Aneri hat geschrieben:Hallo,
ich habe hier dein, Beppe, Beitrag kopiert, da ich denke, das Thema ein eigenes Thread wert ist.
Danke. Ich seh´s als Wertschätzung.
Aneri hat geschrieben:Du schreibst: „Die sogenannte "Bürgerfreiheit" innerhalb der Stadtmauern gewährleistete auch, dass die Bevölkerung der Städte stieg, zu Lasten der Landbevölkerung“. Was bedeutet hier „zu Lasten“? Es läufte die Landbevölkerung in die Stadt? Könnte sie es machen?
Sie konnte. Sie musste es nur bis innerhalb der Stadtmauern schaffen und dort eine bestimmte Zeit leben, dann wurde man zwar noch kein Bürger, aber immerhin "Einwohner" der Stadt. "Stadtluft macht frei" ist das hierher passende Schlagwort.
Aneri hat geschrieben:Sie besaß doch keine Freiheit. Und wenn es passierte, dann führte es automatisch zur Kollision des Stadtherren mit der Landherren. Es müsste nicht im Sinne der Stadtherren sein. Oder gerade diese Tatsache den anderen Grundbesitzer an den Stadtherren gebunden hat? Z.B. in dem eine Riegel vorgeschoben wurde, durch den nicht jeder in dem Stadt sich niederlassen könnte?
Ja, das kam auch vor, dass Grundbesitzer und Stadtherr bzw. Stadt in der Hinsicht zusammenarbeiteten.
War der Stadtherr aber ein anderer als der Grundbesitzer, und beide standen in Konkurrenz zueinander, schadete das dem Landherren und nutzte dadurch dem Stadtherren.
Oft wurde auch von einem Landesherren in Nachbarschaft einer florierenden Stadt (mit anderem Herren) eine zweite gegründet, die mit mehr Rechten und Privilegien ausgestattet war wie die ältere Stadt und die auch vom Stadtgründer entsprechend gefördert wurde. Dadurch erlebte die älteres Stadt einen Niedergang, die jüngere Stadt einen Aufschwung, und die Einnahmen sowie die strategische Position kamen an den Herrn der neuen Stadt.
So z.B. geschehen im Falle Freisings (Stadtherr: Bischof von Freising) und München (vom damaligen bayerischen Herzog Heinrich dem Löwen gegründet, mit Brücke und Zoll ausgestattet - die ältere Brücke bei Unterhaching, im Besitz des Freisinger Bischofs, wurde "heiß abgerissen" = zerstört, der Zoll aus dieser Brücke damit hinfällig). Die neue Gründung München wuchs und gedieh und wurde schon bald Hauptstadt zumindest eines Teilherzogtums, während Freising in eine Art Dornröschenschlaf fiel.
Aneri hat geschrieben:Wenn aber es die Versorgung der wachsenden Zahl der Bewohner angeht, dann diese „Last“ müsste als von Landbevölkerung als Erleichterung empfunden werden. Da das wenige Überschuss der landwirtschaftliche Erzeugnisse könnte sie in das Geld und später in das benötigte Werkzeug für die Gewinnung der landwirtschaftliche Produkte überführen, oder sich ganz befreit haben. Eine Art der Unabhängigkeit von dem Grundherren, oder?
Nur, wenn es die Landbevölkerung in die "freie Stadtluft" schaffte.
Aneri hat geschrieben:Zudem das Schema nicht erklärt, warum die Entwicklung der Städte in anderen Kulturen nicht nach dieses sehr logisches Muster gegangen ist. Hier möchte ich anknüpfen an Diskussion über den Niedergang des Roms, osmanisches Reich und China. Warum da ging es anders, obwohl auch feudales System galt?
Weil es bei Osmanen, Indern, Chinesen keine Chance gab, auf eigene Faust Städte zu gründen und diese dann auch zu beherrschen. In diesen Reichen gab es ein System von Steuereintreibern, die direkt dem Herrscher unterstellt waren und wussten, dass sie nicht lange über ein Gebiet herrschen würden. Daher fehlte der Anreiz, dauerhafte Strukturen wie eben Städte zu schaffen, die die Einnahmen des Landesherren steigern konnten. Durch Städte werden Länder auch leichter beherrschbar (ein Grund, warum gerade Staufer und Welfen, später auch Witterlsbacher als deren Nachfolger, so viele Städte gründeten: Sie wollten einen Flächenstaat schaffen. Den mussten sie aber auch beherrschen und gegen konkurrierende Adelsfamilien behaupten können. Das ging am besten über Städtegründungen).
Das konnte aber gerade NICHT im Interesse osmanischer, indischer, chinesischer Adliger liegen. Die waren eher an schwachen Herrschern interessiert, damit sie in den Provinzen tun konnten, was sie wollten. Vierle Bauern sind leichter zu beherrschen als viele Städter...
