Ich habe mich kürzlich noch einmal mit Leo Trotzki beschäftigt, dem großen Gegner von Stalin, der ihn 1940 im mexikanischen Exil ermorden ließ. Seine Ideenwelt ist sehr komplex. Ich werde nur drei von ihnen kurz behandeln.
Die permanente Revolution
Die Marxisten gingen davon aus, das in den zurückgebliebenen Ländern, den Kolonien und Halbkolonien, die Entwicklung ähnlich verlaufen würde wie in Europa. Es würde dort eine bürgerliche Revolution geben mit Überwindung der feudalen Reste, das Land industrialisiert sich und zu einem späteren Zeitpunkt käme es dann zu einer proletarischen Revolution.
Das Problem war nur: Es gab dort kein revolutionäres Bürgertum. In Ländern wie China dominierte das Auslandskapital, es gab nur wenige einheimische Unternehmer und die waren eng verknüpft mit den Großgrundbesitzern. Die Arbeiterklasse war klein, aber hochkonzentriert in den Großbetrieben und den Küstenstädten. Sie stand einem Block aus ausländischen und inländischen Unternehmern und Großgrundbesitzern gegenüber. An eine bürgerliche Revolution war nicht zu denken.
Trotzkis Idee: Ähnlich wie in Russland müssen sich Arbeiterklasse und Bauern verbünden. Angesichts der desolaten Lage in diesen Ländern sei eine soziale Revolution sogar eher möglich als in den Metropolen. Doch eine solche Revolution würde nicht in einem bürgerlichen Stadium stehen bleiben, sie würde nicht nur die Grundbesitzer, sondern auch die Kapitalisten wegfegen. Eine solche Revolution ist permanent. Sie geht von einer bürgerlichen sofort in eine sozialistische Revolution über. So etwas passierte in Russland, später in China und anderen Ländern.
Dann gibt es aber ein Problem. Die Kommunisten herrschen über ein rückständiges Land, welches gar nicht die Voraussetzungen für den Sozialismus besitzt. Deshalb sei nach Trotzki der Sieg in einem solchen Land zwar möglich, nicht aber der Sozialismus. Für ihn gab es nur eine Strategie: Die Weltrevolution vorantreiben. Stalin hingegen setzte auf den Aufbau des Sozialismus in einem Land. Er hatte fortan nur geringes Interesse an der Ausbreitung der Revolution, wenn überhaupt, dann ohne Risiko und unter sowjetischer Kontrolle. Stalin besaß einen richtigen Instinkt. Die selbständige Machtübernahme von Kommunisten in Jugoslawien und China sah er als Bedrohung und nicht als Gewinn. Das sollte sich als richtig herausstellen.
Der Stalinismus
Die Entstehung des Stalinismus wirkte auf viele Marxisten irritierend und erklärungsbedürftig. Trotzki glaubte, dass es sich um ein vorübergehendes Phänomen handelt. Er verglich ihn mit dem Thermidor 1794 in Frankreich. Der leitete eine Entwicklung ein, die später zur Diktatur von Napoleon führte. Der Thermidor und der Bonapartismus sind aber keine Rückkehr zur absoluten Monarchie der Bourbonen, da die soziostrukturellen Grundlagen der Revolution und die Entmachtung der alten Eliten bestehen bleiben, wohl aber wird die Demokratie beseitigt. Es handelt sich hier um eine Konterrevolution in der Revolution.
Damit verglich er Stalin. Die Oktoberrevolution hat die alten Eliten vernichtet, doch unter dem Ansturm der inländischen Gegner, die mit Unterstützung des Auslands die Sowjetrepublik vernichten wollten, hat die Bürokratie, bestehend aus der Partei, Teilen der russischen Intelligenz und Resten des zaristischen Apparats sich zu einer Diktatur entwickelt. Es hätte sich ein Patt gebildet. Die Arbeiterräte wurden entmachtet, sie üben keine Kontrollen mehr aus. Weder die Arbeiter noch die alten Eliten herrschen, dieses Vakuum füllt jetzt die Bürokratie aus.
