von Lia » 20.09.2014, 18:44
Spartaner hat geschrieben:Ich hatte eine Zeitzeugen mal gefragt, ob es zynisch von mir wäre, zu fragen, ob man damals gesünder gelebt hat, da man ja kein Fleisch hatte und nur sich vergetarisch ernähren konnte. Seine Antwort war, dass die Frage nicht zynisch ist, sondern, dass es auch den Tatsachen entspricht. Man hat sich damals von überwiegend vegetarischer Kost ernährt. Überall bekannt war Salat aus jungen Brennnesselblättern,oder auch Brennnesselsuppe.
Tat ich auch, mit gleicher Antwort,- und habe es u.a. nicht geschrieben, weil es etwas zu zynisch hätte klingen können.
Großstadt Essen, NRW.
Meine Großeltern kehrten zu Fuß von Prag zurück, fanden Einqaurtierung vor und manches nicht wieder. Nicht nur das Tafelsilber zeigte Schwund,was nicht so schlimm war, sondern entschieden die eingeweckten Vorräte im Keller. Hunger beherrschte den Alltag in einem Stadtteil, in dem einst allerlei Getier in den Gärten gehalten wurde.
Der Schwarzhandel blühte, das nächtliche Fringsen wurde normal. Mein Großvater war Lehrer, nur durfte er nicht unterrichten, bis er entnazifiziert war- es gab also auch kein Geld. Als es dann Gehalt gab, war das Geld nichts wert. Zum zweiten Male alle Ersparnisse verloren- aber wenigstens überlebt. Mein Großvater, in WK 1 hoch dekorierter preußischer Offizier, musste Prinzipien über Bord werfen und auf den Schwarzmarkt gehen.
Wollte man zur Tochter, die mit Mann und ältester Tochter in jenem Dorf am Niederrhein lebte, in dem mein Vater geboren wurde, so war dies eine Tagesreise. Man lebte in einem Hühnerstall mit Außenwasser-Anschluss= Pumpe, denn meine Eltern hatten vor dem Umzug nach Prag ihre Wohnung aufgelöst. Alles war in Klanovice geblieben, bis auf ganz wenige Dinge.
Hm, der kleine Esel mit der blauen Perle, den mein Vater seiner Verlobten aus der Türkei, wo er vor dem Kriegeinige Monate gearbeitet hatte, mitgebracht hatte, der war da. Meine Mutter hat nie begriffen, warum sie den Glücksbringer noch eingesteckt hatte, bevor sie mit Kind und Rucksack die Wohnung verließ. Aber Glück hatte sie auf der Flucht, unglaubliches Glück, wie oft sehr demütig sagte.
Sicherlich, so gut es ging, unterstützten die Verwandten, die selber schon reichlich Kinder hatten, die drei und den nahenden Nachwuchs Nr.2, aber dass da von der ein oder anderen Tante böse Häme kam, " wer hoch hinaus will, fällt tief" glaub ich aufs Wort- bis heute.
Mein damals superschlanker Vater fand schnell Arbeit als Müllerknecht, half hie mit seinem Ingenieurswissen, die Mühle wiederaufzubauen, dort leistete er Schwerstarbeit, was wenigstens die Nahrungszuteilung etwas erhöhte. Eine Ration Rübenkraut extra, hie und da gab es vom Chef ein bisschen abgezweigtes Mehl oder gar auch mal Fett oder Fleisch, aber der Hunger blieb Kennzeichen der ersten Jahre nach dem Krieg.
Tja, und mein Vaterging nächtens mal sehen, was die aus dem Dorf abgezogenen Engländer im Nachbarhaus an Nützlichem zurückgelassen hatten. Eine Zinkbadewanne- kostbares Gut., denn man hatte nichts, worin man Kind 1, bald 2 und dann 3 baden und auch selbst konnte, worin man auch Wäsche waschen konnte.
Vorhänge, aus denen meine Mutter Kleidung fabrizierte. Zwei Holzlehnsessel wanderten ebenfalls über die Mauer, auf deren anderer Seite meine zitternde Mutter Schmiere stand. Zumindest hatte man außer dem Bett nun noch Sitzgelegenheiten
.Diese Sessel sind immer noch in der Familie.
Die eigentlichen Besitzer des Hauses haben nach ihrer Rückkehr das alles nie vermisst, bzw. dachten wohl, die "Tommies" hätten deutsche Wertarbeit mitgenommen.
