von ehemaliger Autor K. » 04.05.2013, 12:42
RedScorpion hat geschrieben:Erstmal danke für den Beitrag.
Hmm. Halt' ich persönlich all in all für sehr fraglich bis viel zu einfach, um wahr zu sein.
Ich hab' schon Schwierigkeiten damit, mir vorzustellen, dass sich ein Opfer ggf. angeblich mit dem Täter "identifiziert" (Stockholm-Syndrom 'mal ausgeklammert), es sei denn, es will dieselbe Situation nochmal durchleben, um sie aber dann - im Unterschied zum Erlebten - eben diesmal zu "gewinnen".
Darüberhinaus stimmt's aber auch nicht, dass Hitler nie geraucht hätte (wie war das noch gleich mit der letzten Zigarettenschachtel ab in die Donau?) oder seine Mutter wegen ihrer Schwäche verachtet hätte,
und v.a. nichtmal, dass SS-Aufseher usw. schlechte Väter gewesen wären; das ist ja einer der erschreckendsten Aspekte des NS, dass die meisten Verantwortlichen und teilweise Verbrecher nach 1945 einfach nach Hause gingen und gute Familienväter waren. Von schwarzer Pädagogik grossteils keine Spur. Das waren ganz normale Leute.
Ausserdem wäre nach der Logik, nach der der Grad an Brutalität während der Jugend darüber entschied, inwieweit eine Person selbst zu Gewalt neigt bzw. gewaltverherrlichenden Ideologien auf den Leim geht, andere Zeiten empfänglicher gewesen als die 30er (sprich eher die 40er oder als Auswirkung davon die 50er, ganz konkret; wenn man denn nicht länger zurückliegende Zeiten bemühen will).
LG
Natürlich ist diese Theorie viel zu einfach und sie wird von mir auch nicht geteilt. Aber sie gibt interessante Anregungen.
Das Phänomen der Übertragung, erstmals von Freud entdeckt, ist zunächst einmal schwer zu glauben, aber die Identifizierung mit dem Angreifer scheint doch häufig zu sein. Das Opfer Täter werden, ist bekannt. Die Kriminalpsychologie beschäftigt sich ausführlich mit der Übertragung und nicht nur die, denn sie tritt ja nicht nur im Zusammenhang mit kriminellen Delikten auf.
Dass SS-Männer gleichzeitig nette Familienväter sein können, übrigens längst nicht immer, wird ja gerade versucht, durch die schwarze Pädagogik zu erklären. Wer als Kind geprügelt wurde, muss nicht seine eigenen Kinder schlagen. Dafür gibt es ja gerade die Projektion, man kann seine Aggression auf andere Weise abreagieren, nämlich auf Objekte, die man auf ganz legitime Weise hassen kann, beispielsweise Juden, Sinti, Roma etc. Hier ist Hass und Aggression geradezu erwünscht und gesellschaftlich akzeptiert. Dadurch kommt es zu dieser gespaltenen Verhaltensweise: Diese Leute sind eifrig, manchmal sogar übereifrig dabei, gesellschaftlich erwünschte Verhaltensnormen zu erfüllen: Oftmals pedantische Pflichterfüllung, Respekt vor Vorgesetzten, wollen gute Familienväter sein, wenn dies allgemeiner Konsens ist etc. Dafür können sie sich anderweitig austoben.
In den späteren Jahrzehnten gab es natürlich auch schwarze Pädagogik, nur hatten die Menschen keine Gelegenheit, auf legale Weise andere Leute zu drangsalieren und zu terrorisieren, dies war nicht möglich, aber es bohrte weiter in ihnen.
Anfang der sechziger Jahre ließ ich mir lange Haare wachsen, damals ein Skandal. In Hamburg wurde ich daraufhin ständig beschimpft mit Ausdrücken wie: „Dich sollte man vergasen!“; „Typen wie dich hätten wir früher an die Wand gestellt!“ usw. Jeder wünschte mir die Todesstrafe oder wenigstens Arbeitslager. Es war legitim, Leute zu beschimpfen, aber es war nicht legitim, Leute umzubringen. Deshalb haben sie es auch nicht gemacht. Sonst hätte man mich sofort aufgehängt.
