Balduin hat geschrieben: ↑06.01.2023, 18:20
Die Reichseinigung war für mich kein Tag zum Feiern - da eignen sich andere Ereignisse in Deutschlands Vergangenheit besser: Beispielsweise die Verabschiedung des Grundgesetzes, das unseren freiheitlichen demokratischen Staat definiert - das war von den Verfassungsvätern - und müttern eine immense Leistung.
Es ist ja übrigens nach wie vor umstritten, ob die kleindeutsche Lösung nicht besser für Deutschland gewesen wäre.
Zum Thema Preußen: In Brandenburg hat man da sicher einen anderen Bezug. Zumal, wenn man noch eine Vertriebenenhistorie hat.
Den preußischen Aspekt kann man sicherlich nicht aus der Geschichte tilgen. Es ist eben ein bewusster Umgang damit erforderlich. Letztlich ist es ja positiv zu werten, dass wir uns differenziert und kritisch mit unserer eigenen Geschichte beschäftigen (das ist in vielen Ländern anders).
Natürlich ist ein historisches Ereignis gerade von Historikern immer objektiv zu betrachten. Und immer gibt es negative wie positive Seiten. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Es ist natürlich richtig, dass wir es heute als wenig positiv ansehen, dass die Reichseinigung nach 3 Kriegen erfolgte.
--> Aber: Historische Ereignisse sind immer aus der jeweiligen Zeit heraus zu betrachten!
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Und da war es so: Die Einigung war ganz überwiegend in der deutschen Bevölkerung äußerst populär. Sie wurde spätestens seit der Revolution 1848/49 bereits gefordert - war demnach lange überfällig - und hätte nicht Bismarck diese Einigung herbeigeführt, dann wäre eigens zu diesem Zweck noch einmal eine Revolution (,,von unten'') notwendig gewesen. Diese wäre dann vermutlich auch nicht unblutig verlaufen.
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Als ein Paradebeispiel für die positiven Aspekte bismarckscher Politik wird ja immer die Sozialgesetzgebung angeführt. Aber das ist aus meiner Sicht längst nicht der einzige positive Aspekt der Reichseinigung:
Denn es war tatsächlich so, dass man nach 1871 von den ,,Gründerjahren'' spricht, in denen es einen gewaltigen wirtschaftlichen Aufschwung gab. Deutschland entwickelte sich danach überhaupt erst zu einer Industrienation. Ich gehe tatsächlich davon aus, dass wir heute wirtschaftlich nicht dort stünden, wo wir stehen, wenn es damals nicht diesen Entwicklungsschub gegeben hätte.
Also - ein Grund zum Feiern? Ich denke schon.
Die Reichseinigung war vielleicht keine Sternstunde der Demokratie - als das war sie auch nicht gedacht. Wobei man aber auch erwähnen sollte, dass selbst diesbezüglich das Kaiserreich für seine Zeit ein durchaus fortschrittliches Wahlrecht hatte - zwar nicht der preußische Landtag mit seinem 3-Klassen-Wahlrecht, aber ganz sicher der deutsche Reichstag. Das Wahlrecht zum Deutschen Reichstag stand zur gleichen Zeit hinter denen etwa von Großbritannien oder Frankreich in nichts nach.
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Fest steht, dass Bismarck ein für seine Zeit herausragender Politiker war. Offenbar hat er zum Zwecke der Reichseinigung keinen anderen Weg gesehen, als diese durch 3 Kriege in Folge zu erreichen.
Dass gerade das bismarcksche Kaiserreich oft madig gemacht wird, scheint mir ein sehr aggressiver linker Propagandatrick zu sein. Immerhin hat Bismarck neben den Sozialgesetzen auch die Sozialistengesetze erlassen. Das dürften ihm gerade Linksorientierte sicher nicht verzeihen. Da sollte man nicht darauf hereinfallen. Aber wohin ultralinke Politik führen kann, hat man dann im 20. Jh. bei den totalitären Diktaturen gesehen.
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Zur Frage: Was hat ein Bismarck-Zimmer im Auswärtigen Amt zu suchen?
Von den Räumlichkeiten her gesehen eigentlich nicht viel. Das Auswärtige Amt hat seinen Sitz im ,,Haus am Werdischen Markt'' - bis 1945 Sitz der Reichbank und in der DDR Sitz des Zentralkomitees der SED.
Der Sitz des Auswärtigen Amtes in der Kaiserzeit war in der Wilhelmstr. 75/76.
Vielleicht sollte man dort ein Museum o. ä. mit einem Bismarckzimmer einrichten.
Andererseits trägt immerhin das ,,Auswärtige Amt'' seinen Namen aus traditionellen Gründen (deswegen eben nicht ,,Außenministerium''), die noch aus der Kaiserzeit herrühren.
zum Nachlesen:
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Ausw%C3%A4rtiges_Amt