Leben nach Kriegsende in Deutschland im Sommer 1945

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Re: Leben nach Kriegsende in Deutschland im Sommer 1945

von Gontscharow » 23.09.2014, 12:32

@Lia : Ich kann deine Beobachtung hinsichtlich deiner Nichten und Neffen bestätigen.
Ich habe diese Erfahrung auch schon oft gemacht, in der eigenen Familie und mit
Jugendlichen allgemein:
Für sie sind die Geschehnisse der II: Weltkriegs Geschichte so wie für uns Napoleon Geschichte ist
----so ist halt der Lauf der Zeit.
Meine Eltern waren Kinder/Jugendliche im Krieg, väterlicherseits bei den Nazis, mütterlicherseits
bei den Bolschewisten. Diese Menschen sind so gut wie alle traumatisiert worden und SIE
waren es ja, die uns aufgezogen haben. Das haben wir als Kinder natürlich gemerkt, auch wenn wir es
erst heute als Erwachsene benennen können.
Deshalb ist für uns der Krieg und die Diktaturen näher als für jemanden, der 1980 ff. geboren wurde,
weil dessen Eltern i,d.R. schon zur Nachkriegsgeneration gehörten und diese Traumata nicht mehr weitergegeben haben,
was auch gut ist.

Re: Leben nach Kriegsende in Deutschland im Sommer 1945

von Lia » 23.09.2014, 12:16

Zwar Nachkriegs-Wirtschaftswunderkind, sind mir die Geschehnisse und Nachwirkungen des 3. Reiches, vielleicht auch- durch Oma- die Zeiten von WK 1 bis dahin vertrauter als meinen Neffen und Nichten. Wir kannten sie noch, die Kriegsversehrten, die ehemaligen Konzentrationslager-Häftlinge, die trotz ausreichender Versorgung die Mülltonnen wie unter Zwang nach noch Essbaren durchsuchten, wir kannten sie, die Bombenlücken, Trümmergrundstücke, sogar die letzten Nissenhütten und Barackenlager. Die Erzählungen von der Flucht, aus den russischen Gefangenenlagern, von Angehörigen, die auf der Wilhelm Gustloff, der Steuben, der Goya und anderer versenkter Flüchtlings- (und Truppentransporter) den vermeintlichen Rettungsweg angetreten hatten.
Die massenhafte materielle wie psychisch moralische Entwurzelung der Deutschen hat sicherlich ihre Ursachen in der Kriegstreiberei der Nazis und derer, die sie wählten, verehrten, ihnen folgten. Oder sich nicht wehrten, wehren konnten.
Schon während des Bombenkrieges hatte so ziemlich jeder ums eigene Überleben zu kämpfen, mehr als stille Gegenwehr gegen den Gröfaz und Flüsterwitze waren den meisten Menschen nicht gegeben.
Keineswegs darf man die Ursachen übersehen, leugnen, relativieren, verniedlichen. Doch ebenso wenig darf man als gerechten Ausgleich betrachten, was vielen unschuldigen, Frauen, Kindern, alten Menschen widerfuhr und am Ende der gesamten Nation.
Zwar verbietet sich in meinen Augen ( nicht nur hier) jeder Vergleich zum Holocaust, dessen Furchtbarkeit mit nichts zu vergleichen ist, aber das Grauen der Bombenangriffe, Feuerstürme, der Flucht, des Hungers der Deutschen abzutun, weil eben nicht so schlimm wie KZ, und am Ende auch verdient, ist auch nicht korrekt.
Traumata gab bei fast allen Menschen in den Jahrgängen, die beide Kriege oder nur den 2.WK und Nachkriegszeiten erlebt hatten, Traumata sehr unterschiedlicher Art auch.
So unterschiedlich wurden sie verarbeitet, verschwiegen, verdrängt. Oder verbalisiert.
Tja, und, so subjektiv, taten Männer dies- teilweise stellvertretend für die Frauen ganz anders als diese selbst.

Re: Leben nach Kriegsende in Deutschland im Sommer 1945

von Orianne » 22.09.2014, 19:12

Das kann ich verstehen Conzaliss, nicht jede Frau könnte über so etwas reden. Zum Glück hat sich Deine Befürchtung nicht bestätigt.