Sie kann sich halten, da die Sowjetgesellschaft in zahlreiche Gruppen zerfallen ist und die Bürokraten eine Art Schiedsrichterrolle spielen. Mit der Industrialisierung ab 1929 schafft die Bürokratie zwar die Grundlagen für den Sozialismus, aber in völlig verzerrter und widersprüchlicher Form. Um jeden Widerstand zu brechen, entwickelt sie ihre Diktatur immer weiter bis hin zu den gigantischen Verbrechen des Stalinismus. Trotzki hält die Bürokratie aber nicht für eine neue Klasse. Er hält sie für eine Übergangsform. Sie könnte zwar durch Konzentration aller Kräfte auf einige Großprojekte trotz immenser Verschwendung von Menschen und Material vorübergehend spektakuläre Wachstumsraten erzwingen, sei langfristig aber dem Kapitalismus im Wettkampf unterlegen. Er glaubt, dass es für die Sowjetunion nur zwei Möglichkeiten gibt: Eine neue Revolution der Arbeiter oder die Rückkehr zum Kapitalismus.
Der Faschismus
Das plötzliche Auftreten des Faschismus nach dem ersten Weltkrieg irritierte ebenfalls die Marxisten, denn mit einer reaktionären Massenbewegung hatte niemand gerechnet.
Trotzki glaubt seine Entstehung in Deutschland wie folgt erklären zu können: Er ist Ausdruck einer schweren Wirtschaftskrise, die alle bisherigen weit übertrifft. Üblicherweise ist der Parlamentarismus die beste Herrschaftsform im Kapitalismus, da sie zu geringsten Kosten einen Ausgleich der Interessen ermöglicht. In der Weltwirtschaftskrise versagen aber die üblichen Instrumente der Pazifizierung. Die Löhne müssen radikal gedenkt werden, die Sozialversicherungssysteme abgebaut, alle sozialen Errungenschaften stark reduziert werden. Es ist kein Platz mehr für Reformen. Doch angesichts der starken Arbeiterbewegung, den Gewerkschaften und der SPD und der KPD ist dies mit reinen Polizeistaatsmethoden nicht möglich, das zeigt das Scheitern von Papen und Brüning.
Das geht nur mit einer anderen Massenbewegung, die Millionen von Menschen mobilisiert und eine Diktatur aufbauen kann, die alle gesellschaftliche Bereiche bis hin zum einfachen Blockwart kontrolliert.
Diese Massenbewegung kann nur aus dem Kleinbürgertum kommen, immerhin 50% der deutschen Bevölkerung. Diese Bewegung entsteht zunächst autonom aus dem „wildgewordenen Teil“ des deklassierten Mittelstandes, ehemalige Offiziere und Frontsoldaten, die paramilitärische Bewegungen aufbauen und die Arbeiterschaft durch ständige Straßenkämpfe zermürben. Diese Bewegung verbindet einen diffusen Antikapitalismus mit Rassismus und entwirft scheinbar gesellschaftliche Perspektiven. Erst sehr spät wird sie von den alten Eliten als politische Kraft entdeckt und eingesetzt. Schließlich ermöglicht man ihnen den Weg zur Macht.
Einmal an der Regierung werden alle antikapitalistischen Forderungen beseitigt. Die Führer der faschistischen Bewegung verbünden sich mit den alten Eliten, bauen aber parallel zum Staatsapparat noch eigene Organisationen auf, um so ihre Anhänger zu belohnen. Trotzki erkennt schon 1933 sehr deutlich, dass Hitler, will er Deutschland wieder zur Weltmacht machen, über kurz oder lang einen neuen Krieg beginnen wird. Dieser sei auch im Interesse seiner neuen Gönner, den alten Eliten, die ähnliche Vorstellungen hatten.
„Die gewaltsame Zusammenfassung aller Kräfte und Mittel des Volkes im Interesse des Imperialismus – die wahre geschichtliche Sendung der faschistischen Diktatur – bedeutet die Vorbereitung des Krieges; diese Aufgabe duldet keinerlei Widerstand von innen und führt zur weiteren mechanischen Zusammenballung der Macht. Den Faschismus kann man weder reformieren noch zum Abtreten bewegen. Ihn kann man nur stürzen. Der politische Weg der Naziherrschaft führt zur Alternative Krieg oder Revolution.“
Trotzki, Porträt des Nationalsozialismus
https://www.marxists.org/deutsch/archiv ... natsoz.htm
Trotzki erkennt bereits sehr viel früher als andere die ungeheure Bedrohung, die vom Nationalsozialismus für Deutschland und den Rest der Welt ausgeht. Während die Komintern den Faschismus lediglich als Söldnertruppe des Großkapitals ansieht und nach 1933 mit seinem baldigen Sturz rechnet und die westlichen Politiker sich von Hitlers Friedensrhetorik einlullen lassen, gibt sich Trotzki keinen Illusionen hin.