Aneri hat geschrieben:
Liegt es an römischem Reich, das obwohl seine Städte verfallen wurden, irgendetwas hinterlassen hat, was spätere Entwicklung der Städte beeinflusst hat. Römische Städte haben auch besondere Rechte genossen. Wie es in arabischen und asiatischen Raum gewesen war? Weis jemand Bescheid?
s.o. Da war es anders, da waren Städte in erster Linie Bevölkerungskonzentrationen und Marktorte = Handelsstützpunkte.
Die römische Stadttradition mit eigener Verwaltung mag in Europa fortgewirkt haben, aber das Überleben der Römerstädte in der Phase der ländlich geprägten germanischen Staaten der Spätantike und des Frühmittelalters war auch ein Grund dafür, dass die Städte in Europa von Anfang an ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein hatten (s. Köln!).
Aneri hat geschrieben:Meine Gedanke ist, dass religiösen Institutionen – Kirchen, Klöster – hier einen besonderen Einfluss haben müssten.
Nur insofern, als die Bischöfe zumindest zum Teil einfach Städte brauchten, um ihre Diözesen verwalten zu können. Es gab natürlich auch Abtbischöfe, vor allem in der Frühzeit, aber auch die ließen sich vorwiegend in Städten nieder (z.B. Virgil und Rupert in Salzburg, Korbinian in Freising...). Eine Diözese brauchte einen Mittelpunkt. Da boten sich die Städte an. War ein Bischof mal in einer Stadt ansässig, wollte er natürlich auch Sonderrechte haben - die der Stadt zu Gute kamen. Vor allem, wenn sich später die Bürger auf dieser Rechtsbasis vom Bischof emanzipierten (z.B. Augsburg).
Aneri hat geschrieben: Im Unterschied zu islamischen Institutionen (Islam bekanntlich auch eine monotheistische Religion), entwickelten kirchliche eine hierarchische Struktur, die anscheint auch zu dem besonderen Verlauf der europäischen Entwicklung beibrachte.
Der Islam ist eine dezentral organisierte Religion, ohne Bischöfe bzw. Entsprechendes. Der braucht keine Städte, nicht unbedingt jedenfalls. Ausnahme: Eine Moschee steht üblicherweise in einer Stadt - ohne viele Gläubige reicht ein einfacher Gebetsraum.
Aneri hat geschrieben: Die hierarchische Struktur stärkte auch die entfernteste Kirchen, da sie nicht allein agierten, sie gehörten s. z. zu einem großen Ganzen. Die Kirche, die erst nur als Hilfsmittel zur Machtbestrebung zugelassen wurde, wurde zu einem Partner der Macht.
Das war dann aber nicht mehr Frühmittelalter. Das kam später.
Aneri hat geschrieben:Mehr noch, obwohl sie nicht direkt an Verwaltung beteiligt war, ohne ihren Segen ging nichts. Ich denke, die Entstehung der Stadt müsste parallel mit der Konsolidierung mit der Kirche verlaufen. Daher ist vielleicht ein Fehler in dem oberen Schema der Entstehung der Stadt die Kirche aus dem Acht zu lassen.
Nein, denn diese Rolle der Kirche kam erst im Hochmittelalter, zwischen 800 und 100 n.Chr., zu der Rolle hinzu, die oben beschrieben wurde.
Aneri hat geschrieben:Kennen Sie vielleicht die Literatur, die verschiedene Kulturen in ihren Entwicklungen vergleicht? Meine Empfehlung: Sammelbuch „Die Ursprünge der modernen Welt – die Geschichte in wissenschaftlichen Vergleich“ Hsgb. James A. Robinson und Klaus Wiegand 2008.
Das hast du schon mal zitiert, im Zusammenhang mit China. Kenn ich nicht (außer per Recherche bei Amazon), hört sich nach "Rundumschlag" an, mit den entsprechenden Vor- und Nachteilen. Überblick über verschiedene Kulturen, Auch Zusammenhänge und Wechselwirkungen der Kulturen wahrscheinlich mindestens angedeutet, aber die wirklich interessanten Sachen können nur angerissen werden.
Schnapp dir eine beliebige, aber wissenschaftlich erarbeitete Stadtchronik (z.B. Geschichte der Stadt Augsburg von der Römerzeit bis zur Gegenwart, Hg. von Gunter Gottlieb, 1985), daiwrst du üblicherweise was zur Entstehung dieser Stadt finden, das Hand und Fuß hat (Achtung: Seitenzahl möglichst nicht weniger als 300 Seiten!).
Aneri hat geschrieben:Ich glaube, dass die Religionen und weltanschauliche Systeme (Hinduismus, Buddhismus, Konfuzianismus, Christentum, Islam), die Hochkulturen hinterlassen haben, entscheidenden Einfluss auf den weiteren Entwicklungen haben.
Das ist eigentlich nur logisch.
Beppe