Re: Leben nach Kriegsende in Deutschland im Sommer 1945

von Lia » 22.09.2014, 17:34

Orianne hat geschrieben:Das tut mir leid Lia.

Es ist sehr viel, was Deine Familie durchmachen musste.
Lieb, Orianne, doch objektiv ging es ihnen noch Gold im Vergleich zu anderen, die alles verloren hatten, aus und Hof und Angehörige, die Heimat. Und so haben meine Eltern das trotz aller Unbill auch immer gesehen und beurteilt. Gab immer noch Menschen, die viel viel ärger dran waren sie und Frauen, die viel viel Schlimmeres auf der Flucht erlebt hatten als meine Mutter.
Die im Krieg Schlimmeres erlebt hatten als mein Vater, verwundet wurden, als Versehrte zurückkamen.
Orianne hat geschrieben: Kinder, Arbeit u.s.w. Jetzt wo die Leute alt sind, kommt das Verdrängte wieder zum Vorschein, viel hat er mit Leuten zu tun, die als Kinder an den Bombennächten litten, er hat z.B. eine Frau, sobald sie ein Flugzeug hört, geht sie unter den Tisch in Deckung und weint.
Solche Berichte schlagen doch auf den Magen.....
Dem könnte ich viele ähnliche Beispiele hinzufügen.
Der Umgang mit den Traumata der Kriegsgenerationen ist schwierig, vielleicht einen eigenen Thread wert.
Teilweise wurde den Deutschen, auch den vergewaltigten Frauen, von den nachkommenden Generationen unterstellt, sie vergäßen, was Deutsche woanders getan hätten, insofern, na ja, am Ende sei Vergewaltigung und Morden mit umso verständlicherem Vergewaltigung und Morden vergolten worden.
Manche haben-Männer wie Frauen- lange nie über das geredet, was sie erlebt und gesehen hatten. Man sprach über so etwas nicht, mal gar nicht als Frau.
( In Deutschland nicht, in Polen und der SU auch lange nicht, was individuelles Erleben betraf.)
Dass es immer ganz individuell verstanden und behandelt werden muss und nicht sozuagen als Teil der deutschen Kollektivschuld abgetan werden darf, war lange, zu lange, bei vielen Ton angebenden Kreisen verpönt.
Der Hinweis: "Aber die Deutschen haben ja auch, und darum...", der wahrlich, der ist an der Stelle total fehl am Platze.

Re: Leben nach Kriegsende in Deutschland im Sommer 1945

von Orianne » 21.09.2014, 16:39

Das tut mir leid Lia.

Es ist sehr viel, was Deine Familie durchmachen musste. Wenn ich die Texte von Euch lese, dann werde ich traurig, und ich kriege eine Wut auf Hitler, aber auch auf die Alliierten, was die mit all den Menschen angerichtet hatten.

Ich habe erst kürzlich über einen Psychiater einen Bericht gelesen, er wurde 1945 mit 4 Jahren zusammen mit seiner Mutter und seiner älteren Schwester vertrieben, nach Kriegsende. Er hatte traumatische Dinge erlebt von Vergewaltigung bis Mord, seine Schwester überlebte den Marsch nicht, sie verhungerte. So kamen Mutter und Sohn im Winter 1946 nahe Berlin zu ihren Verwandten. Der Sohn konnte Medizin studieren, wurde dann aber Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie mit eigener Praxis in Berlin. Heute behandelt er nur noch ausschliesslich Leute, die nach dem Krieg Traumas erlebten, er will solange Psychiater bleiben wie er kann, er sagt in dem Interview, auch er könne durch die Gespräche mit Patienten vergessen, denn es war so, dass der Mensch einfach wie eine Maschine nach dem Krieg funktionieren musste, Kinder, Arbeit u.s.w. Jetzt wo die Leute alt sind, kommt das Verdrängte wieder zum Vorschein, viel hat er mit Leuten zu tun, die als Kinder an den Bombennächten litten, er hat z.B. eine Frau, sobald sie ein Flugzeug hört, geht sie unter den Tisch in Deckung und weint.
Solche Berichte schlagen doch auf den Magen.....