Der Hitler – Stalin Pakt
Der Hitler – Stalin Pakt, das Vorspiel zum großen Krieg, löste große Verwirrungen aus. Trotzki hat die Beweggründe der beiden Diktatoren recht gut erkannt:
„Hitlers und Stalins Einstellung zum Krieg ist völlig gegensätzlich. Das totalitäre Regime Hitlers entstand aus der Furcht der herrschenden Klassen Deutschlands vor der sozialistischen Revolution. Hitler erhielt von den Kapitalisten den Auftrag, ihr Eigentum um jeden Preis vor der bolschewistischen Gefahr zu retten und ihnen einen Weg in die Weltarena zu öffnen. Das totalitäre Regime Stalins entstand aus der Furcht der neuen Kaste von Emporkömmlingen vor dem von ihr unterdrückten revolutionären Volk….
Krieg ist für beide gefährlich. Doch Hitler kann seine historische Mission nur auf diesem Weg erfüllen. Ein siegreicher Angriffskrieg gewährleistet die wirtschaftliche Zukunft des deutschen Kapitalismus und damit auch die nationalsozialistische Herrschaft.
Anders liegen die Dinge bei Stalin. Er kann einen Angriffskrieg nicht mit Aussicht auf Erfolg führen, und er braucht das auch nicht….
Während Stalin im Fernen Osten jahrelang Schritt um Schritt zurückgewichen ist, um Krieg zu vermeiden, sind an der westlichen Grenze die Verhältnisse so kompliziert, daß er einem Krieg nur durch die Flucht nach vorn entgehen konnte, d.h. nicht durch Aufgabe alter Positionen, sondern durch Eroberung neuer. Die Presse der Alliierten stellt die Sache so dar, als sei Hitler von Stalin abhängig, und unterstreicht die ungeheuren Gewinne, die Moskau auf Kosten Deutschlands gemacht hat: die Hälfte Polens (der Bevölkerung nach nur ein Drittel) plus die Kontrolle über die Ostküste der Ostsee plus ein offenes Tor zum Balkan usw. Der Gewinn, den Moskau gemacht hat, ist zweifellos bedeutend. Doch die Schlußbilanz ist noch offen. Hitler hat einen Weltkrieg angezettelt. Aus diesem Krieg wird Deutschland entweder als Herr über Europa und alle europäischen Kolonien hervorgehen, oder es wird zerschlagen. Die Sicherung seiner Ostflanke ist für Hitler in diesem Krieg eine Frage von Leben und Tod. Er hat den Kreml dafür mit Teilen des ehemaligen Zarenreiches bezahlt. [10] Ist dieser Preis zu hoch?
Die Behauptung, Stalin habe Hitler übertölpelt, als er in Polen einmarschierte und Besitz vom Baltikum ergriff, ist völliger Unsinn. Es ist viel wahrscheinlicher, daß Hitler selbst Stalin auf den Gedanken brachte, sich Ostpolens zu bemächtigen und die baltischen Staaten zu besetzen. Da der Nationalsozialismus durch Propagierung des Kriegs gegen die Sowjetunion stark geworden ist, konnte Stalin verständlicherweise dem Ehrenwort Hitlers nicht trauen. Die Verhandlungen wurden „sachlich“ geführt. „Du fürchtest Dich vor mir?“ fragte Hitler Stalin, „Du willst Garantien? Nimm sie Dir selbst.“ Und Stalin griff zu.“
Leo Trotzki
Das Zwillingsgestirn Hitler-Stalin
https://www.marxists.org/deutsch/archiv ... illing.htm
Viele Entwicklungen hat Trotzki recht gut erkannt, andere Analysen von ihm, die ich hier nicht erwähnte, sind nicht so gelungen. In der Zeit als er das Sagen hatte, erwies er sich aber auch als skrupelloser Machtpolitiker. Das wird auch nicht besser dadurch, dass er einige seiner politischen Fehler im Exil bereute.