[quote="RedScorpion"]Erstmal danke für den Beitrag.
Hmm. Halt' ich persönlich all in all für sehr fraglich bis viel zu einfach, um wahr zu sein.
Ich hab' schon Schwierigkeiten damit, mir vorzustellen, dass sich ein Opfer ggf. angeblich mit dem Täter "identifiziert" (Stockholm-Syndrom 'mal ausgeklammert), es sei denn, es will dieselbe Situation nochmal durchleben, um sie aber dann - im Unterschied zum Erlebten - eben diesmal zu "gewinnen".
Darüberhinaus stimmt's aber auch nicht, dass Hitler nie geraucht hätte (wie war das noch gleich mit der letzten Zigarettenschachtel ab in die Donau?) oder seine Mutter wegen ihrer Schwäche verachtet hätte,
und v.a. nichtmal, dass SS-Aufseher usw. schlechte Väter gewesen wären; das ist ja einer der erschreckendsten Aspekte des NS, dass die meisten Verantwortlichen und teilweise Verbrecher nach 1945 einfach nach Hause gingen und gute Familienväter waren. Von schwarzer Pädagogik grossteils keine Spur. Das waren ganz normale Leute.
Ausserdem wäre nach der Logik, nach der der Grad an Brutalität während der Jugend darüber entschied, inwieweit eine Person selbst zu Gewalt neigt bzw. gewaltverherrlichenden Ideologien auf den Leim geht, andere Zeiten empfänglicher gewesen als die 30er (sprich eher die 40er oder als Auswirkung davon die 50er, ganz konkret; wenn man denn nicht länger zurückliegende Zeiten bemühen will).
LG[/quote]
Natürlich ist diese Theorie viel zu einfach und sie wird von mir auch nicht geteilt. Aber sie gibt interessante Anregungen.
Das Phänomen der Übertragung, erstmals von Freud entdeckt, ist zunächst einmal schwer zu glauben, aber die Identifizierung mit dem Angreifer scheint doch häufig zu sein. Das Opfer Täter werden, ist bekannt. Die Kriminalpsychologie beschäftigt sich ausführlich mit der Übertragung und nicht nur die, denn sie tritt ja nicht nur im Zusammenhang mit kriminellen Delikten auf.
Dass SS-Männer gleichzeitig nette Familienväter sein können, übrigens längst nicht immer, wird ja gerade versucht, durch die schwarze Pädagogik zu erklären. Wer als Kind geprügelt wurde, muss nicht seine eigenen Kinder schlagen. Dafür gibt es ja gerade die Projektion, man kann seine Aggression auf andere Weise abreagieren, nämlich auf Objekte, die man auf ganz legitime Weise hassen kann, beispielsweise Juden, Sinti, Roma etc. Hier ist Hass und Aggression geradezu erwünscht und gesellschaftlich akzeptiert. Dadurch kommt es zu dieser gespaltenen Verhaltensweise: Diese Leute sind eifrig, manchmal sogar übereifrig dabei, gesellschaftlich erwünschte Verhaltensnormen zu erfüllen: Oftmals pedantische Pflichterfüllung, Respekt vor Vorgesetzten, wollen gute Familienväter sein, wenn dies allgemeiner Konsens ist etc. Dafür können sie sich anderweitig austoben.
In den späteren Jahrzehnten gab es natürlich auch schwarze Pädagogik, nur hatten die Menschen keine Gelegenheit, auf legale Weise andere Leute zu drangsalieren und zu terrorisieren, dies war nicht möglich, aber es bohrte weiter in ihnen.
Anfang der sechziger Jahre ließ ich mir lange Haare wachsen, damals ein Skandal. In Hamburg wurde ich daraufhin ständig beschimpft mit Ausdrücken wie: „Dich sollte man vergasen!“; „Typen wie dich hätten wir früher an die Wand gestellt!“ usw. Jeder wünschte mir die Todesstrafe oder wenigstens Arbeitslager. Es war legitim, Leute zu beschimpfen, aber es war nicht legitim, Leute umzubringen. Deshalb haben sie es auch nicht gemacht. Sonst hätte man mich sofort aufgehängt.