Re: Leben nach Kriegsende in Deutschland im Sommer 1945

von Lia » 21.09.2014, 16:26

Gontscharow hat geschrieben:F.J. Antwerpes - als "lustiger" Regierungspräsident von Köln sicherlich einigen noch in Erinnerung -
hat einmal in einem Interview zum Thema Übergewicht sinngemäß gesagt, daß es in der Nachkriegszeit
kein Übergewicht gegeben hätte, schlicht und einfach weil die Rationen der Lebensmittelkarten gerade so
lebenserhaltend waren.
Den habe ich sogar noch als NRW-Kind erlebt. :mrgreen:
Die Fresswelle nach der Hungerzeit war enorm, wenn ich die Bilder meiner Eltern aus jungen Jahren und aus der Nachkriegszeit sah, wollte ich das Kind nie glauben. Wobei meine Mutter lange schlank blieb, wenn sie später zulegte, so, weil sie ob böser Gelenkerkrankungen immobil wurde. ( Die wieder hatten ihre Ursachen teilweise in der Mangelernährung der Nachkriegsjahre.)
Vaddern hingegen: Wohlstandsplautze, wie alle Männer seiner Generation.
So nach der Logik, die ich auf dem Flughafen Düsseldorf Anfang der 60er hatte:
-" Da kommt das Flugzeug mit Vati!"
- Das kann gar nicht sein, der Vati ist viel zu dick, der passt da gar nicht rein!"
Glorios meine Großmutter, Jahrgang 1893:
Enkeltochter und Enkelsohn in der doppelten Schneekatastrophe der Jahre 1978/79 in Kiel. Nie hatte sie mich angerufen. Aber da, nachdem sie die TV-Bilder aus Kiel und S-H gesehen hatte. Einzige Sorge:
"Habt Ihr genug zu essen? Habt Ihr auch warme Unterwäsche?"
:mrgreen: Jau, hatten wir, nur den beiden mühsam zu Fuß zu erreichenden Stammkneipen waren Bier und Rotwein für Glühwein ausgegangen. :angel:
Das Trauma Hunger und Frieren hatten viele Menschen in den Generationen noch lange.
OT:
Orianne hat geschrieben:Ich kann das nachvollziehen mit Deinem Vater, natürlich war das Überleben an erster Stelle, schön ist, dass er diese Bücher noch lesen kann, ich weiss nicht, ob er noch lebt.
Nein, er ist 1982 mit 68 Jahren gestorben, sonst hätte er sich für Archäologie und Geschichte an der CAU als Gasthörer immatrikuliert. Ich denke, dass vieles, so die aktuelle Politik und die NS- Vergangenheitsbewältigung lange nachrangig waren. Überleben, den persönlichen Kummer verarbeiten, neu anfangen. Zumindest so lange, bis man sicheren Boden unter den Füßen hatte, blieb alles andere für viele Randerscheinung.
Dass auch dann wenig geschah, um sich der Wahrheit des gesamten Geschehens, welches ja die Ursache für die Katastrophe war, zu stellen, ist eine ganz andere Sache.

Re: Leben nach Kriegsende in Deutschland im Sommer 1945

von Gontscharow » 21.09.2014, 14:52

F.J. Antwerpes - als "lustiger" Regierungspräsident von Köln sicherlich einigen noch in Erinnerung -
hat einmal in einem Interview zum Thema Übergewicht sinngemäß gesagt, daß es in der Nachkriegszeit
kein Übergewicht gegeben hätte, schlicht und einfach weil die Rationen der Lebensmittelkarten gerade so
lebenserhaltend waren. Herr Antwerpes schien eine gewisse Sympathie für Lebensmittelkarten zu haben ;-)

Daß man sich als übersättigter Wohlstandsbürger nach dem Mangel fast schon sehnt oder findet, daß
es uns mal ganz gut täte, wieder so genügsam zu leben, finde ich verständlich und auch nicht zynisch.
Genügsamkeit ist allerdings nur dann positiv, wenn sie auf Freiwilligkeit beruht und man sich beispielsweise gesundheitsfördernde
Wirkungen davon verspricht.Oder eine Schonung der Umwelt / des eigenen Geldbeutels etc.
Ansonsten ist es schlicht und einfach Mangel.... und man wird es nicht als Bereicherung empfinden,
wieder mal hungrig ins Bett zu gehen, sondern als bittere Not.