Die Zeiten waren hart, arm, kalt, denn trotz der Nähe zum Kohlenpott gab es kaum Kohle oder sonstigen Brennstoff. Vermutlich die Ursache, dass im August 1946 mein Bruder auf die Welt kam. Man hatte minimal mehr zu essen als andere- und doch war man nie satt. Viel sollte sich daran vorerst nicht ändern, obwohl mein Vater relativ schnell feste Arbeit fand, Ingenieure waren gefragt, die Briten erkannten schnell, dass die Infra-Struktur wieder aufgebaut werden musste- zum eigenen und der Bevölkerung Nutzen.
Doch wo wenig zu verteilen war, da half auch das nicht viel, aber die Nutzgärten der Verwandten sorgten schon für einige Hilfe.
Unvergessene Erzählung: Kurz vor der Währungsreform kam Kind Nr. 3- bekam von der verständnisvollen Hebamme einen Becher echten, richtig echten starken Bohnenkaffee. Den ersten seit 1945. Der muss geholfen haben- meine Schwester kam blitzschnell am 27. 2. des Jahres der Währungsreform.
Die Ehefrau des besten Freundes meines Vaters kam mit zwei Kindern zurück aus der Evakuierung - der Tochter das Stehlen abzugewöhnen, war schwierig, das Kind hatte zuviel Hunger kennengelernt.
Ab und zu gab es beim Schlachter eine extra-Wurst für die Kinder. Meine große Schwester fragte denn offen: "Warum bekommt die andere gekochten Schinken und ich nur Fleischwurst?" "Die andere" war Kind von prominenten Eingeborenen.
Ich weiß, dass die Brauerei-Besitzer und auch die Schlachtersfrau halfen, wo sie konnten, nicht nur bei meinen Eltern, sondern auch und gerade bei denen, die fast alles, bis auf die Trakehner, in Ostpreußen gelassen hatten.
Manchmal, wenn ich an all die Erzählungen denke, mutet es mich gespenstisch an, wenn ich den derzeitigen Werbespruch jener Brauerei lese: Jeder Tag ein schöner Tag.
War es damals sicherlich nicht, man hatte den Krieg überlebt- nun musste man den Nachkriegsalltag überleben.
[quote="Spartaner"]Ich hatte eine Zeitzeugen mal gefragt, ob es zynisch von mir wäre, zu fragen, ob man damals gesünder gelebt hat, da man ja kein Fleisch hatte und nur sich vergetarisch ernähren konnte. Seine Antwort war, dass die Frage nicht zynisch ist, sondern, dass es auch den Tatsachen entspricht. Man hat sich damals von überwiegend vegetarischer Kost ernährt. Überall bekannt war Salat aus jungen Brennnesselblättern,oder auch Brennnesselsuppe.[/quote]
Tat ich auch, mit gleicher Antwort,- und habe es u.a. nicht geschrieben, weil es etwas zu zynisch hätte klingen können.
Großstadt Essen, NRW.
Meine Großeltern kehrten zu Fuß von Prag zurück, fanden Einqaurtierung vor und manches nicht wieder. Nicht nur das Tafelsilber zeigte Schwund,was nicht so schlimm war, sondern entschieden die eingeweckten Vorräte im Keller. Hunger beherrschte den Alltag in einem Stadtteil, in dem einst allerlei Getier in den Gärten gehalten wurde.
Der Schwarzhandel blühte, das nächtliche Fringsen wurde normal. Mein Großvater war Lehrer, nur durfte er nicht unterrichten, bis er entnazifiziert war- es gab also auch kein Geld. Als es dann Gehalt gab, war das Geld nichts wert. Zum zweiten Male alle Ersparnisse verloren- aber wenigstens überlebt. Mein Großvater, in WK 1 hoch dekorierter preußischer Offizier, musste Prinzipien über Bord werfen und auf den Schwarzmarkt gehen.
Wollte man zur Tochter, die mit Mann und ältester Tochter in jenem Dorf am Niederrhein lebte, in dem mein Vater geboren wurde, so war dies eine Tagesreise. Man lebte in einem Hühnerstall mit Außenwasser-Anschluss= Pumpe, denn meine Eltern hatten vor dem Umzug nach Prag ihre Wohnung aufgelöst. Alles war in Klanovice geblieben, bis auf ganz wenige Dinge.