Ich habe mich kürzlich noch einmal mit Leo Trotzki beschäftigt, dem großen Gegner von Stalin, der ihn 1940 im mexikanischen Exil ermorden ließ. Seine Ideenwelt ist sehr komplex. Ich werde nur drei von ihnen kurz behandeln.
[b]Die permanente Revolution[/b]
Die Marxisten gingen davon aus, das in den zurückgebliebenen Ländern, den Kolonien und Halbkolonien, die Entwicklung ähnlich verlaufen würde wie in Europa. Es würde dort eine bürgerliche Revolution geben mit Überwindung der feudalen Reste, das Land industrialisiert sich und zu einem späteren Zeitpunkt käme es dann zu einer proletarischen Revolution.
Das Problem war nur: Es gab dort kein revolutionäres Bürgertum. In Ländern wie China dominierte das Auslandskapital, es gab nur wenige einheimische Unternehmer und die waren eng verknüpft mit den Großgrundbesitzern. Die Arbeiterklasse war klein, aber hochkonzentriert in den Großbetrieben und den Küstenstädten. Sie stand einem Block aus ausländischen und inländischen Unternehmern und Großgrundbesitzern gegenüber. An eine bürgerliche Revolution war nicht zu denken.
Trotzkis Idee: Ähnlich wie in Russland müssen sich Arbeiterklasse und Bauern verbünden. Angesichts der desolaten Lage in diesen Ländern sei eine soziale Revolution sogar eher möglich als in den Metropolen. Doch eine solche Revolution würde nicht in einem bürgerlichen Stadium stehen bleiben, sie würde nicht nur die Grundbesitzer, sondern auch die Kapitalisten wegfegen. Eine solche Revolution ist permanent. Sie geht von einer bürgerlichen sofort in eine sozialistische Revolution über. So etwas passierte in Russland, später in China und anderen Ländern.
Dann gibt es aber ein Problem. Die Kommunisten herrschen über ein rückständiges Land, welches gar nicht die Voraussetzungen für den Sozialismus besitzt. Deshalb sei nach Trotzki der Sieg in einem solchen Land zwar möglich, nicht aber der Sozialismus. Für ihn gab es nur eine Strategie: Die Weltrevolution vorantreiben. Stalin hingegen setzte auf den Aufbau des Sozialismus in einem Land. Er hatte fortan nur geringes Interesse an der Ausbreitung der Revolution, wenn überhaupt, dann ohne Risiko und unter sowjetischer Kontrolle. Stalin besaß einen richtigen Instinkt. Die selbständige Machtübernahme von Kommunisten in Jugoslawien und China sah er als Bedrohung und nicht als Gewinn. Das sollte sich als richtig herausstellen.
[b]Der Stalinismus[/b]
Die Entstehung des Stalinismus wirkte auf viele Marxisten irritierend und erklärungsbedürftig. Trotzki glaubte, dass es sich um ein vorübergehendes Phänomen handelt. Er verglich ihn mit dem Thermidor 1794 in Frankreich. Der leitete eine Entwicklung ein, die später zur Diktatur von Napoleon führte. Der Thermidor und der Bonapartismus sind aber keine Rückkehr zur absoluten Monarchie der Bourbonen, da die soziostrukturellen Grundlagen der Revolution und die Entmachtung der alten Eliten bestehen bleiben, wohl aber wird die Demokratie beseitigt. Es handelt sich hier um eine Konterrevolution in der Revolution.
Damit verglich er Stalin. Die Oktoberrevolution hat die alten Eliten vernichtet, doch unter dem Ansturm der inländischen Gegner, die mit Unterstützung des Auslands die Sowjetrepublik vernichten wollten, hat die Bürokratie, bestehend aus der Partei, Teilen der russischen Intelligenz und Resten des zaristischen Apparats sich zu einer Diktatur entwickelt. Es hätte sich ein Patt gebildet. Die Arbeiterräte wurden entmachtet, sie üben keine Kontrollen mehr aus. Weder die Arbeiter noch die alten Eliten herrschen, dieses Vakuum füllt jetzt die Bürokratie aus.