Ich habe übrigens gerade in allen Lebensbereichen wieder mal so eine karge Phase und finde es herrlich.

Re: Leben nach Kriegsende in Deutschland im Sommer 1945

von Lia » 21.09.2014, 14:36

Etwas, was diese Zeit ebenso wie der Hunger kennzeichnet, war die Trauer um Angehörige, ob als Soldat gefallen oder als Zivilist vermisst. Die Ungewissheit, wer überlebt hatte, das Suchen nach Auskünften über Vermisste waren ebenso Teil des Lebens vieler Menschen.
Nicht allein die materiellen Verluste und Sorgen sollten erwähnt werden, auch die psychischen Belastungen gehören in diese Trümmerzeit.
Hatte man Angehörige gefunden, so musste man mitunter um Zuzugsgenehmigung flehen, wie mein Schwiegervater, damit seine Frau aus Gablonz an der Neiße nach Lübeck ziehen konnte. Oder wie andere, deren Angehörige in den Wirren in anderen Besatzunszonen gelandet waren.
Schlaglicht zu zwei Themen: Schwiegermutter gehörte zu denen, die man nicht gewaltsam aus der Tschechoslowakei vertrieb. Als Facharbeiterin war sogar oder trotz Deutscher Abstammung begehrt.
" Nach vielem Hin- und Her, Interventionen in Prag und sogar einer Zeit im Gefängnis hatte T...doch durchgesetzt, daß sie auf Permit in die damalige britische Zone ausreisen durfte.
Sie kam am 17.10.1948, es war ein Sonntag, an."

Die Anträge und Petitionen, die mein Schwiegervater in der britischen Zone seinerseits verfasst hatte, um seine Ehefrau zu sich holen zu dürfen, fanden wir beim Ausräumen des Hauses ganz tief versteckt.
Der andere Hunger:
Versteckt hatten meine Eltern/ Großeltern auch unter den Nazis verbotene Bücher. Man las, wenn Zeit blieb, was man nicht hatte lesen dürfen. Eigentlich hatte man kein Geld für Luxus- doch irgendwie musste der Hunger nach Lesestoff genauso quälend gewesen sein wie der leibliche- das ein oder andere Buch datiert aus den Jahren 1945/46. Andere zeigen Spuren des Versteckens, sie stehen zwar im Regal, zum Lesen allerdings eine neue Ausgabe daneben.

Re: Leben nach Kriegsende in Deutschland im Sommer 1945

von Orianne » 21.09.2014, 13:45

@Lia: Das wäre super, und wie gesagt, es bleibt in meinem Unterricht, ich gebe keine Arbeiten von mir an Kolleginnen und Kollegen weiter, das wird auch für Deine Auszüge der Chroniken gelten.

Ich kann das nachvollziehen mit Deinem Vater, natürlich war das Überleben an erster Stelle, schön ist, dass er diese Bücher noch lesen kann, ich weiss nicht, ob er noch lebt.