Hm, der kleine Esel mit der blauen Perle, den mein Vater seiner Verlobten aus der Türkei, wo er vor dem Kriegeinige Monate gearbeitet hatte, mitgebracht hatte, der war da. Meine Mutter hat nie begriffen, warum sie den Glücksbringer noch eingesteckt hatte, bevor sie mit Kind und Rucksack die Wohnung verließ. Aber Glück hatte sie auf der Flucht, unglaubliches Glück, wie oft sehr demütig sagte.
Sicherlich, so gut es ging, unterstützten die Verwandten, die selber schon reichlich Kinder hatten, die drei und den nahenden Nachwuchs Nr.2, aber dass da von der ein oder anderen Tante böse Häme kam, " wer hoch hinaus will, fällt tief" glaub ich aufs Wort- bis heute.
Mein damals superschlanker Vater fand schnell Arbeit als Müllerknecht, half hie mit seinem Ingenieurswissen, die Mühle wiederaufzubauen, dort leistete er Schwerstarbeit, was wenigstens die Nahrungszuteilung etwas erhöhte. Eine Ration Rübenkraut extra, hie und da gab es vom Chef ein bisschen abgezweigtes Mehl oder gar auch mal Fett oder Fleisch, aber der Hunger blieb Kennzeichen der ersten Jahre nach dem Krieg.
Tja, und mein Vaterging nächtens mal sehen, was die aus dem Dorf abgezogenen Engländer im Nachbarhaus an Nützlichem zurückgelassen hatten. Eine Zinkbadewanne- kostbares Gut., denn man hatte nichts, worin man Kind 1, bald 2 und dann 3 baden und auch selbst konnte, worin man auch Wäsche waschen konnte.
Vorhänge, aus denen meine Mutter Kleidung fabrizierte. Zwei Holzlehnsessel wanderten ebenfalls über die Mauer, auf deren anderer Seite meine zitternde Mutter Schmiere stand. Zumindest hatte man außer dem Bett nun noch Sitzgelegenheiten
.Diese Sessel sind immer noch in der Familie. :wink: Die eigentlichen Besitzer des Hauses haben nach ihrer Rückkehr das alles nie vermisst, bzw. dachten wohl, die "Tommies" hätten deutsche Wertarbeit mitgenommen.
Die Zeiten waren hart, arm, kalt, denn trotz der Nähe zum Kohlenpott gab es kaum Kohle oder sonstigen Brennstoff. Vermutlich die Ursache, dass im August 1946 mein Bruder auf die Welt kam. Man hatte minimal mehr zu essen als andere- und doch war man nie satt. Viel sollte sich daran vorerst nicht ändern, obwohl mein Vater relativ schnell feste Arbeit fand, Ingenieure waren gefragt, die Briten erkannten schnell, dass die Infra-Struktur wieder aufgebaut werden musste- zum eigenen und der Bevölkerung Nutzen.
Doch wo wenig zu verteilen war, da half auch das nicht viel, aber die Nutzgärten der Verwandten sorgten schon für einige Hilfe.
Unvergessene Erzählung: Kurz vor der Währungsreform kam Kind Nr. 3- bekam von der verständnisvollen Hebamme einen Becher echten, richtig echten starken Bohnenkaffee. Den ersten seit 1945. Der muss geholfen haben- meine Schwester kam blitzschnell am 27. 2. des Jahres der Währungsreform.
Die Ehefrau des besten Freundes meines Vaters kam mit zwei Kindern zurück aus der Evakuierung - der Tochter das Stehlen abzugewöhnen, war schwierig, das Kind hatte zuviel Hunger kennengelernt.
Ab und zu gab es beim Schlachter eine extra-Wurst für die Kinder. Meine große Schwester fragte denn offen: "Warum bekommt die andere gekochten Schinken und ich nur Fleischwurst?" "Die andere" war Kind von prominenten Eingeborenen. :mrgreen:
Ich weiß, dass die Brauerei-Besitzer und auch die Schlachtersfrau halfen, wo sie konnten, nicht nur bei meinen Eltern, sondern auch und gerade bei denen, die fast alles, bis auf die Trakehner, in Ostpreußen gelassen hatten.
Manchmal, wenn ich an all die Erzählungen denke, mutet es mich gespenstisch an, wenn ich den derzeitigen Werbespruch jener Brauerei lese: Jeder Tag ein schöner Tag.
War es damals sicherlich nicht, man hatte den Krieg überlebt- nun musste man den Nachkriegsalltag überleben.