Sie kann sich halten, da die Sowjetgesellschaft in zahlreiche Gruppen zerfallen ist und die Bürokraten eine Art Schiedsrichterrolle spielen. Mit der Industrialisierung ab 1929 schafft die Bürokratie zwar die Grundlagen für den Sozialismus, aber in völlig verzerrter und widersprüchlicher Form. Um jeden Widerstand zu brechen, entwickelt sie ihre Diktatur immer weiter bis hin zu den gigantischen Verbrechen des Stalinismus. Trotzki hält die Bürokratie aber nicht für eine neue Klasse. Er hält sie für eine Übergangsform. Sie könnte zwar durch Konzentration aller Kräfte auf einige Großprojekte trotz immenser Verschwendung von Menschen und Material vorübergehend spektakuläre Wachstumsraten erzwingen, sei langfristig aber dem Kapitalismus im Wettkampf unterlegen. Er glaubt, dass es für die Sowjetunion nur zwei Möglichkeiten gibt: Eine neue Revolution der Arbeiter oder die Rückkehr zum Kapitalismus.
[b]
Der Faschismus[/b]
Das plötzliche Auftreten des Faschismus nach dem ersten Weltkrieg irritierte ebenfalls die Marxisten, denn mit einer reaktionären Massenbewegung hatte niemand gerechnet.
Trotzki glaubt seine Entstehung in Deutschland wie folgt erklären zu können: Er ist Ausdruck einer schweren Wirtschaftskrise, die alle bisherigen weit übertrifft. Üblicherweise ist der Parlamentarismus die beste Herrschaftsform im Kapitalismus, da sie zu geringsten Kosten einen Ausgleich der Interessen ermöglicht. In der Weltwirtschaftskrise versagen aber die üblichen Instrumente der Pazifizierung. Die Löhne müssen radikal gedenkt werden, die Sozialversicherungssysteme abgebaut, alle sozialen Errungenschaften stark reduziert werden. Es ist kein Platz mehr für Reformen. Doch angesichts der starken Arbeiterbewegung, den Gewerkschaften und der SPD und der KPD ist dies mit reinen Polizeistaatsmethoden nicht möglich, das zeigt das Scheitern von Papen und Brüning.
Das geht nur mit einer anderen Massenbewegung, die Millionen von Menschen mobilisiert und eine Diktatur aufbauen kann, die alle gesellschaftliche Bereiche bis hin zum einfachen Blockwart kontrolliert.
Diese Massenbewegung kann nur aus dem Kleinbürgertum kommen, immerhin 50% der deutschen Bevölkerung. Diese Bewegung entsteht zunächst autonom aus dem „wildgewordenen Teil“ des deklassierten Mittelstandes, ehemalige Offiziere und Frontsoldaten, die paramilitärische Bewegungen aufbauen und die Arbeiterschaft durch ständige Straßenkämpfe zermürben. Diese Bewegung verbindet einen diffusen Antikapitalismus mit Rassismus und entwirft scheinbar gesellschaftliche Perspektiven. Erst sehr spät wird sie von den alten Eliten als politische Kraft entdeckt und eingesetzt. Schließlich ermöglicht man ihnen den Weg zur Macht.
Einmal an der Regierung werden alle antikapitalistischen Forderungen beseitigt. Die Führer der faschistischen Bewegung verbünden sich mit den alten Eliten, bauen aber parallel zum Staatsapparat noch eigene Organisationen auf, um so ihre Anhänger zu belohnen. Trotzki erkennt schon 1933 sehr deutlich, dass Hitler, will er Deutschland wieder zur Weltmacht machen, über kurz oder lang einen neuen Krieg beginnen wird. Dieser sei auch im Interesse seiner neuen Gönner, den alten Eliten, die ähnliche Vorstellungen hatten.
„Die gewaltsame Zusammenfassung aller Kräfte und Mittel des Volkes im Interesse des Imperialismus – die wahre geschichtliche Sendung der faschistischen Diktatur – bedeutet die Vorbereitung des Krieges; diese Aufgabe duldet keinerlei Widerstand von innen und führt zur weiteren mechanischen Zusammenballung der Macht. Den Faschismus kann man weder reformieren noch zum Abtreten bewegen. Ihn kann man nur stürzen. Der politische Weg der Naziherrschaft führt zur Alternative Krieg oder Revolution.“
[i]Trotzki, Porträt des Nationalsozialismus [/i]
https://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1933/06/natsoz.htm
Trotzki erkennt bereits sehr viel früher als andere die ungeheure Bedrohung, die vom Nationalsozialismus für Deutschland und den Rest der Welt ausgeht. Während die Komintern den Faschismus lediglich als Söldnertruppe des Großkapitals ansieht und nach 1933 mit seinem baldigen Sturz rechnet und die westlichen Politiker sich von Hitlers Friedensrhetorik einlullen lassen, gibt sich Trotzki keinen Illusionen hin.