Re: Leben nach Kriegsende in Deutschland im Sommer 1945

von Lia » 21.09.2014, 13:40

Vielleicht eine ergänzende Anmerkung:
Mein Vater, mehr oder weniger Unternehmer im Ruhestand, verbrachte viel Zeit in Kiel, und wenn er nicht am Schiff bastelte, so stürzte er sich auf alles, was in Geschichte (und Philosophie) an Büchern und Skripten auf meinem Schreibtisch lag, ob es nun meine oder die seines zukünftigen Schwiegersohnes waren.
Da er sich in meinen mittelalterlichen Forschungsthemen bestens auskannte, weil er auch an Exkursionen teilnahm, blieb ihm Zeit, sich um Themen zu kümmern, die zeitlich viel näher lagen, aber...)
So las er sich durch das Thema: Alliierte Deutschlandpolitik von 1939- 1949. Immer politisch- historisch interessiert gewesen, stellte er fest: " Eigentlich habe ich die Zeit ja erlebt, aber anders als zur Nazi-Zeit habe ich fast nichts von der Entwicklung, bzw. den Hintergründen bewusst mitbekommen, außer Hunger, Trizonesien und am Ende die Währungsreform und dann die Gründung West-Deutschlands." (Zur Zeit der Potsdamer Konferenz und der Beschlüsse war er noch in englischer Kriegsgefangenschaft in Schleswig-Holstein, alles, was man dort wusste: Die Demarkationslinie zur Sowjet-Zone war verflixt nahe.)
Anders, als er die Korrekturfahnen der Diss seines angehenden Schwiegersohnes las: Die Zustände im Nachkriegs-Lübeck und manche Maßnahmen der Besatzer in der gesamten britischen Zone im Kampf gegen die Not kannte er, weil eben alle überall mit den gleichen vordringlichen Sorgen ums Überleben, Sattwerden und Wohnen befasst waren.
@ Orianne:
Wenn Du möchtest, stelle ich Auszüge aus der Chronik meines Schwiegervaters ein, zu seinem Erleben des Kriegsendes und der ersten Nachkriegszeit. Authentisch sicher- wie man Schülern quellenkritisches Lesen beibringt, weißt Du selber.

Re: Leben nach Kriegsende in Deutschland im Sommer 1945

von dieter » 21.09.2014, 09:28

Liebe Orianne,
ich habe nichts gegen Dein Sammeln und Verwenden im Unterricht. :wink:

Re: Leben nach Kriegsende in Deutschland im Sommer 1945

von Orianne » 20.09.2014, 19:14

Das sind alles sehr eindrückliche Erlebnisse, die ich gerne sammeln würde, ich wäre erfreut, wenn Ihr mir Eure Erlaubnis geben könntet.
Eine Veröffentlichung habe ich nicht vor, die Eindrücke von Euch werden von mir in den Unterricht integriert werden.

Re: Leben nach Kriegsende in Deutschland im Sommer 1945

von Lia » 20.09.2014, 18:44

Spartaner hat geschrieben:Ich hatte eine Zeitzeugen mal gefragt, ob es zynisch von mir wäre, zu fragen, ob man damals gesünder gelebt hat, da man ja kein Fleisch hatte und nur sich vergetarisch ernähren konnte. Seine Antwort war, dass die Frage nicht zynisch ist, sondern, dass es auch den Tatsachen entspricht. Man hat sich damals von überwiegend vegetarischer Kost ernährt. Überall bekannt war Salat aus jungen Brennnesselblättern,oder auch Brennnesselsuppe.
Tat ich auch, mit gleicher Antwort,- und habe es u.a. nicht geschrieben, weil es etwas zu zynisch hätte klingen können.

