie Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Ernst Thälmann usw., aber auch von Karl Marx und Friedrich Engels. Das suggeriert, dass diese Personen in irgendeiner Weise ehrenswert seien. Aber sowohl die Erschaffer des Kommunistischen Manifests, als auch diejenigen, die diese Ideologie dann in die Praxis umzusetzen versuchten, sind nicht zu ehren, sondern sehr kritisch zu betrachten. Das gilt selbst dann, wenn sie sog. Antifaschisten waren. Was nützt aber der Antifaschismus dieser Personen, wenn sie keine Demokraten waren und auch selbst ein diktatorisches System durchzusetzen versuchten?
Meine Antwort auf die Fragestellung dieses Themas wäre:
Nicht so sehr die DDR und die SED-Diktatur wird in den Medien und von den meisten Menschen verharmlost (gibt allerdings auch welche, die auch das tun - Stichwort: ,,In der DDR war nicht alles schlecht''). Vielmehr wird sich sehr stark mit der Kritik an der kommunistischen Ideologie bzw. Bewegung und deren Protagonisten zurückgehalten. Das finde ich bedenklich.
[quote=Balduin post_id=74599 time=1685871181 user_id=2]
Das neue Buch von Katja Hoyer [url=https://hoffmann-und-campe.de/products/63884-diesseits-der-mauer]"Diesseits der Mauer"[/url] ist im Feuilleton in aller Munde. Der Autorin wird eine Verharmlosung der DDR vorgeworfen, indem die Geschichte der DDR aus der Sicht des [i]"Durchschnittbürgers"[/i] beschrieben wird, der ein recht normales Leben führen konnte.
Aus der Verlagsbeschreibung des Buchs:
[quote]Die Geschichtsschreibung der DDR wird bis heute vom westlichen Blick dominiert. Mit dem Fokus auf die Verfehlungen der Diktatur wird dabei oft übersehen, dass die meisten der 16 Millionen Einwohner der DDR ein relativ friedliches Leben mit alltäglichen Problemen, Freuden und Sorgen. Die Mauer schränkte die Freiheit ein, aber andere gesellschaftliche Schranken waren gefallen.[/quote]
Was ist eure Meinung dazu? Manche unserer Mitglieder haben ja nicht wenige Jahre ihres Lebens in der DDR verbracht. Stimmt die These, die der Verlag hier darlegt?
[/quote]
Ich wurde übrigens nicht befragt. ;-)
Aber zur Frage:
Es ist nicht so ganz leicht zu beantworten. Aber schon, wenn ich lese: ,,Die Mauer schränkte die Freiheit ein...'' Dann ist das ja nur ein Teil der Wahrheit. Tatsächlich war es der Staat bzw. das SED-Regime an sich, welche alle möglichen Freiheiten einschränkten. Es war ja nicht nur die Mauer, die die Reisefreiheit bzw. die persönliche Freizügigkeit einschränkte. Darüber hinaus gab es auch keine politischen Freiheiten, wie freie Wahlen und keine Meinungsfreiheit, keine unabhängige Presse und Justiz.
Zur fehlenden Meinungsfreiheit wäre (zumindest für die 80er Jahre) zu sagen, dass manch jemand durchaus den Mund aufgemacht hat und seine Meinung zu vielen Dingen sagte. Auf den Staat geschimpft wurde überhaupt viel, aber grundsätzliche Dinge durften eben nicht infrage gestellt werden und man musste auch immer darauf achten, mit wem man sprach.
Richtig ist, dass Frauen in der DDR mehr Rechte hatten. Dass Frauen ohne Einverständnis des Mannes kein Bankkonto eröffnen durften oder keine Arbeitsstelle annehmen duften - das gab es in der DDR nicht. Das kam uns im Osten tatsächlich äußerst antiquiert vor, wenn wir davon hörten. Aber das war im Westen auch nur bis in die 70er Jahre so.
Auch sonst wurde auch in der DDR von den allermeisten Menschen natürlich ein unter den gegebenen Bedingungen normales privates Leben geführt. Klar.
Zur Stasi will ich mal folgendes sagen:
Gerade etwa in Spielfilmen oder auch Dokumentationen wird sehr stark auf die Stasi fokussiert. Im realen Leben normaler Bürger spielte sie aber gar keine Rolle. Es ist ja so, dass die Stasi als Geheimdienst auch im Geheimen operierte. Ob und wann und vor allem von wem man bespitzelt wurde, bekam kaum jemand mit. Die meisten erfuhren das erst nach der Wende, als sie in die Stasiunterlagen Einsicht nahmen. Für viele Betroffene brach dann oft erst eine Welt zusammen, z. B. wenn sie erfuhren, dass nahe Verwandte oder enge Freunde die Spitzel waren.
Andererseits kam es vor, dass die Stasi ganze Familien zerstörte, wenn sie als politisch zu unbequem angesehen wurden und Kinder ihren Eltern weggenommen und zur Zwangsadoption weggegeben. Für Eltern wie Kinder wohl die größtmögliche Barbarei.
Die aus meiner Sicht größte Verharmlosung (die mich besonders ärgert) findet bei Personen der kommunistischen Bewegung statt. Noch immer tragen Straßen, Plätze usw. die Namen von Kommunisten, wie Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Ernst Thälmann usw., aber auch von Karl Marx und Friedrich Engels. Das suggeriert, dass diese Personen in irgendeiner Weise ehrenswert seien. Aber sowohl die Erschaffer des Kommunistischen Manifests, als auch diejenigen, die diese Ideologie dann in die Praxis umzusetzen versuchten, sind nicht zu ehren, sondern sehr kritisch zu betrachten. Das gilt selbst dann, wenn sie sog. Antifaschisten waren. Was nützt aber der Antifaschismus dieser Personen, wenn sie keine Demokraten waren und auch selbst ein diktatorisches System durchzusetzen versuchten?
Meine Antwort auf die Fragestellung dieses Themas wäre:
Nicht so sehr die DDR und die SED-Diktatur wird in den Medien und von den meisten Menschen verharmlost (gibt allerdings auch welche, die auch das tun - Stichwort: ,,In der DDR war nicht alles schlecht''). Vielmehr wird sich sehr stark mit der Kritik an der kommunistischen Ideologie bzw. Bewegung und deren Protagonisten zurückgehalten. Das finde ich bedenklich.