[b]Der Hitler – Stalin Pakt[/b]
Der Hitler – Stalin Pakt, das Vorspiel zum großen Krieg, löste große Verwirrungen aus. Trotzki hat die Beweggründe der beiden Diktatoren recht gut erkannt:
„Hitlers und Stalins Einstellung zum Krieg ist völlig gegensätzlich. Das totalitäre Regime Hitlers entstand aus der Furcht der herrschenden Klassen Deutschlands vor der sozialistischen Revolution. Hitler erhielt von den Kapitalisten den Auftrag, ihr Eigentum um jeden Preis vor der bolschewistischen Gefahr zu retten und ihnen einen Weg in die Weltarena zu öffnen. Das totalitäre Regime Stalins entstand aus der Furcht der neuen Kaste von Emporkömmlingen vor dem von ihr unterdrückten revolutionären Volk….
Krieg ist für beide gefährlich. Doch Hitler kann seine historische Mission nur auf diesem Weg erfüllen. Ein siegreicher Angriffskrieg gewährleistet die wirtschaftliche Zukunft des deutschen Kapitalismus und damit auch die nationalsozialistische Herrschaft.
Anders liegen die Dinge bei Stalin. Er kann einen Angriffskrieg nicht mit Aussicht auf Erfolg führen, und er braucht das auch nicht….
Während Stalin im Fernen Osten jahrelang Schritt um Schritt zurückgewichen ist, um Krieg zu vermeiden, sind an der westlichen Grenze die Verhältnisse so kompliziert, daß er einem Krieg nur durch die Flucht nach vorn entgehen konnte, d.h. nicht durch Aufgabe alter Positionen, sondern durch Eroberung neuer. Die Presse der Alliierten stellt die Sache so dar, als sei Hitler von Stalin abhängig, und unterstreicht die ungeheuren Gewinne, die Moskau auf Kosten Deutschlands gemacht hat: die Hälfte Polens (der Bevölkerung nach nur ein Drittel) plus die Kontrolle über die Ostküste der Ostsee plus ein offenes Tor zum Balkan usw. Der Gewinn, den Moskau gemacht hat, ist zweifellos bedeutend. Doch die Schlußbilanz ist noch offen. Hitler hat einen Weltkrieg angezettelt. Aus diesem Krieg wird Deutschland entweder als Herr über Europa und alle europäischen Kolonien hervorgehen, oder es wird zerschlagen. Die Sicherung seiner Ostflanke ist für Hitler in diesem Krieg eine Frage von Leben und Tod. Er hat den Kreml dafür mit Teilen des ehemaligen Zarenreiches bezahlt. [10] Ist dieser Preis zu hoch?
Die Behauptung, Stalin habe Hitler übertölpelt, als er in Polen einmarschierte und Besitz vom Baltikum ergriff, ist völliger Unsinn. Es ist viel wahrscheinlicher, daß Hitler selbst Stalin auf den Gedanken brachte, sich Ostpolens zu bemächtigen und die baltischen Staaten zu besetzen. Da der Nationalsozialismus durch Propagierung des Kriegs gegen die Sowjetunion stark geworden ist, konnte Stalin verständlicherweise dem Ehrenwort Hitlers nicht trauen. Die Verhandlungen wurden „sachlich“ geführt. „Du fürchtest Dich vor mir?“ fragte Hitler Stalin, „Du willst Garantien? Nimm sie Dir selbst.“ Und Stalin griff zu.“
[i]Leo Trotzki
Das Zwillingsgestirn Hitler-Stalin[/i]
https://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1939/12/zwilling.htm
Viele Entwicklungen hat Trotzki recht gut erkannt, andere Analysen von ihm, die ich hier nicht erwähnte, sind nicht so gelungen. In der Zeit als er das Sagen hatte, erwies er sich aber auch als skrupelloser Machtpolitiker. Das wird auch nicht besser dadurch, dass er einige seiner politischen Fehler im Exil bereute.