Großstadt Essen, NRW.
Meine Großeltern kehrten zu Fuß von Prag zurück, fanden Einqaurtierung vor und manches nicht wieder. Nicht nur das Tafelsilber zeigte Schwund,was nicht so schlimm war, sondern entschieden die eingeweckten Vorräte im Keller. Hunger beherrschte den Alltag in einem Stadtteil, in dem einst allerlei Getier in den Gärten gehalten wurde.
Der Schwarzhandel blühte, das nächtliche Fringsen wurde normal. Mein Großvater war Lehrer, nur durfte er nicht unterrichten, bis er entnazifiziert war- es gab also auch kein Geld. Als es dann Gehalt gab, war das Geld nichts wert. Zum zweiten Male alle Ersparnisse verloren- aber wenigstens überlebt. Mein Großvater, in WK 1 hoch dekorierter preußischer Offizier, musste Prinzipien über Bord werfen und auf den Schwarzmarkt gehen.
Wollte man zur Tochter, die mit Mann und ältester Tochter in jenem Dorf am Niederrhein lebte, in dem mein Vater geboren wurde, so war dies eine Tagesreise. Man lebte in einem Hühnerstall mit Außenwasser-Anschluss= Pumpe, denn meine Eltern hatten vor dem Umzug nach Prag ihre Wohnung aufgelöst. Alles war in Klanovice geblieben, bis auf ganz wenige Dinge.
Hm, der kleine Esel mit der blauen Perle, den mein Vater seiner Verlobten aus der Türkei, wo er vor dem Kriegeinige Monate gearbeitet hatte, mitgebracht hatte, der war da. Meine Mutter hat nie begriffen, warum sie den Glücksbringer noch eingesteckt hatte, bevor sie mit Kind und Rucksack die Wohnung verließ. Aber Glück hatte sie auf der Flucht, unglaubliches Glück, wie oft sehr demütig sagte.
Sicherlich, so gut es ging, unterstützten die Verwandten, die selber schon reichlich Kinder hatten, die drei und den nahenden Nachwuchs Nr.2, aber dass da von der ein oder anderen Tante böse Häme kam, " wer hoch hinaus will, fällt tief" glaub ich aufs Wort- bis heute.
Mein damals superschlanker Vater fand schnell Arbeit als Müllerknecht, half hie mit seinem Ingenieurswissen, die Mühle wiederaufzubauen, dort leistete er Schwerstarbeit, was wenigstens die Nahrungszuteilung etwas erhöhte. Eine Ration Rübenkraut extra, hie und da gab es vom Chef ein bisschen abgezweigtes Mehl oder gar auch mal Fett oder Fleisch, aber der Hunger blieb Kennzeichen der ersten Jahre nach dem Krieg.
Tja, und mein Vaterging nächtens mal sehen, was die aus dem Dorf abgezogenen Engländer im Nachbarhaus an Nützlichem zurückgelassen hatten. Eine Zinkbadewanne- kostbares Gut., denn man hatte nichts, worin man Kind 1, bald 2 und dann 3 baden und auch selbst konnte, worin man auch Wäsche waschen konnte.
Vorhänge, aus denen meine Mutter Kleidung fabrizierte. Zwei Holzlehnsessel wanderten ebenfalls über die Mauer, auf deren anderer Seite meine zitternde Mutter Schmiere stand. Zumindest hatte man außer dem Bett nun noch Sitzgelegenheiten
.Diese Sessel sind immer noch in der Familie. :wink: Die eigentlichen Besitzer des Hauses haben nach ihrer Rückkehr das alles nie vermisst, bzw. dachten wohl, die "Tommies" hätten deutsche Wertarbeit mitgenommen.
Die Zeiten waren hart, arm, kalt, denn trotz der Nähe zum Kohlenpott gab es kaum Kohle oder sonstigen Brennstoff. Vermutlich die Ursache, dass im August 1946 mein Bruder auf die Welt kam. Man hatte minimal mehr zu essen als andere- und doch war man nie satt. Viel sollte sich daran vorerst nicht ändern, obwohl mein Vater relativ schnell feste Arbeit fand, Ingenieure waren gefragt, die Briten erkannten schnell, dass die Infra-Struktur wieder aufgebaut werden musste- zum eigenen und der Bevölkerung Nutzen.
Doch wo wenig zu verteilen war, da half auch das nicht viel, aber die Nutzgärten der Verwandten sorgten schon für einige Hilfe.
Unvergessene Erzählung: Kurz vor der Währungsreform kam Kind Nr. 3- bekam von der verständnisvollen Hebamme einen Becher echten, richtig echten starken Bohnenkaffee. Den ersten seit 1945. Der muss geholfen haben- meine Schwester kam blitzschnell am 27. 2. des Jahres der Währungsreform.
Die Ehefrau des besten Freundes meines Vaters kam mit zwei Kindern zurück aus der Evakuierung - der Tochter das Stehlen abzugewöhnen, war schwierig, das Kind hatte zuviel Hunger kennengelernt.
Ab und zu gab es beim Schlachter eine extra-Wurst für die Kinder. Meine große Schwester fragte denn offen: "Warum bekommt die andere gekochten Schinken und ich nur Fleischwurst?" "Die andere" war Kind von prominenten Eingeborenen. :mrgreen:
Ich weiß, dass die Brauerei-Besitzer und auch die Schlachtersfrau halfen, wo sie konnten, nicht nur bei meinen Eltern, sondern auch und gerade bei denen, die fast alles, bis auf die Trakehner, in Ostpreußen gelassen hatten.
Manchmal, wenn ich an all die Erzählungen denke, mutet es mich gespenstisch an, wenn ich den derzeitigen Werbespruch jener Brauerei lese: Jeder Tag ein schöner Tag.
War es damals sicherlich nicht, man hatte den Krieg überlebt- nun musste man den Nachkriegsalltag überleben.

Re: Leben nach Kriegsende in Deutschland im Sommer 1945

von Spartaner » 20.09.2014, 16:59

Lia hat geschrieben: Nahrung: War selbstverständlich auch auf dem Lande knapp, jede gestoppelte Rübe, übrig gelassene Kantüffel, jeder geklaute Schluck Milch besaß einen unvorstellbaren Wert. Sicherlich, man behalf sich Gemüseanbau, so der Bur denn ein Fleckchen Erde bewilligte, mit viel Glück durfte man Kaninchen oder Geflügel halten. Man holte, was immer essbar ist, aus den Knicks, Hagebutten, Schlehen, Fliederbeeren, Nüsse, Äpfel, Krüschen ( wilde, helle Pflaumen), was heute als chic gilt, wie Löwenzahnsalat mit Gänseblümchen-Deko, Rauke, wilde Möhre, Pastinaken, war schlicht damals nur zum Überleben notwendiges Übel.
Konservieren konnte man wenig, weil es an Zubehör, beim Brennstoff angefangen, und Zutaten zum Einkochen fehlte, Trocknen/ Dörren war eine Möglichkeit, die aber auch auf Grund der Ustände nicht immer genutzt werden konnte.
Ich kenne die Augenzeugen-Berichte von Einheimischen wie Flüchtlingen und Soldaten, die von geplünderten Bienenstöcken, Holzklau, Wilderei mit Schlingen, und Fischwilderei erzählen.
Trefflich hat die Situation und die Stimmungslage in Schleswig-Holstein Arno Surminski in seinem Roman
Kudenow oder An fremden Wassern weinen beschrieben.
Ich hatte eine Zeitzeugen mal gefragt, ob es zynisch von mir wäre, zu fragen, ob man damals gesünder gelebt hat, da man ja kein Fleisch hatte und nur sich vergetarisch ernähren konnte. Seine Antwort war, dass die Frage nicht zynisch ist, sondern, dass es auch den Tatsachen entspricht. Man hat sich damals von überwiegend vegetarischer Kost ernährt. Überall bekannt war Salat aus jungen Brennnesselblättern,oder auch Brennnesselsuppe. Desweitern sagte er folgenden einprägsamen Satz: "Sie wollen doch nicht wirklich alles wissen, was wir gegessen haben!"
Ich denke Regenwürmer zu sammeln und dann zu verspeisen war damals auch keine Seltenheit- oder auch Käfer und Kakerlaken zu sammeln und zu verspeisen. Wer sich auf den Feldern getraute, Kartoffeln oder einen Kohl zu klauen der wurde glattweg erschossen. In manchen Gegenden war es sogar verboten, Gras ohne Erlaubnis zu zupfen. Ob das stimmt wage ich allerdings zu bezweifeln. Als Kaffee trank man einen sogenannten Ersatzkaffee den Zichoriekaffee aus den Wurzeln der Wegwarte gemacht.
http://www.lebensmittellexikon.de/z0000470.php

Leben nach Kriegsende in Deutschland im Sommer 1945

von Lia » 20.09.2014, 15:58

Hunger:
Ein ausführliches wissenschaftliches Werk dazu für die britische Besatzungszone:
Gabriele Stüber
Der Kampf gegen den Hunger 1945 - 1950
Die Ernährungslage in der britischen Zone Deutschlands insbesondere in Schleswig-Holstein und Hamburg
Wachholtz Verlag GmbH (Januar 1988)

Schleswig-Holstein:
Schleswig-Holstein hatte den größten Zustrom von Flüchtlingen zu verzeichnen, im Vergleich zu 1937 hatte die Zahl der dort lebenden Menschen 1946 um 63% zugenommen. Flüchtlinge, später noch die Vertriebenenen, displaced persons, Polen, Russen, Balten, die nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren konnten oder wollten, nicht zu vergessen die Kriegsgefangenenlager in Ostholstein und auf Eiderstedt.
(OH: Sperrzone F, Internierungslager, zunächst wohl 750.000 Menschen, da die Briten schnell entließen, reduzierte sich die Zahl bis Dezember auf ca. 87.000. Sperrzone G: Halbinsel Eiderstedt: ca. zunächst 400.000 Gefangene, bzw. Internierte anderer Nationen, die auf deutscher Seite gekämpft hatten, darunter die Angehörigen der Wlassow Armee, die an die SU ausgeliefert und ermordet wurden. Auch hier wurde schnell entlassen, sodass sich die Zahl bis Oktober 1945 auf 90.000 reduzierte und im Dezember wurde das Lager aufgelöst.Auch diese Menschen mussten versorgt werden, bzw. ihnen die Möglichkeit zur Selbstversorgung gegeben werden. In Sperrzone F herrschte in den ersten Wochen nach der Kapitulation Hunger, bis die britisch- deutsche Organisation eingespielt war, bzw. die erste Welle der Entlassungen begann, die denn auch meinen Vater mitnahm, der ins Ruhrgebiet zurückkehrte, während mein Schwiegervater nicht mehr ins Sudetenland zurückkehren konnte.
Quellen:
1. dokumentierte Erlebnisberichte
2. Holger Piening: Als die Waffen schwiegen – Das Kriegsende zwischen Nord- und Ostsee. Die Internierung der Wehrmachtsoldaten zwischen Nord- und Ostsee 1945/46. Boyens Medien GmbH & Co. KG, Heide (Holstein) 1995, ISBN 978-3-8042-0761-5.

Online:
Ralf Ehlers
http://www.r-ehlers.de/kral.html

Kiel war zerstört, Lübeck hatte gleichfalls unter den Folgen des Bombenangriffs auf die Altstadt im März 1942 zu leiden, beherbergte dazu noch Evakuierte aus Hamburg, die ins verbrannte Hamburg vorerst nicht zurückkehren konnten, in der Randlage unmittelbar an der Grenze zur sowjetischen Besatzungszone noch mit weiterem Zustrom und noch anderen Problemen zu kämpfen.
Die einzige Großstadt, die nicht unter den Bombenangriffen zerstört worden war, war Flensburg.
In den Städten herrschten Hunger, Not, Enge. Gleiches auf dem Lande, wo die Flüchtlinge aus Ost- und Westpreußen, Pommern und dem heutigen M-V und aus anderen Teilen des einstigen Hitlerreiches nicht wirklich willkommen waren.
Alte Wehrmachtsbaracken, ehemalige Zwangsarbeiterlager, brüchige, eigentlich abrissreife Scheunen, die U-Schule in Neustadt, beherbergten eine Unzahl von Menschen aller Altersstufen auf engstem Raum ohne wirkliche Privatsphäre, und alle diese Menschen hungerten, hatten wenig Bekleidung, die hygienischen Verhältnisse waren unsäglich, - und der Winter 1946 nach der Missernte zuvor sollte alles noch verschlimmern.
Nahrung: War selbstverständlich auch auf dem Lande knapp, jede gestoppelte Rübe, übrig gelassene Kantüffel, jeder geklaute Schluck Milch besaß einen unvorstellbaren Wert. Sicherlich, man behalf sich Gemüseanbau, so der Bur denn ein Fleckchen Erde bewilligte, mit viel Glück durfte man Kaninchen oder Geflügel halten. Man holte, was immer essbar ist, aus den Knicks, Hagebutten, Schlehen, Fliederbeeren, Nüsse, Äpfel, Krüschen ( wilde, helle Pflaumen), was heute als chic gilt, wie Löwenzahnsalat mit Gänseblümchen-Deko, Rauke, wilde Möhre, Pastinaken, war schlicht damals nur zum Überleben notwendiges Übel.
Konservieren konnte man wenig, weil es an Zubehör, beim Brennstoff angefangen, und Zutaten zum Einkochen fehlte, Trocknen/ Dörren war eine Möglichkeit, die aber auch auf Grund der Ustände nicht immer genutzt werden konnte.
Ich kenne die Augenzeugen-Berichte von Einheimischen wie Flüchtlingen und Soldaten, die von geplünderten Bienenstöcken, Holzklau, Wilderei mit Schlingen, und Fischwilderei erzählen.
Trefflich hat die Situation und die Stimmungslage in Schleswig-Holstein Arno Surminski in seinem Roman
Kudenow oder An fremden Wassern weinen beschrieben.

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